Ausland30. August 2022

Wem gehört der ukrainische Weizen?

Konzerne und Investmentfonds aus den USA besitzen 17 Millionen der 60 Millionen Hektar der Ukraine

von Alain Jejcic

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Verkauf von Agrarland vor genau einem Jahr haben drei große transnationale US-amerikanische Konzerne fast ein Drittel des ukrainischen Ackerlandes erworben. Laut der »Australian national review« sollen die US-Amerikaner nun 17 Millionen der rund 60 Millionen Hektar der Ukraine (Gesamtfläche des Landes) besitzen; 28 Prozent der Ukraine sind also US-amerikanisches Eigentum!

Bekannte Namen

Die Käufer und Eigentümer sind bekannte USA-Firmen wie Cargill, Dupont und Monsanto. Weniger bekannt ist jedoch, daß sich hinter diesen berühmten Namen Investmentfonds verbergen – etwas obskure Finanzstrukturen, die für die »New-Age«-Handelspraktiken charakteristisch sind. Sie sind ziemlich obskur, aber mächtig und verfügen über ein atemberaubendes Kapital in Billionenhöhe (d.h. Tausende Milliarden Dollar). Zu den in der Ukraine tätigen Unternehmen gehören insbesondere Vanguard, Blackstone und Blackrock mit einem Kapital von 10, 6 bzw. 0,9 Billionen US-Dollar.

Um die Lage zu verdeutlichen, erwähnt die australische Zeitschrift das Beispiel Italiens, wo das nutzbare Kulturland 16,7 Millionen Hektar beträgt. Die Macht der Kiewer Marionetten hat also dazu geführt, daß drei US-amerikanische Unternehmen allein in der Ukraine jetzt mehr Ackerland besitzen als das G7-Mitglied Italien.

Wenn es um ukrainischen Weizen und dessen Export geht, stellt sich die Frage, worüber genau gesprochen wird. Warum werden die US-amerikanischen Investmentfonds systematisch nicht erwähnt, obwohl sie sehr wichtige Interessengruppen und Hauptnutznießer sind?

Wie es dazu kam

Neben dieser auf den ersten Blick rein wirtschaftlichen Frage stellt sich auch die Frage, wie und warum die Ukraine in diese Lage geraten ist.

Als das Land noch Teil der Sowjetunion war, gehörte das Land über die Landwirtschaftlichen Genossenschaften (Kolchos) dem Staat. Nach dem Ende der Sowjetunion erhielten die Bauern, die in den Kolchosen beschäftigt waren, das staatliche Land, das sie bis dahin bewirtschaftet hatten, in Pacht. Später wurde der Status dieses Landes geändert und es ging nach langwierigen Verwaltungsverfahren in den Besitz der ehemaligen Kolchosbewohner über, die es zuvor bewirtschaftet hatten.

Danach folgte eine kurze Zeit, in der Transaktionen, d.h. der Kauf und Verkauf von Land, erlaubt waren. Ab 2001 wurde jedoch ein Moratorium verhängt, das alle weiteren Transaktionen unterband. Dieser Zustand hielt in den folgenden 20 Jahren bis 2021 mehr oder weniger an.

Nutznießer der Privatisierung von Volkseigentum

Da sie das Land weder verkaufen noch kaufen konnten, standen viele ehemalige Kolchosbewohner, die nach dem Zerfall der Sowjetunion formal zu Eigentümern geworden waren, vor der Wahl, das Land entweder wie zuvor weiter zu bewirtschaften oder, was für sie neu war, es für 150 Dollar pro Hektar und Jahr an »Betreiber« zu verpachten, die nach dem Zerfall der Sowjetunion »aus dem Nichts« auftauchten. Im Schatten des Moratoriums wurden die »Betreiber« zu echten Großgrund-Bewirtschaftern oder gar zu landwirtschaftlichen Monopolunternehmen. Auf diese Weise gehörte das Land zwar zumindest formal weiterhin den ehemaligen Kolchosbauern, doch in Wirklichkeit befand es sich in den Händen privater »Betreiber«, die ein wichtiges, wenn nicht angesichts der demografischen Bedeutung der ukrainischen Bauernschaft – die rund 30 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmacht – ein wesentliches Rädchen im Oligarchen-System an der Spitze der Ukraine darstellten.

Dennoch blieb die Frage des Eigentums an landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine ungelöst, ein wichtiges, zentrales politisches Problem, das im slawischen Land Ukraine besonders heikel ist. Die Qualität des ukrainischen Schwarzbodens, der zu den besten Ackerböden der Welt zählt, trug zu dieser traditionellen Herausforderung bei, zumal die ukrainische Agrarproduktion zunehmend am internationalen Handel teilnahm. Die Debatte darüber, ob das Moratorium für den Handel mit landwirtschaftlichen Flächen aufgehoben werden sollte und ob Ausländer die Möglichkeit haben sollten, in der Ukraine Land zu erwerben, wurde immer lauter. Nach und nach wurde die Idee mit der immer populäreren Öffnung des Landes durchgesetzt.

Der Demagoge Selenski

Wolodimir Selenski, der mit der Problematik vertraut war, schlug vor, die Frage dem Volk in einem Referendum vorzulegen. Auf Bauernkundgebungen verkündete er lautstark, daß »das Land den Ukrainern gehöre«, während er gleichzeitig »die Chinesen und Araber« brandmarkte, die sich seiner Meinung nach anschickten, »unser Land wagenweise wegzuschaffen«.

