Ausland06. Januar 2022

Italien vor der Wahl des Staatspräsidenten

Faschistische Allianz inszeniert Schmierenkomödie

von Gerhard Feldbauer

Der Schleier ist gelüftet. Wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA meldete, hat Roberto Fico, der Präsident des Montecitorio, der Abgeordnetenkammer, bekannt gegeben, daß am 24. Januar die Versammlung zur Wahl des Staatspräsidenten zusammentreten wird. Sie besteht aus den Mitgliedern beider Parlamentskammern – Montecitorio und Senat – sowie Vertretern der 20 Regionen und autonomen Provinzen, die den Präsidenten für sieben Jahre wählt. In den ersten drei Wahlgängen sind zwei Drittel der 1.008 Stimmen, also mindestens 672 erforderlich, ab dem vierten reicht die absolute Mehrheit von 505 Stimmen. Es wird erwartet, daß der frühere Premierminister und Chef der faschistischen Forza Italia (FI), Silvio Berlusconi, und der derzeitige Regierungschef Mario Draghi ihre Kandidatur anmelden.

Damit beginnt eine Schmierenkomödie, denn mit der Unterstützung für Berlusconi will die faschistische Allianz in Wirklichkeit als Alternative die Kandidatur und Wahl Draghis sichern, was die vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) abgespaltenen Partei Lebendiges Italien (IV) Matteo Renzis unterstützt. Lega-Anführer Matteo Salvini und Georgia Meloni von den Brüdern Italiens (FdI) haben mit Berlusconi »einen nicht vorzeigbaren Mann« vorgeschlagen, damit Draghi »ein Kandidat sei kann«, vermerkte das linke »Manifesto«. Obendrein wollten die Faschisten, daß Draghi gleichzeitig weiter Premier bleibt und so den Weg für eine Präsidialrepublik ebnen.

Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi steht seit Januar 2021 einer so genannten »Regierung der nationalen Einheit« vor, der zusammen mit dem PD die Fünf Sterne-Bewegung (M5S), die Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) die Faschisten der Lega Salvinis und Berlusconis FI angehören. Diese Konstellation würde mit Draghi in das höchste Amt des Staates übertragen, in dem der Präsident bedeutend mehr politischen Einfluß besitzt als in den meisten anderen EU-Ländern. Er beruft den Premier und bestätigt die Minister, kann auch Minister-Kandidaten ablehnen. Er kann Grundfragen der Regierungspolitik beeinflussen, das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Mit Draghi würde, schreibt das kommunistische Onlineportal »Contropiano«, außerdem »der Vertreter des Großkapitals, der Superreichen und der EU gewählt, um die neoliberale Politik zu konsolidieren, zu deren Ergebnis 140.000 Tote und der Höchststand an Infizierten seit Beginn der Pandemie« gehören.

An der Spitze der Proteste gegen eine Kandidatur Draghis steht die antikapitalistische Partei Potere al Popolo, die einen Appell »Nein zu einem Präsidenten der Republik Draghi und gegen die autoritäre Tendenz in unserem Land« verfaßt hat, den bisher über 150 Persönlichkeiten – Professoren, Staatsanwälte, Künstler, Schriftsteller, Politiker, führende Basis-Gewerkschafter und führende Funktionäre der Metallarbeitergewerkschaft FIOM unterzeichnet haben. Unter ihnen der frühere Staatsanwalt, von 2011 bis 2021 Bürgermeister von Neapel, Luigi de Magistris, der frühere Senator der Rifondazione Comunista Giovanni Russo Spena, der ehemalige Professor an der Universität Federico II in Neapel Giuseppe Aragno, der Autor und Direktor von »Red Star Press« Cristiano Armati.

Bisher hat das Amt mit Sergio Mattarella ein Politiker mit einem antifaschistischen Hintergrund inne. Er war Anhänger des Politikers der Democrazia Cristiana und Ministerpräsidenten (1963 bis 1968 und 1974 bis 1976) Aldo Moro, der wegen seiner Zusammenarbeit mit den Kommunisten 1978 einem Mordkomplott von Faschisten und CIA zum Opfer fiel. Mattarellas Bruder Piersanti wurde als Regierungschef der Region Sizilien am 6. Januar 1980 ebenfalls aus ähnlichen politischen Gründen ermordet.

Kräfte der linken Mitte, darunter der mehrfache Premierminister Romano Prodi, versuchten, den 80-jährigen Mattarella für eine Wiederwahl, zumindest für eine halbe Amtszeit, zu gewinnen. Er hat bisher abgelehnt, ist aber noch nicht zurückgetreten. Laut Medien könnte er seine Entscheidung angesichts eines gemeinsamen Appells von Parteien, die die »erforderlichen Quoten« für seine Wahl erreichen, »noch einmal überdenken«. Diese Möglichkeit scheint die 5-Sterne-Bewegung herbeiführen zu wollen, die sich laut einer ANSA-Meldung vom Dienstag »überraschenderweise fast einstimmig für Mattarellas Wiederwahl äußerte«. PD-Chef Enrico Letta habe, so das »Manifesto«, ebenfalls bekräftigt, »die direkte Linie mit M5S-Chef Giuseppe Conte mit zu verfolgen«.