Ausland19. Mai 2009

Bildet und bewegt Euch!

1919 erschien in Italien erste Nummer der kommunistischen »L’Ordine Nuovo«

Die Lage in Europa wurde im Ergebnis des Ersten Weltkrieges und unter dem Einfluß der Oktoberrevolution von revolutionären Kämpfen charakterisiert. Die Parteien der II. Internationale, die bei Ausbruch des Krieges auf die Seite des Imperialismus übergegangen waren, wurden nun auch dessen Verbündete im Kampf gegen die revolutionäre Bewegung.

Auf die Tagesordnung der Geschichte trat die Trennung von Opportunisten in Gestalt der Bildung neuer revolutionärer Parteien, die sich in Abgrenzung von den sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien nach dem revolutionären Endziel »kommunistische« nannten. Auf internationaler Ebene ging es um die Schaffung einer neuen Organisation, der Kommunistischen Internationale (KI), um den erfolglosen Bestrebungen der opportunistischen Führer, die zusammengebrochene II. Internationale wiederherzustellen, entgegenzuwirken und den revolutionären Nachkriegskämpfen sowie dem dazu notwendigen Formierungsprozeß der kommunistischen Parteien eine klare Orientierung zu geben.

In Italien zögerten die revolutionären Linken, eine kommunistische Partei zu bilden. In ihrer sozialistischen Partei ISP waren sie in der Anfangsphase der revolutionären Nachkriegskämpfe 1919/20 noch die dominierende Kraft. Dem italienischen Imperialismus war es aufgrund seines ökonomischen Rückstandes nicht gelungen, eine etwa mit der deutschen vergleichbare Arbeiteraristokratie und damit einen die Arbeiterbewegung beherrschenden Reformismus hervorzubringen. Die ISP bekannte sich zur Oktoberrevolution und beantragte ihre Aufnahme in die KI. Davon ausgehend versuchte Antonio Gramsci, in der Partei den Bruch mit dem Opportunismus durchzusetzen und sie in eine revolutionäre, also kommunistische umzuwandeln.

Gramscis Offensive

Ausgehend von der Rolle, die Lenin einer Zeitung bei der Schaffung einer marxistischen Partei in Rußland beigemessen hatte – kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator zu sein –, gründete Gramsci mit seinen Genossen Palmiro Togliatti, Angelo Tasca, Umberto Terracini die Zeitschrift »L’Ordine Nuovo« (Neue Ordnung), deren erste Ausgabe am 1. Mai 1919 erschien. Im Untertitel hieß es: »Bildet Euch, denn wir brauchen all Eure Klugheit. Bewegt Euch, denn wir brauchen Eure ganze Begeisterung. Organisiert Euch, denn wir brauchen Eure ganze Kraft.«
Es gelang, neben proletarischen Autoren hervorragende Intellektuelle zur Mitarbeit zu gewinnen. In L’Ordine Nuovo schrieben Arbeiterkorrespondenten und Arbeiterdichter, pazifistische Intellektuelle der Weltliteratur wie Romain Rolland, Henri Barbusse, Walt Whitman und Maxim Gorki.

Die »Ordinuovisten« bekannten sich zur Oktoberrevolution, zur Diktatur des Proletariats und zur KI. Auf dem ISP-Kongreß im Oktober 1919 in Bologna konnten sie ihren Standpunkt weitgehend im neuen Parteiprogramm durchsetzen. Lenin sah das als einen »glänzenden Sieg des Kommunismus«, warnte aber vor Illusionen. Er sollte Recht behalten: Zwar erreichte die ISP bei den Wahlen im November 1919 32,4 Prozent und war mit 156 Parlamentssitzen stärkste Partei geworden. Sie konnte aber den Wahlsieg nicht in revolutionäre politische Macht umwandeln, da die meisten gewählten Abgeordneten Reformisten und Zentristen waren, deren These vom »friedlichen Hineinwachsen in den Sozialismus« Auftrieb erhielt.

