Kultur11. November 2021

Rückblick auf den ersten SF-Film der DEFA

Der schweigende Stern

von Nina Hager, Berlin

Im Jahr 1908 kam es in der Tunguska in Sibirien, im Gebiet des heutigen Krasnojarsk, zu einer gewaltigen Explosion. Kilometerweit fielen Bäume, wurde das Land verwüstet. Die Folgen der Explosion, die eine Stärke von wenigstens 185 Hiroshima-Atombomben gehabt haben soll, waren mehrere Tage lang am Nachthimmel rund um die Erde zu beobachten. Seismologische Stationen maßen gewaltige Erschütterungen. Im Laufe der Jahre gab es unzählige Versuche, die Ursache für die Explosion zu finden. War es ein Vulkan oder ein vulkanähnlicher Ausbruch, war es ein Asteroid oder ein Komet? Stürzte damals gar ein außerirdisches Raumschiff in Sibirien ab? Die neueste Hypothese lautet, daß 1908 möglicherweise ein Eisenmeteorit »im Vorbeiflug« mit hoher Geschwindigkeit durch die Erdatmosphäre geflogen, aber nicht eingeschlagen, sei.

Zu jenen, die die Raumschiff-Hypothese aufgriffen und sie literarisch verarbeiteten, gehörte der polnische Science-Fiction-Autor, Essayist und Philosoph Stanislaw Lem, an dessen 100. Geburtstag wir kürzlich erinnerten. In seinem 1951 erschienenen Roman »Die Astronauten« (in der DDR unter dem Titel »Der schweigende Stern« erschienen) nutzte Lem die Hypothese von der Explosion eines Raumschiffs. 95 Jahre nach dem Ereignis erweist sich ein Fund als Logbuch des Raumschiffes. Es stellt sich heraus, daß das Raumschiff von der Venus stammte und eine Invasion der Erde vorbereiten sollte.

Einige Jahre später fliegt das Raumschiff »Kosmokrator« mit internationaler Besatzung zur Venus. Dort finden die Raumfahrer eine unwirtliche Welt voller Rätsel, bald auch Anzeichen für eine hochstehende Kultur. Sie suchen nach den Bewohnern, finden heraus, daß diese einen Angriff auf die Erde geplant hatten, sich aber selbst vernichteten – wahrscheinlich in einem langen Atomkrieg. Lem selbst nannte seinen ersten Science-Fiction-Roman später naiv. Doch die Wirkung war in den 1950er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine andere: Nach den Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki, angesichts der drohenden Atomkriegsgefahr, galt er als Mahnung und Warnung.

Neun Jahre nach dem Erscheinen des Romans kam, am 26. Februar 1960, der Spielfilm »Der schweigende Stern« (frei nach Lem) in die Kinos der DDR. Wie der Roman, so erzählt auch der Film die Geschichte der Selbstvernichtung der Venus-Zivilisation durch eine nukleare Katastrophe. Das Thema war immer noch aktuell. Der Kalte Krieg schien einem neuen Höhepunkt nahe, eine atomare Katastrophe war möglich. Im Film wird deshalb immer wieder auf die Gefahren eines Atomkriegs aufmerksam gemacht, wird auf die Schrecken der Atombombenabwürfe von 1945 und die Folgen hingewiesen. Die Expeditionsärztin Sumiko Ogimura erlebte als elfjähriges Mädchen in Hiroshima den Bombenabwurf und verlor ihre Mutter, der US-amerikanische Wissenschafter Hawling hatte am »Manhattan-Projekt«, der geheimen Operation zur Entwicklung und Herstellung von Nuklearwaffen in den USA, mitgearbeitet.

Regisseur des Films, einer Gemeinschaftsproduktion der DEFA mit den polnischen Filmstudios, war Kurt Maetzig, unter anderem bekannt durch Filme wie »Ehe im Schatten«, »Die Buntkarierten«, »Der Rat der Götter«, den zweiteiligen (ersten) Thälmann-Film und andere. In der Bundesrepublik lief der Film – im Verleih der Constantin Film – ab 9. September 1960 unter dem Titel »Raumschiff Venus antwortet nicht«. Später kam er auch in US-amerikanische und britische Kinos: Allerdings lief er in einer gekürzten Fassung und alles, was auf Hiroshima oder eine mögliche Freundschaft zwischen dem sowjetischen Expeditionsleiter und Hawling hinwies, war entfernt worden. Zudem erhielten einige Besatzungsmitglieder andere Namen. So wurde unter anderem aus dem sowjetischen Expeditionsleiter ein US-Amerikaner.

Auch wenn »Der schweigende Stern« aus heutiger Sicht sicher viele technische, meines Erachtens aber auch dramaturgische Mängel aufweist: Für die damalige Zeit waren eine Reihe von Trickeffekten (Start und Landung, Bauten und »Landschaften« auf der Venus) bemerkenswert. Interessant auch die damaligen Vorstellungen vom Inneren des »Kosmokrator«. Belustigend wirken heute nicht nur der »Roboter« und die Expeditionsfahrzeuge, sondern auch die »Starthelme« der Besatzungsmitglieder.

Mir blieb über lange Jahre aber vor allem die Schlußszene im Gedächtnis: Die Mitglieder der Raumschiffbesatzung, die der Bodencrew und jene, die zur Begrüßung der auf die Erde Zurückkehrenden gekommen waren, fassen sich an den Händen: Das Schicksal der Venusbewohner werden wir nicht erleiden!