Ausland03. Oktober 2009

Orakel am Bosporus

Internationaler Währungsfonds und Weltbank ziehen in Istanbul Krisenbilanz: Optimistische Prognosen und Warnungen vor sozialen Verwerfungen

Diesmal traf der Schuh nicht. Offenbar aus Protest gegen die Politik von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank schleuderte am Donnerstag in Istanbul der Student Selcuk Ozbek seine Fußbekleidung Richtung Dominique Strauss-Kahn. Der IWF-Exekutivdirektor entging allerdings dem Schicksal George W. Bushs (den ein irakischer Journalist im Dezember 2008 in Bagdad auf gleiche Weise attackiert hatte), das Wurfgeschoß traf ihn nicht.

Dennoch war die Aktion an der Bilgi-Universität, wo der Franzose für die von ihm geleitete Organisation Werbung machte, symbolträchtig. Gilt der Schuhwurf im islamischen Kulturraum doch als Ausdruck größter Verachtung. Ein Schuldbewußtsein bei den beiden maßgeblichen globalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen gibt es indes nicht. Und so war man empört über die Attacke, der Schuhwerfer wurde überwältigt und weggebracht, ebenso wie andere Demonstranten. Bereits am Mittwoch hatten in Istanbul Globalisierungsgegner für eine demokratische Weltwirtschaftsordnung demonstriert.

In der Metropole am Bosporus treffen sich bis zum Wochenende die Führungsgremien von IWF und Internationaler Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) zu ihren Jahrestagungen. Die Veranstaltung gilt gemeinhin als eine Art Hauptversammlung der »Welt AG«, und im Mittelpunkt stehen diesmal die globale Krise und deren Folgen. In den Einschätzungen wird deutlich, daß beide Organisationen zwar noch keine Entwarnung verkünden, allerdings optimistischer sind als zuletzt.

In seiner Konjunkturprognose für die Welt geht der IWF für dieses Jahr von einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent gegenüber 2008 aus. Für das kommende Jahr glauben die Experten das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,1 Prozent steigen zu sehen.

Allerdings dürfen die Voraussagen getrost auch ein wenig belächelt werden. So behaupten die IWF-Ökonomen ernsthaft, daß die US-Wirtschaft in diesem Jahr lediglich um 2,7 Prozent schrumpfen werde. Damit übernehmen sie offenbar die ohnehin seit Jahren geschönten offiziellen Statistiken Wa-shingtons.

Plausibler erscheint indes die IWF-Voraussicht auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Für die USA, den Ausgangspunkt der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, prognostizieren sie 2010 eine Arbeitslosenquote von 10,1 Prozent. In der BRD soll sie dann von derzeit acht auf 10,7 Prozent hochschnellen. Der Währungsfonds warnte vor sozialen Spannungen infolge der wirtschaftlichen Verwerfungen. »Steigende Arbeitslosigkeit und Rückschläge bei der Armutsbekämpfung schaffen soziale Probleme, für die eine Lösung gefunden werden muß«, heißt es in dem Bericht.

Klaus Fischer