Die Anhänger von »L’Ordine Nuovo« gingen in die Offensive. Am 8. Mai 1920 legte Gramsci ein Programm vor für die Umwandlung der ISP in eine »Partei des revolutionären Proletariats«, die für »die Zukunft einer kommunistischen Gesellschaft« eintritt. Es war eine Kompromißformel, mit der er auf den von den Zentristen abgelehnten Namen »Kommunistische Partei« verzichtete. Entscheidend war die Forderung (Punkt 7 der Aufnahmebedingungen in die KI) nach dem »vollständigen und absoluten Bruch mit dem Reformismus und mit der Politik der Zentristen«. Punkt 20 der Aufnahmebedingungen legte dann fest, für die Zentristen »Ausnahmen zu machen«.

Kampffront bröckelt

In seiner Rede »Über den Kampf innerhalb der Italienischen Sozialistischen Partei« im November 1920 ging Lenin von der Lage in Italien aus, wo die Arbeiter zuvor alle Großbetriebe Norditaliens besetzt und Fabrikräte gewählt hatten, welche die Leitung der Produktion übernahmen. Weiterhin bildeten sie bewaffnete »Rote Garden«. Im Süden nahm die Inbesitznahme von Ländereien der Großgrundbesitzer teilweise Massencharakter an. Die Regierung hatte das durch ein Dekret legalisieren müssen.

Es reifte eine klassische revolutionäre Situation heran. Millionen streikten für den Sturz der Ausbeuterordnung. Der bürgerliche Staat geriet in eine tiefe Krise. Der Sturz des bürgerlichen Kabinetts und die Bildung einer linken Regierung wurden zu einer realen Möglichkeit.

Lenin stärkte den »Ordinuovisten« in der Auseinandersetzung mit den Reformisten und Zentristen der eigenen Partei den Rücken und betonte, die »Partei des revolutionären Proletariats in Italien« müsse in den gegenwärtigen Kämpfen »zur wirklichen Vorhut des revolutionären Proletariats« werden. Als am 15. Januar 1921 in Livorno der XVII. Parteitag der ISP seine Beratungen über die Zukunft der Partei begann, vertrat »L’Ordine Nuovo« 58.783 Mitglieder, die Zentristen zählten 98.028 und die Reformisten 14.695.

Gramsci suchte eine Übereinkunft mit den Zentristen zur Durchsetzung des Programms von Bologna. Ihr Führer, Giacinto Menotti Serrati, war in den meisten Fragen ein revolutionärer Sozialist, hatte ab 1914 als Chefredakteur des »Avanti« konsequent die Antikriegsposition vertreten und sich in Zimmerwald 1915 und Kienthal 1916 Lenin angenähert.
Den Reformisten war es jedoch Ende 1920 gelungen, eine Bresche in die Kampffront der Arbeiter Norditaliens zu schlagen. Sie traten für einen Kompromiß mit dem Kapital ein, definierten die Arbeiterkontrolle der Fabrikräte als »konstruktive Zusammenarbeit« mit den Unternehmern und wandten sich gegen die Fortsetzung der revolutionären Aktionen«. Die Gewerkschaften ordneten sich dem unter, die Fabrikräte lösten sich auf oder wurden von der Polizei zerschlagen.

Serrati beugte sich dem Argument, die Einheit der Partei zu wahren, mit dem die Zentristen den Ausschluß der Reformisten ablehnten. Am Ende der fünftägigen erbitterten Debatte verließen die Kommunisten am 21. Januar 1921 den ISP-Kongreß und gründeten den Partito Communista Italiano, die Kommunistische Partei. Saretti brach 1924 mit den Reformisten und trat der IKP bei, die ihn in ihr Zentralkomitee aufnahm.
Angesichts der drohenden faschistischen Gefahr, die im Oktober 1922 zur Machtergreifung Mussolinis führte, war die IKP-Gründung unumgänglich geworden. Ohne IKP wäre es nicht möglich gewesen, eine nationale antifaschistische Strategie der Arbeiterklasse als die entscheidende Grundlage des Kampfes gegen den Faschismus zu erarbeiten.

Gerhard Feldbauer