Leitartikel17. Oktober 2024

Das andere Zwei-Prozent-Ziel

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Gestern war wieder Welternährungstag. Das Datum wurde gewählt, weil am 16. Oktober 1945 die FAO als Sonderorganisation der UNO für Ernährung und Landwirtschaft mit der Aufgabe gegründet wurde, die Ernährung für alle Menschen sicherzustellen.

Doch dieses ehrbare humanistische Ziel ist in bald acht Jahrzehnten noch immer nicht erreicht. In der aktuellen Studie »Armutslücke Welternährung« zeigen das deutsche katholische Entwicklungshilfswerk Misereor und Wissenschaftler der Uni Göttingen auf, daß die sogenannte Ernährungsarmut trotz einer weiter wachsenden Weltwirtschaft dramatisch hoch ist.

3,1 Milliarden Menschen – zwei von fünf! – fehle das Geld für eine gesunde Ernährung, insgesamt rund 2,59 Billionen US-Dollar. Die im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstante Summe mag auf den ersten Blick hoch erscheinen, doch wenn man sie wie in der Studie mit der globalen Wirtschaftsleistung ins Verhältnis setzt, dann entspricht die »Armutslücke« in der Welternährung lediglich 1,86 Prozent dieser aktuell 139 Billionen US-Dollar.

Doch Zwei-Prozent-Ziele werden nur dann verfolgt, wenn die NATO sie ausgegeben hat.

Zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis wie die Studie kommt der Welthungerbericht, der vergangene Woche von der Deutschen Welthungerhilfe präsentiert wurde. Er gibt Auskunft über die Ausprägung mehrerer sogenannter Hungerindikatoren wie zum Beispiel Unterernährung, Wachstumsverzögerung bei Kindern, Auszehrung und Kindersterblichkeit.

Darauf basierend wird die jeweilige Lage eines Landes bewertet. Im Tschad, in Madagaskar, in Burundi, im Jemen, in Somalia und im Südsudan sei die Hungerlage aktuell als sehr ernst eingestuft worden, in 34 weiteren Ländern sei sie ernst.

Insgesamt kommt der Bericht zum Ergebnis: »Wir sind weit davon entfernt, das für 2030 angestrebte Ziel Zero Hunger zu erreichen.« Das Ziel bezieht sich auf das Vorhaben der UNO, den Hunger in der Welt in den noch verbleibenden sechs Jahren abzuschaffen.

Lange wurden Fortschritte gemeldet, inzwischen aber stagniert die Lage. Ab dem Jahr 2000 sank der globale Hungerindikator bis 2016 um zirka ein Drittel, doch heute haben weltweit 733 Millionen Menschen – deutlich mehr als vor zehn Jahren – noch nicht mal Zugang zu ausreichend Kalorien.

Auch im durchschnittlich reichen Luxemburg gibt es Ernährungsarmut. Davon sprechen die amtlichen Statistiker, wenn Menschen aufgrund finanzieller Engpässe nur unzureichende Mengen und Qualitäten an Lebensmitteln kaufen können.

Laut Eurostat konnten sich im vergangenen Jahr fast 22.000 Menschen, die dauerhaft in Luxemburg leben, Lebensmittel, die für eine ausgewogene und nahrhafte Ernährung nötig sind, nicht regelmäßig leisten.

Demnach hatten 3,3 Prozent der Einwohner 2023 nicht genug Geld, um sich zumindest an jedem zweiten Tag (!) eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einem vegetarischen Äquivalent leisten zu können. Dazu gehören auch Leute, die oberhalb der offiziellen Armutsschwelle leben, aber beispielsweise eine neue Heizung abbezahlen müssen.

Sollten die 1,4 Milliarden Euro, die die Regierung zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO ab 2030 jedes Jahr für Militärisches verpulvern will, nicht besser in die Armutsbekämpfung gesteckt werden? Eine kostenlose Verpflegung an Kindergärten und Schulen wäre ein guter Anfang.