Gaza
Völkermord und von Menschen gemachte Hungersnot
UNO-Experten fordern alle Mitgliedstaaten auf, Israel zu stoppen
Im zweiwöchentlichen Bericht des UNO-Nothilfeprogramms OCHA über die Situation in Gaza heißt es, daß zwischen dem 27. August und dem 3. September 2025, also innerhalb einer Woche, 571 Palästinenser getötet und 2.318 verletzt wurden. Die Gesamtzahl getöteter Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 stieg auf 63.746 Personen, die Zahl der Verletzten wird mit 161.245 angegeben.
Die Zahl der Toten beinhaltet 280 Leichen, die kürzlich identifiziert werden konnten. Mindestens 2.339 Menschen wurden getötet, als sie auf der Suche nach Nahrungsmitteln waren. Diese Angabe bezieht sich auf den Zeitraum vom 27. Mai bis 3. September. Seit Mai werden Lebensmittel in Gaza von einer »Humanitären Gaza-Stiftung« verteilt, die von den USA und Israel betrieben wird. Quelle der Angaben ist das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza.
Nach israelischen Militärangaben wurde in der Berichtswoche (27.8.-3.9.) ein Soldat getötet. Die Gesamtzahl der israelischen Verluste im Gazastreifen seit dem 7.10.2023 liegt damit bei 456 Toten und 2.888 Verletzten. Insgesamt zählt Israel seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des palästinensischen Angriffs auf südisraelisches Gebiet östlich des Gazastreifens, 1.656 Tote. Von den entführten Israelis am 7. Oktober 2023 befinden sich noch 48 im Gazastreifen, 20 von ihnen sollen noch am Leben sein.
»Israel stoppen, bevor alle Journalisten in Gaza zum Schweigen gebracht worden sind«
Mit dieser Aufforderung haben UNO-Experten sich in einer öffentlichen Erklärung an alle Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen gewandt. Innerhalb von zehn Tagen hat die israelische Armee sechs weitere Journalisten getötet, berichten die UNO-Experten, die vom UNO-Menschenrechtsrat in Genf ernannt werden und weltweit die Lage von Menschenrechten untersuchen. Unter den zuletzt Getöteten waren mit Mariam Abu Dagga und Islam Abed zwei Frauen. Mariam Dagga arbeitete als Freiberuflerin für die Nachrichtenagentur AP, Islam Abed war Korrespondentin von Al Quds Today TV, einem palästinensischen Fernsehsender.
Mariam Abu Dagga wurde zusammen mit vier weiteren Journalisten – Mohammed Salama (Al Jazeera), Moaz Abu Taha (Freiberufler), Husam al -Masri (Reuters), Ahmed Abu Aziz (Freiberufler u.a. Middle East Eye) getötet, als ein israelischer Panzer zwei Mal gezielt auf das Al Nasser Krankenhaus feuerte, das im südlichen Gazastreifen liegt. Nach offiziellen israelischen Armeeangaben sollte »eine Kamera zerstört werden«, die angeblich von der Hamas dort installiert worden sei, um Angriffe auf die israelische Armee vorzubereiten. Inzwischen konnte nachgewiesen werden, daß sich ein erster Angriff gezielt gegen die Journalisten und ein zweiter kurz darauf auf die Rettungskräfte richtete, die sich um die Toten und Verletzten kümmerten. Islam Abed wurde bei einem gezielten Angriff auf ein Wohngebäude in Gaza Stadt am 31. August getötet. Auch ihr Mann und das gemeinsame Kind wurden getötet.
Mindestens 248 Journalisten wurden im Gazastreifen seit Beginn des Gaza-Krieges im Oktober 2023 von der israelischen Armee getötet, erinnern die UNO-Experten in ihrem Aufruf an die UNO-Mitgliedstaaten. Einerseits verweigere Israel ausländischen Medienvertretern den Zugang zu dem Kriegsgebiet, andererseits töte Israel »straffrei die lokalen Journalisten, die als einzige Professionelle der Welt die fortwährende Agonie des Völkermords und der Hungersnot« mit ihren Augen und Kameras abbildeten.
»Die Journalisten erleben selbst Hunger, sie verlieren ihre Familienangehörigen, sie schlafen in Zelten und werden vom israelischen Militär genauso angegriffen, wie die gesamte Bevölkerung von Gaza«, heißt es in dem Aufruf der UNO-Experten. »Sie haben nicht aufgehört, mutig über die grauenhaften Verbrechen zu berichten, die vom israelischen Militär begangen wurden.«
Großoffensive auf Gaza Stadt
Die jüngsten Morde an den Journalisten stünden in direktem Zusammenhang mit dem Angriff der israelischen Armee auf Gaza Stadt. Nur drei Wochen zuvor – am 10. August – hatte Israel gezielt ein Journalistenteam des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera getötet, darunter Anas al-Sharif, den Chefkorrespondenten für Al Jazeera Arabisch. Mit ihm wurden drei weitere Journalisten ermordet. Alle hatten sich in einem Journalistenzelt direkt am Al Shifa Krankenhaus in Gaza Stadt aufgehalten. Israel erklärte, es habe sich nicht um Journalisten, sondern um »Hamas-Terroristen« gehandelt. Belege dafür gibt es nicht.
Die UNO-Experten fordern eine »unabhängige kriminalpolizeiliche Untersuchung der Morde und Angriffe auf Journalisten in Gaza und in allen von Israel besetzten palästinensischen Gebieten«. Für die Opfer und überlebende Familienangehörigen müsse Wiedergutmachung geleistet werden und es müsse Gerechtigkeit geben. Die Straffreiheit Israels, die es nie zuvor in diesem Ausmaß gegeben habe, müsse ein Ende haben.
