Was ist eine »Schuldenbremse«?
Ein Verfassungsgericht spricht, und Deutschland verhängt den Shutdown. Die in Folge des Gerichtsurteils vom Finanzministerium verfügte Ausgabensperre erfaßt nahezu den gesamten Bundesetat. Man muß sich aber gar nicht erst ins Dickicht haushaltspolitischer und verfassungsrechtlicher Fragen begeben, um festzustellen, daß sich der deutsche Staat mit seiner im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse in seiner Handlungsfähigkeit selbst eingeschnürt hat.
Was besagt diese Schuldenbremse, und warum hielt es jeweils eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine formidable Idee, eine solche Regelung 2009 gleich in die Verfassung schreiben zu lassen?
Die erste Frage ist in groben Zügen leicht zu beantworten: Die Schuldenbremse beschränkt die »strukturelle«, also von Konjunkturverläufen unabhängige, staatliche Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts. Den Bundesländern ist jede Neuverschuldung verboten. Ausnahmen gelten für Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen. Ein »konjunktureller Finanzierungssaldo« ermöglicht dem Staat, während einer Rezession Schulden aufzunehmen, die er in Phasen der Hochkonjunktur wieder abbauen muß.
Die Motive für eine solche Schuldenbremse liegen in der klassenmäßigen Fasson des Staates begründet und haben nur wenig mit der zur Abgöttin erhobenen und stets angerufenen »schwäbischen Hausfrau« zu tun. Einfach wäre, die fetischisierte Leitidee vom ausgeglichenen Staatshaushalt zurückzuführen auf einen Sieg der Neoklassik, für deren Anhänger in ihrer fanatisch antietatistischen Marktanbetung jede Staatsschuld des Teufels ist, über keynesianische Ansätze, denen zufolge Staatsschulden eine stabilisierende Funktion zukomme, mithin ein wirtschaftspolitisches Instrument seien.
Das ist zwar nicht falsch, sagt aber nichts über dahinterstehende Interessen aus, denen sie, die Neoklassik, lediglich eine ideologische Begründung liefert.
Der tendenzielle Fall der Profitrate – immer mehr totes Kapital in Form von Maschinen und Anlagen steht einer kleiner werdenden Profitmasse gegenüber – erscheint den Managern des Kapitals als Mangel profitabler Anlagemöglichkeiten. Infolgedessen gerieten bis dahin staatlich organisierte Bereiche in den Blick, die – innere Landnahme des Kapitals – der Verwertung und der Gewinnerzeugung unterworfen werden sollten. Begleitet vom Mantra des »schlanken Staates« war die Privatisierung von Post und Verkehr, von Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, von Krankenhäusern und Müllentsorgung ein schlagender Ausdruck dieser kapitalistischen Expansion.
Klar ist, wo der Staat sich »verschlankt« und Unternehmen immer geringer besteuert, beschneidet er seinen finanziellen Spielraum, den er mittels Schuldenaufnahme wieder kurzfristig erweitern kann. Wer sich aber verschuldet, muß früher oder später zurückzahlen.
Woher kommen die Mittel zur Schuldenbegleichung? Die Möglichkeiten lauten: Kürzungen der staatlichen Ausgaben oder Steuererhöhung. Da dies nach Maßgabe des Kapitals und seiner neoklassischen Adepten nicht in Frage kommt, lautet die seit Jahrzehnten erfolgreich empfohlene Medizin, der Staat möge seine öffentliche Schuld auf ein Minimum begrenzen. Die verfassungsrechtlich fixierte Schuldenbremse ist da nur die einstweilen höchste Dosis.
Bei allem gegenwärtigen Gerede vom haushaltspolitischen Versagen der amtierenden Regierung sollte deutlich werden, daß der Kern der ganzen Angelegenheit in einem Verteilungskampf zwischen der lohnabhängigen Klasse und der Klasse des Kapitals besteht. Schon jetzt werden Forderungen nach Streichung der staatlichen Sozialleistungen laut. Verschärfte Austeritätspolitik, wie sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut zu befürchten steht, geht immer einher mit politischer Formierung und ideologischen Kampagnen, die kollektive Gegenwehr verhindern sollen. Die Stimmungsmache gegen -(migrantische) »Schmarotzer« dürfte in der nächsten Zeit noch schriller werden.