Leitartikel22. April 2021

Es ist das System, das tötet

von

Das Urteil gegen den aus dem Polizeidienst entlassenen Mörder des Afroamerikaners George Floyd ist ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, daß die schier grenzenlose Gewaltanwendung durch Cops in den USA nicht immer straflos ausgehen muß.

Doch George Floyd war nur eines der rund 1.000 Opfer von Polizeigewalt, die Jahr für Jahr registriert werden. Allein während der Dauer des Prozesses in Minneapolis starben mindestens 65 Menschen in Folge von Übergriffen der »Ordnungshüter«. Ende März wurde ein 13-Jähriger erschossen, weil ein Cop der Meinung war, der Junge hätte eine Schußwaffe in der Hand. Vor wenigen Tagen mußte ein junger Vater vor den Augen seiner Tochter sterben, weil eine Polizistin angeblich ihre Pistole mit dem Teaser verwechselt hatte. Und wenige Minuten vor der Urteilverkündung von Minneapolis wurde ein 15-jähriges schwarzes Mädchen in Columbus, Ohio, von einem Polizisten eiskalt erschossen. Angeblich soll die Jugendliche ein anderes Mädchen mit einem Messer bedroht haben…

Das Urteil von Minneapolis ist eine Genugtuung für die Familie und die Freunde von George Floyd, für alle Bürgerrechtsaktivisten und alle in den USA und weltweit, die für die Gleichberechtigung aller Menschen ungeachtet ihres ethnischen, politischen, sozialen, religiösen oder sexuellen Hintergrunds eintreten. Aber es ändert zunächst nichts an den Zuständen, die immer wieder bewirken, daß Cops erst schießen und dann fragen. Eine Denkweise, die seit über 250 Jahren auch bei der Armee der USA vorherrscht.

Es ist kein Zufall, daß Afroamerikaner immer wieder zuerst ins Visier schießwütiger Cops geraten. Der Grund dafür ist nicht nur ein bei vielen Leuten dieser Zunft mit der Muttermilch aufgesogenes, rassistisch motiviertes Vorurteil gegenüber Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe. Der Grund ist vielmehr ein systemischer Rassismus, der seine Wurzeln vor allem in den kapitalistischen Besitzverhältnissen hat. Menschen anderer Hautfarbe sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die ersten, die durch das soziale Netz fallen, in Armut abrutschen und es besonders schwer haben, sich aus der Prekarität zu befreien.

Das gilt nicht nur für das »Land der Tapferen und die Heimat der Freien«, aber für die USA ganz besonders. Ungeachtet der vielen Lippenbekenntnisse über die »Befreiung der Sklaven« seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen England ist die Sklavenhalter-Mentalität niemals aus den Köpfen vieler weißer US-Amerikaner verschwunden. Ebensowenig ist den meisten von ihnen bewußt, daß ihr ach so großartiges Land aufgebaut wurde nach der gewaltsamen Eroberung riesiger Territorien und der blutigen Vernichtung des größten Teils der indigenen Bevölkerung. Die Menschen, denen das gesamte Land einst gehörte, und die es bewirtschafteten ohne Unterschied von Rang und ohne Anspruch auf Privatbesitz, diese Menschen leben bis heute als Bürger dritter Klasse im »demokratischsten Land der Welt«, das der ganzen übrigen Menschheit erklären will, was unter »Freedom and Democracy« zu verstehen sei.

Es ist gut, wenn Menschen anderer Hautfarbe in Gerichtsurteilen Gerechtigkeit erfahren oder gar hohe Ämter bekleiden dürfen. Das Problem jedoch liegt tiefer, seine Lösung bedarf eines wirklichen Systemwechsels. Denn erst durch die Beseitigung des Privateigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln kann auch der Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß endlich abgeschafft werden.