Weiter fordern die UNO-Experten vollständigen und freien Zugang für ausländische Medien – in der Hoffnung, daß deren Anwesenheit »ein gewisses Maß an Sicherheit für lokale Journalisten« sein könne. Die UNO-Mitgliedstaaten und alle zentralen UNO-Einrichtungen müßten sofort in diesem Sinne handeln, »bevor Israel die letzten Stimmen in Gaza ausschaltet«.
Israel exportiert Waffen in alle Welt
Aussagen des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz, keine Waffen mehr an Israel zu liefern, die in Gaza eingesetzt werden könnten, beziehen sich weder auf bereits vereinbarte Waffenlieferungen noch auf Waffen, die Israel für die Kampfjets und für Kriegsschiffe »zur Selbstverteidigung« benötige, so Merz am 8. August.
Einen Lieferstopp gibt es auch nicht für Waffen, die Deutschland von israelischen Rüstungskonzernen für die Bundeswehr kauft und importiert. So hat die deutsche Bundesregierung kürzlich einen Vertrag im Wert von 350 Millionen Euro mit dem israelischen Rüstungskonzern Rafael unterzeichnet, und zwar nach dem 8. August.
Laut einem Bericht des Internetportals Al Monitor und zahlreicher militärischer Fachzeitschriften teilte die Firma Rafael am 26. August mit, man werde die deutsche Luftwaffe mit modernen Präzisionssystemen für Kampfjets beliefern. Der Handel sei vom deutschen Bundestag abgesegnet worden. Dabei geht es um 90 Litening 5 Pods für die Eurofighter Typhoon, die die Zielgenauigkeit der Raketen und die Aufklärungsmöglichkeit der Kampfjets erweitern.
Derzeit werden diese Präzisionssysteme made in Israel von den Luftwaffen in 28 Staaten weltweit eingesetzt. Der Verkauf füllt Israels Kriegskasse. Die Präzisionssysteme kommen auch bei Angriffen der israelischen Luftwaffe zum Einsatz, Gaza, Syrien, Iran und Libanon dienen als Testgelände.
»Friedhof für Nachrichten«
Die Journalisten von Gaza sind die genauesten Augenzeugen in diesem Krieg, den Israel als »Selbstverteidigung« bezeichnet und der von den USA, Deutschland, Britannien, Frankreich und anderen NATO-Staaten ungebrochen mit Geld, Waffen und Geheimdienstinformationen unterstützt wird. Die Berichte, Fotos und Filmaufnahmen füllen schon jetzt ein enormes Archiv, das eines Tages in einem Prozeß gegen die Politiker, Parteien und Militärs Israels die Kriegsverbrechen bezeugen kann, die seit dem 7. Oktober 2023 an den Palästinensern begangen werden.
Das Projekt »Kosten des Krieges«, das vom Watson Institut an der Brown Universität in Rhode Island (USA) seit 2001 fortgeführt wird, kommt in seinem Bericht »Friedhof für Nachrichten« zu dem Schluß, daß bereits jetzt im Gaza-Krieg mehr Journalisten getötet wurden als in jedem anderen Krieg seit dem US-amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865). Die Gefahren für die Journalisten seien »eine Gefahr für die ganze Welt«.
Vorbild für einen Kriegsverbrecherprozeß könnte der Nürnberger Prozeß sein, in dem sich faschistische deutsche Politiker, Beamte und Militärs für die Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges zu verantworten hatten. Der heutige Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser wird von Regierungsmitgliedern und Militärs in Israel ebenso wie von Medien und Teilen der Bevölkerung offen propagiert.
Schon zu Beginn des Krieges, den die Netanjahu-Regierung bis heute als »Selbstverteidigung« gegen den Angriff palästinensischer Kämpfer am 7. Oktober 2023 darstellt, erklärte der damalige Kriegsminister Yoav Gallant am 9. Oktober: »Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend«. Er ordnete die komplette Abriegelung des palästinensischen Küstengebietes an, jede Versorgung mit Strom, Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff wurde gestoppt.
USA-Administration will Prozeß verhindern
USA-Außenminister Marco Rubio teilte am Donnerstag mit, daß er gegen drei ausländische Nichtregierungsorganisationen gemäß der Exekutivanordnung 14203 Sanktionen verfügt habe. Die Anordnung richtet sich gegen den Internationalen Strafgerichtshof, der gegen Israel wegen des Verdachts auf Völkermord an den Palästinensern ermittelt. Das Verfahren war von Südafrika angestrengt worden und wird mittlerweile von zahlreichen Staaten unterstützt.
Die neuen Sanktionen der USA richten sich gegen die palästinensischen Menschenrechtsorganisationen Al Haq, Al Mezan Zentrum für Menschenrechte und gegen das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR). Ihr Ziel sei, wie vom Internationalen Strafgerichtshof angestrebt, gegen israelische Bürger Untersuchungen, deren Festnahme und Verfolgung einzuleiten. Dafür liege keine Zustimmung Israels vor, argumentiert Trumps Außenminister Rubio.
Rubio begründet die Strafmaßnahme gegen die Menschenrechtler damit, daß weder die USA noch Israel das Römische Statut unterzeichnet hätten und nicht der Autorität des Internationalen Strafgerichtshofes unterliegen. Man werde mit starken und spürbaren Konsequenzen »unsere Truppen, unsere Souveränität und unsere Verbündeten vor dem Internationalen Strafgerichtshof beschützen« tönte er.