Militär soll »lebenswichtige Interessen und Verbindungswege Italiens« sichern
Italiens Militär derzeit an 40 Kriegseinsätzen im Ausland beteiligt. Verfassung lehnt Krieg als »Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten« ab
Italien ist gegenwärtig auf drei Kontinenten an rund 40 Kriegseinsätzen beteiligt. Abzüglich der letzten aus Afghanistan heimkehrenden 800 von zeitweise bis zu 5.000 Soldaten nehmen 9.449 Angehörige der Forze Armate außerhalb Italiens an militärischen »Missionen« teil. Ihre Zahl ist seit 2020 unter der Mitte-Links-Regierung aus dem sozialdemokratischen Partito Democratico und der Fünf Sterne-Bewegung von Premier Giuseppe Conte um 26 Prozent gestiegen, berichtete das kommunistische Onlineportal »Contropiano« am Mittwoch. Der Umfang dieser Kriegseinsätze, die gegen Artikel 11 der Verfassung verstoßen, der den Krieg als »Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten« ablehnt, ist in der Öffentlichkeit des Mittelmeerlandes bisher kaum bekannt.
Italien beteiligte sich militärischen Interventionen der NATO-Staaten und auch an Einsätzen unter UNO-Flagge, deren Zahl nach dem Ende der UdSSR und der europäischen sozialistischen Staaten 1989/90 massiv anwuchs. Die 1992 beginnenden Einsätze schlossen frühere Kolonien bzw. von Italien besetzte Länder – Libyen, Äthiopien, Eritrea, Somalia und Albanien ein. So beteiligte sich Italien an der Zerschlagung Jugoslawiens in Bosnien-Herzegowina, in Mazedonien, in Serbien, im Kosovo, in Albanien und auch an den NATO-Luftüberfällen auf Jugoslawien 1999. Italiens Militärs intervenierten im Sudan, in Ruanda, in Äthiopien, Eritrea, Marokko, im Libanon und in Kuwait, diee Kriegsmarine war bei Einsätzen im Roten Meer, im Persischen Golf und im Indischen Ozean dabei.
Im von Serbien abgespaltenen Kosovo hat Italien derzeit das Kommando über die zur »NATO-Mission Joint Enterprise« gehörende KFOR-Truppe. In der Straße von Hormus, die den Golf von Oman mit dem Persischen Golf verbindet und Schauplatz der Eskalation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist, leistet Italiens Luftwaffe Unterstützung für die von Frankreich befehligte politisch-militärische »Operation Emasoh« von Militärs aus acht europäischen Ländern.
Starke Präsenz zeigt Italien weiterhin in Somalia, das am Horn von Afrika an den Indischen Ozean angrenzend von besonderer strategischer Bedeutung ist. Hier ist italienisches Militär seit über einem Jahrzehnt an der »Mission Eucap Somalia« beteiligt, befehligt die europäischen Einsätze »Eunavfor Atlanta« und »EUTM Somalia« und stellt Truppen für den UNO-Einsatz »UNSOM« Laut einem kürzlich versandten Newsletter der »International Affairs« schätzt Italiens Regierung die militärische und politische Präsenz in Somalia und im Nahen Osten als »von größter strategischer Bedeutung für das Land« ein. Eingeschlossen seien Gebiete, die in der italienischen Vision jetzt als die Region des »erweiterten Mittelmeers« definiert werden. Rom gehe davon aus, daß die USA hier wegen ihrer strategischen Verlagerung in den »Indopazifik« weniger Interesse zeigten.
Im Irak, wo Italien bis 2006 an der Seite der USA 1.900 Soldaten eingesetzt hatte, wird Rom ab Mai 2022 die Führung der NATO-»Mission« Irak übernehmen, vorgeblich, um lokale Kräfte im »Kampf gegen den IS« auszubilden und zu unterstützen, die Kontrolle der Landesgrenzen zu stärken und »die Souveränität des Irak wiederherzustellen«.
Ein Großteil der Kriegseinsätze findet in Afrika statt. Dazu zählen Einheiten für die »Task Force Takuba« zur »Abwehr terroristischer Bedrohungen« in Niger und Mali sowie Luftunterstützung zur Überwachung des Golfs von Guinea. In Libyen nahm Italiens Luftwaffe 2011 am Sturz von Staatschef Gaddafi teil, lieferte in den letzten Jahren der »libyschen Küstenwache« mehrere Kriegsschiffe und bildet deren Personal zur »Flüchtlingsabwehr« aus
Wie ein Bericht des Istituto Affari internazionali vom März 2020 offen betonte, geht es in den zumeist rohstoffreichen oder strategisch bedeutsamen Einsatzländern darum, Italiens »fundamentale ökonomische Interessen zu sichern«. Davon ging auch ein »Verteidigungsweißbuch« von 2015 aus, das den Artikel 11 der italienischen Verfassung zu umgehen versuchte, indem es dem Verfassungsauftrag, »die territoriale Integrität der Italienischen Republik zu verteidigen« hinzufügte, »lebenswichtige Interessen und Verbindungswege Italiens zu sichern«.