Die Debatte tobte und Selenski verstand es als geschickter Demagoge, mit der Stimmung im Volk zu spielen, um ihr eine nationalistische, chauvinistische und sogar fremdenfeindliche Ausrichtung zu verleihen.

Trotz der überwältigenden Mehrheit gegen die Abschaffung des Moratoriums für den Verkauf von Agrarland wurde mit Nachdruck die »Rechtfertigung« hervorgehoben. Dies sei notwendig, hieß es, da seit der Verabschiedung dieser Maßnahme viel Zeit vergangen sei, ohne daß das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, einen ausreichend transparenten Mechanismus geschaffen habe, um den Verkauf und Kauf von Land zu organisieren, wie es im Gesetz von 2001 vorgesehen war.

Gegen den Willen der Mehrheit

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, daß zur gleichen Zeit Meinungsumfragen ergaben, daß 81 Prozent der Befragten sich gegen den Verkauf von Land an Ausländer aussprachen und nur 13 Prozent den von der Regierung befürworteten Ansatz unterstützten. Zwei Drittel der Befragten waren der Ansicht, daß eine so wichtige Entscheidung durch ein Referendum getroffen werden sollte, während mehr als die Hälfte (58 %) der Meinung war, daß landwirtschaftliches Land nach dem Vorbild Kanadas und Israels (wichtige Referenzen für die ukrainische Öffentlichkeit) in staatlichem Besitz bleiben sollte.

Schließlich entschied der Internationale Währungsfonds, der größte Gläubiger der Ukraine, in seinem Bericht vom April 2021, daß die Abschaffung des Moratoriums eine Grundvoraussetzung für die Gewährung eines neuen Kreditpakets an die Ukraine sei. Die ukrainische Regierung tat dies gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit ihrer Bevölkerung. Seitdem hatten die »Betreiber« freie Hand, um das von ihnen verwaltete Land an »ausländische Investoren«, die Ultima Ratio des ukrainischen Wirtschaftssystems, weiterzugeben. Zuvor mußten sie das Land, wie es ihnen nun gesetzlich erlaubt war, von den ehemaligen »Kleinanlegern« aus den früheren Kolchosen erwerben. Die Operation, die in ihrer Art klassisch war und reibungslos verlief, wie die Zeitspanne zwischen der Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament und seiner Umsetzung – d.h. dem Erwerb durch die US-amerikanischen Unternehmen – beweist, brachte natürlich einigen Spekulanten und Ganoven, die der Kiewer Macht nahestanden, große Gewinne ein.

Nach der Einrichtung von etwa 30 US-amerikanischen Biolaboren auf ihrem gesamten Territorium fügte die Ukraine durch den massiven Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Flächen an transnationale Konzerne, die unter der Kontrolle US-amerikanischer Investmentfonds stehen, ihrer atlantischen Ausrichtung eine weitere Dimension hinzu. Die biologischen Labors haben ihre Geheimnisse noch nicht preisgegeben, aber was die landwirtschaftlichen Flächen betrifft, scheinen die Dinge einfacher zu sein, wenn man die Frage beantwortet: Ist der Weizen, der aus der Ukraine exportiert wird, amerikanisch.

 

Der Text von Alain Jejcic ist erstmals am 3. August
im marxistischen Blog
»La Librairie tropiques«
erschienen

 

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Getreidefrachter aus der Ukraine

Der erste Frachter aus der Ukraine, der tatsächlich Getreide zur Linderung der Hungerkrise in Afrika geladen hatte, ist am 16. August aus dem ukrainischen Hafen Piwdennyj mit Weizen ausgelaufen – allerdings nicht in ukrainischem Auftrag, sondern im Auftrag der Organisation der Vereinten Nationen. Bis zu diesem Tag waren mehr als drei Wochen vergangen, seit am 22. Juli in Istanbul auf Druck der UNO und unter Vermittlung der Türkei zwischen der Ukraine und Rußland ein entsprechendes Abkommen ausgehandelt worden war.

Dieses Abkommen wurde damals von den Medien als großer Erfolg gefeiert im Kampf gegen den Hunger in Afrika und in der Welt. Dabei wurde allerdings außer Acht gelassen, daß der Anteil des Getreideexports der Ukraine etwa bei zehn Prozent liegt und der Anteil russischen Getreides deutlich höher. Der russische Export wurde jedoch durch zahlreiche Sanktionen behindert, die vom Westen im Rahmen des antirussischen Wirtschaftskrieges erlassen worden waren. Auch mit dem Abkommen von Istanbul wurden nicht alle Hindernisse beseitigt.

Die Ukraine nutzte das Abkommen propagandistisch groß aus und verkündete mehrere Tage lang das Ablegen von Schiffen von ukrainischen Häfen. Dabei wurde allerdings nicht oder nur am Rande erwähnt, daß die ersten rund 20 Schiffe nicht etwa die von der Hungerkrise betroffenen Länder Afrikas zum Ziel hatten, sondern andere Ziele ansteuerten, um mit dem Verkauf der Ladungen das Handelsbilanzdefizit der Ukraine zu verringern.

Die Ladung der »Brave Commander«, des ersten nach Afrika fahrenden Schiffes, von 23.000 Tonnen Weizen war im Rahmen des Welternährungsprogramms der UNO (WFP) für Äthiopien bestimmt. Neben dem Frachter in UNO-Auftrag machten sich nach Angaben des Koordinationszentrums in Istanbul am gleichen Tag vier weitere mit Weizen oder Mais beladene Schiffe aus der Ukraine auf den Weg. Sie liefen allerdings Häfen in der Türkei, Rumänien und Südkorea an.

ZLV/dpa