Ausland14. Mai 2020

»Hygiene-Demos« bekommen Zulauf

Rechte übernehmen Proteste gegen Grundrechteabbau in Deutschland

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt eindringlich vor einer neuen Corona-Infektionswelle. Die Wiederöffnungen von Schulen, Kitas, aber auch von Läden, Kneipen und Fitnesscentern sind in Deutschland dermaßen chaotisch, daß sie schlimme Folgen haben können. Gleichzeitig gilt es, die Grundrechte vor überzogenen Maßnahmen zu schützen.

Am vergangenen Wochenende haben in verschiedenen Städten erneut Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden, deren Teilnehmer gegen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung protestieren. Trotz der Lockerungen bekommen die Kundgebungen großen Zulauf. In Stuttgart waren es mehr als 10.000 Menschen, die sich auf dem Cannstatter Wasen tummelten.

Die sogenannten »Hygiene-Demonstrationen« entwickeln sich allerdings mehr und mehr zu einem Sammelbecken von Rechten verschiedener Couleur. Unter den Demonstranten befinden sich bekannte Verschwörungstheoretiker, rechte Hooligans, Antisemiten und »Reichsbürger«. Mancherorts wurden die Aufmärsche von neofaschistischen Gruppen organisiert.

In NRW beteiligten sich sogenannte Bürgerwehren und Personen, die in der Vergangenheit an gewalttätigen Aufmärschen – etwa der rassistischen »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) – teilgenommen haben. In Düsseldorf nahmen Anhänger der »Bruderschaft Deutschland« teil, in Dortmund war die Partei »Die Rechte« vertreten. In Berlin versammeln sich neben NPD- und AfD-Politikern auch selbsternannte »DDR-Bürgerrechtler«, Esoteriker und auch evangelikale Christen. Auf dem Alexanderplatz wurden am vergangenen Wochenende Polizeibeamte attackiert. Sie setzten sich mit Pfefferspray zur Wehr. Mit Thüringens FDP-Chef und kurzzeitigem Ministerpräsidenten Thomas Kemmrich nahm neben AfD-Mitgliedern und anderen Rechten erstmals ein führender politischer Repräsentant an einer sogenannten »Hygiene-Demo« in Gera teil.

Personen, die sich selbst dem politisch linken Spektrum zurechnen, ziehen sich offenbar mehr und mehr aus den Veranstaltungen zurück. Stattdessen formieren sich Proteste. In Stuttgart beteiligten sich am 9. Mai etwa 250 Antifaschisten und Gewerkschafter an einer Gegenkundgebung unter dem Motto »Solidarität.
Freiheitsrechte. Klare Kante gegen Rechts«. In einer Rede des Bündnisses hieß es: »Viele sind in den vergangenen Wochen auf der Suche nach Antworten auf die Fragen, die sich innerhalb der ‚Corona-Krise‘ angehäuft haben.« Es sei oftmals die Angst vor der Zukunft, die die Menschen auf die Straße treibe, die fehlende soziale und ökonomische Sicherheit, die Panik erzeuge. Es seien die Unsicherheiten auf der Arbeit, die dafür sorgen, daß sich Menschen Gedanken über die politische und gesellschaftliche Zukunft machen. All das seien Gründe für die Teilnahme an den Aktionen. »Das ändert jedoch nichts an der Tendenz, die klar zu erkennen ist. Früher oder später wird es auf dem Cannstatter Wasen nicht bei leeren Phrasen und der Forderung nach Grundrechten bleiben. Die Rechten haben bereits einen Fuß in der Tür.« Es sei nicht mehr die Frage, ob, sondern wann sie die Veranstaltung komplett übernehmen würden.

Markus Bernhardt

In Stuttgart waren es mehr als 10.000 Menschen, die sich auf dem Cannstatter Wasen tummelten
(Foto: EPA-EFE/RONALD WITTEK)