Lehrstück in »Demokratie«
Zweites Referendum zum Lissabon-Vertrag in Irland soll Weltmacht EU stärken
An diesem Freitag stimmt die Bevölkerung Irlands zum zweiten Mal über den Vertrag von Lissabon ab. Das Dokument, das zuvor unter dem Titel »EU-Verfassung« in Referenden in Frankreich und in den Niederlanden abgelehnt worden war, ist im Juni 2008 auch in Dublin von der Bevölkerung zurückgewiesen worden. Wendet man demokratische Maßstäbe an, ist es damit bereits zweimal abschließend gescheitert.
Die EU, die diese Maßstäbe schon bei der Ratifizierung des Vertrags von Nizza preisgegeben hat – dabei wurde ein irisches Referendum nach einem ablehnenden Ergebnis ebenfalls einfach wiederholt –, sucht das Dokument um jeden Preis durchzusetzen. Der Vertrag von Lissabon beinhaltet Regelungen, die deutsche Regierungsberater für unverzichtbar halten, um der EU und ihrer Hegemonialmacht Deutschland zur Weltgeltung zu verhelfen: eine straffe Organisation der EU-Außenpolitik inklusive Etablierung eines EU-Außenministers und die Verpflichtung sämtlicher Mitgliedstaaten zum Aufbau einer EU-Armee sowie zu dauerhafter, aufeinander abgestimmter Aufrüstung.
Einmischung
Berlin hatte bereits vor dem ersten irischen Referendum im Juni 2008 massiven Druck auf Dublin ausgeübt und auf ein »Ja« der Bevölkerung zum Vertrag von Lissabon gedrängt. Weil seit dem »Nein« in der deutschen Hauptstadt gemutmaßt wird, die auswärtigen Pressionen hätten womöglich kontraproduktiv gewirkt, halten sich deutsche Politiker in der diesjährigen irischen Kampagne etwas zurück. Bundespräsident Köhler hat allerdings vor wenigen Tagen den Vertrag noch eilig ratifiziert – ein Schritt, den Berliner Parlamentarier als ein »starkes Signal« in Richtung Dublin verstanden wissen wollen.
Außerdem interveniert die EU-Kommission und wirbt etwa mit kostspieligen Zeitungsbeilagen für den Vertrag. Auch hinter den Kulissen hält der Druck auf die irische Regierung unvermindert an. Berliner Politikberater denken über die »Schaffung einer neuen supranationalen Union« – ohne Irland – nach; zudem wird erwogen, Dublin den »freiwilligen« Austritt aus der EU nahezulegen. Eine dritte Wiederholung des Referendums ist ebenfalls noch im Gespräch, wird jedoch nicht favorisiert – schließlich ließe sich damit ein demokratischer Anschein überhaupt nicht mehr aufrechterhalten.
»Air War«, »Ground War«
Die PR-Kampagne, die Dublin auf Druck aus Berlin und Brüssel lanciert hat, ist umfassend. Das »Nein« vom Juni 2008 sei angeblich nur durch Unwissen der Bevölkerung verursacht worden und könne mit simpler Aufklärung über die Folgen des Vertrags in ein »Ja« verwandelt werden, behauptet die irische Regierung. Selbst deutsche Politikberater geben demgegenüber zu, daß es den Vertragsbefürwortern nach wie vor schwer fällt, eine positive Begründung für die Zustimmung zum komplexen Vertragswerk zu liefern.
Das EU-Establishment in Dublin hat mehrere neue PR-Organisationen gegründet und seine Kampagne weiter professionalisiert. Zu den Mitteln, die Anwendung finden, gehören eine intensive Medienpräsenz – als »air war« bezeichnet – und Straßenwahlkampf sowie Hausbesuche (»ground war«). Das Referendum kann insofern als ein Gradmesser dafür gelten, ob es den EU-Eliten gelingt, demokratischen Widerstand gegen ihr Projekt mit simplen PR-Methoden auszuschalten.
Dabei ist die Kampagne soziologisch präzise ausgerichtet. Analysen nach dem Referendum vom Juni 2008 hatten gezeigt, daß das »Ja« sich konkret verorten ließ: Vor allem in den bevorzugten Wohngebieten der irischen Hauptstadt erreichten die wohlsituierten Milieus, die politisch oder ökonomisch Nutzen aus dem Elitenprojekt EU ziehen, Mehrheiten für den Vertrag von Lissabon. Ein »Nein« kam von den Unterschichten in den irischen Städten, aber auch aus ländlich-katholischen Kreisen; beide Spektren erhoffen sich von den Weltmachtgelüsten der EU-Eliten offenbar wenig Vorteil.
Um dennoch ein »Ja« zu erzwingen, nutzt Dublin in der aktuellen Kampagne Schlüsselgruppen, denen zugetraut wird, sich Akzeptanz in den Milieus der Vertragsgegner zu verschaffen. So haben die Vertragsbefürworter prominente Sportler und Größen aus dem Showbusiness, die in den Unterschichten bekannt und beliebt sind, für ihre Kampagne engagiert. Die ländlich-katholischen Kreise sollen durch ein vertragsfreundliches Votum eines nordirischen (!) Bischofs zum »Ja« gedrängt werden.
Letzte Widerstände
Mit Schwierigkeiten rechnen Berlin und Brüssel allenfalls noch aus London. Wie die britische Presse berichtet, hat der konservative Oppositionsführer David Cameron den tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus um Unterstützung gebeten. Klaus muß den Vertrag von Lissabon mit seiner Unterschrift ratifizieren, zögert dies jedoch hinaus, da Prager Parlamentarier noch einige Aspekte des Abkommens gerichtlich auf ihre Vereinbarkeit mit der tschechischen Verfassung überprüfen lassen wollen. Cameron möchte seinerseits die britische Bevölkerung in einem Referendum über den Vertrag entscheiden lassen. Die Labour-Regierung hatte dies nicht für nötig gehalten.
Um jedoch ein Referendum anzuberaumen, muß Cameron zuvor die Labour-Ratifizierung des Vertrags von Lissabon widerrufen, und das ist nur möglich, wenn seine Partei die Mehrheit im Parlament und er das Amt des Premierministers innehaben. Daß seine Partei die nächsten Wahlen gewinnen wird, scheint wegen des dramatischen Ansehensverlustes der Labour Party außer Frage zu stehen. Unsicher ist bloß, ob der tschechische Staatspräsident die abschließende Ratifizierung des Vertrags von Lissabon hinauszögert, bis die britischen Wahlen vollzogen sind. Genau darum – dies wird im Frühjahr 2010 der Fall sein – soll Cameron jetzt Václav Klaus gebeten haben.
Das EU-Establishment, heißt es in der britischen Presse, laufe bereits Sturm. Sollte das Referendum in Irland an diesem Freitag mit einem »Ja« enden, dann dürfte der Gegner der nächsten EU-Kampagne bereits feststehen: der Staatspräsident Tschechiens, Václav Klaus.
Aus:
German Foreign Policy