Sprücheklopfen ohne Sinn und Verstand
Im deutschen Kriegsparolenüberbietungswettbewerb für den laufenden Krieg gegen Rußland, der selbstverständlich nichts mit dem vor 80 Jahren zu tun hat, gibt es einen neuen Anwärter für »Germany’s Next Top Schnauze«. Am Donnerstag jubelte »Bild«-Redakteur Julian Röpcke, der in seiner journalistischen Leistungsfähigkeit seinem geschaßten Exchef und Vornamensvetter Julian Reichelt nicht nachsteht, auf der Internetseite der angeblichen Zeitung: »Jetzt stoßen deutsche Leopard-Panzer vor.« Und hob im darunterstehenden Text mit folgenden Sätzen an: »Die ganze Welt wartete darauf. Jetzt ist es soweit: Die Ukraine stößt mit deutschen Leopard-2-Panzern gegen die Russen vor!«
Annalena Baerbock gerät bei solch frischer Sprachattacke mit ihrem matten »Rußland ruinieren« fast in den Bereich des Lumpen- oder Rattenpazifismus, den der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo einst absteckte und dafür den Segen des FDP-Bundestagsabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff erhielt. Der qualifizierte sich dadurch bei Baerbock für den deutschen Botschafterposten in Moskau, den er in diesem Sommer antreten soll. Wikipedia schreibt zu ihm: »Lambsdorff entstammt dem deutschbaltischen Uradelsgeschlecht Lambsdorff.« Adel verpflichtet, Uradel richtet. Die Moskowiter sollten sich auf eine weitere Schlacht gegen den Deutschen Ritterorden vorbereiten. Bei Uralt-Lambsdorffs dürfte 1242 nicht vergessen sein, als die Russen am Peipus-See erstmals dreist den deutschen Drang nach Osten stoppten.
Baerbock, Lobo und Lambsdorff rangieren allerdings im Ranking der kriegsgeilsten Sprüche nicht nur hinter »Bild«-Röpcke, sondern auch hinter dem einst jüngsten Oberst der Bundeswehr und heutigen CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Der hatte sich im November 2022 bei »N-TV« vorgenommen: »Rußland muß verlieren lernen wie Deutschland 1945.« Bedingungslose Kapitulation ist das Minimum an Revanche für die Schmach vom 8./9. Mai in Berlin-Karlshorst. Vielleicht träumt Kiesewetter davon, nach dem Sieg über Rußland Wladimir Putin dorthin einfliegen zu lassen, um dem Oberkommandierenden Kiesewetter alles bis zur Tschuktschenhalbinsel zu übergeben.
Aber auch Kiesewetter, der laut »Südkurier« erst im März den Deutschen Verlust teutonischer Spannkraft gegen östliche Steppenbewohner bescheinigte (»Wir sind zu verzagt, haben zuviel Respekt und überschätzen Rußland!«), steht hinter Röpcke zurück. Wer verkündet, daß die ganze Welt auf den deutschen Panzervorstoß gegen die Russen gewartet hat, hat endlich den richtigen Maßstab gefunden. Wobei: Vom Verzagtheitsvirus ist offenbar auch »Bild« befallen. In der gedruckten Ausgabe vom Freitag wurde Röpckes Text stark verändert veröffentlicht. Überschrift nun: »Deutsche Panzer stoßen gegen russische Stellungen vor«, und die ersten Sätze lauten: »Seit Monaten sind die ›Leos‹ im Land – nun kämpfen sie an der Russenfront!« Wo ist die »ganze Welt« geblieben. Macht es »Bild« etwa darunter? Lumpenpazifismus?
Niemand weiß, wie der Kernige-Kriegssprüche-Contest ausgehen wird. Jurypräsident sollte Kiews Präsident Wolodimir Selenski sein, der die Vorstöße mit deutschen Panzern im Interview mit »Bild« (am Mittwoch) und »Welt« (am Freitag) mit der Bemerkung quittiert, daß das nicht reicht. Der seit 2019 den Feldzug gegen die Ostukraine führende Oberkommandierende hat aber dennoch gute Noten für den deutschen obersten Feldherrn: Er freue sich, daß Scholz die Situation auch »mit unseren Augen sieht«: »Ich spüre die Unterstützung. Ich glaube, er hat zu sich gefunden.« Anders gesagt: Kiew gibt dem Sozialdemokraten noch eine Kopfnotenchance: Rußland nicht mehr überschätzen, aber unter der ganzen Welt besser nicht bleiben.