Vor 45 Jahren
Hammer, Zirkel und Ährenkranz im Kosmos (1)
Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR
Am 26. August 1978, startete auf dem sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe an Bord der sowjetischen Trägerrakete »Sojus 31« der erste Deutsche mit über 20 Millionen PS ins Weltall: Sigmund Jähn, dem ersten und einzigen Fliegerkosmonauten der DDR, wurde die Ehre zuteil, als dritter nicht-sowjetischer Kosmonaut den Weltraum zu erobern.
Vor ihm starteten im Rahmen des internationalen sowjetischen Forschungsprogramms »Interkosmos« am 2. März 1978 die Kosmonauten Vladimír Remek aus der Tschechoslowakei an Bord der »Sojus 28«, gefolgt vom Polen Miroslaw Hermaszewski am 27. Juni mit der »Sojus 30«. Kleine Notiz am Rande: Remek wurde übrigens 36 Jahre später, von Januar 2014 bis Januar 2018, Botschafter der Tschechischen Republik in Moskau.
Zwischen 1978 und 1988 nahmen Interkosmonauten aus insgesamt zehn Partnerländern (Bulgarien, DDR, Kuba, Mongolei, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn, Vietnam) des Interkosmos-Programms an bemannten Raumflügen der UdSSR teil. Moskau verfolgte damit verschiedene Ziele. Die hohen Kosten sollten durch die aktive Beteiligung mehrerer Länder, auch auf technischem Gebiet, gesenkt und die Zusammenarbeit mit den Partnerländern gefördert werden. Außerdem wollte die Sowjetunion den USA bei internationalen Kooperationen zuvorkommen.
Sigi, der Forschungskosmonaut
Zuerst sollte der Militärpilot der Nationalen Volksarmee aus dem Vogtland Sigmund Jähn mit dem erfahrenen Kosmonauten Alexei Archipowitsch Leonow ins Weltall aufbrechen, startete aber an Bord der »Sojus 31« zusammen mit dem Kosmonauten Waleri Fjodorowitsch Bykowski, der schon 1963 die erste Frau im Weltall, Walentina Wladimirowna Tereschkowa, bei einem Tandemflug zweier »Wostok«-Kapseln »begleitet« hatte.
Nach seiner Kosmonautenausbildung startete der DDR-Bürger Sigmund Jähn am 26. August 1978 um 15.51 Uhr Mitteleuropäischer Zeit in Baikonur und flog zusammen mit Kommandant Waleri Bykowski als Forschungskosmonaut zur Raumstation »Saljut 6«. Drei verschlossene Umschläge erhielten an diesem Tag die Chefredakteure aller DDR-Zeitungen und Radiosender. Erst auf telefonische Weisung des Zentralkomitees der SED hin durfte einer davon geöffnet werden. Er enthielt Fotos, vorgeschriebene Texte und die zu verwendende Überschrift: »Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR«.
Die anderen beiden Umschläge wurden später abgeholt und ungeöffnet vernichtet. Sie enthielten die Handlungsanweisungen für die Fälle: Der Kosmonaut ist tödlich verunglückt beziehungsweise das Raumschiff mußte auf feindlichem Gebiet landen.
Einen Tag später koppelte die Besatzung an die orbitale Station an. In der Station führte Sigmund Jähn in einer knappen Woche insgesamt 25 Experimente aus den Bereichen Fernerkundung der Erde, Medizin, Biologie, Materialwissenschaften, Biologie, Psychologie, Raumflugtechnik und Geophysik durch. Bei der Erdfernerkundung kam auch die weltweit legendäre einmalige Multispektralkamera »MKF-6M« zum Einsatz – einer der technischen Beiträge aus der DDR zum sowjetischen Weltraumprogramm.
Am 3. September 1978 kehrten Jähn und Bykowski nach 124 Erdumkreisungen und einer Flugdauer von sieben Tagen, 20 Stunden und 49 Minuten mit dem Raumschiff »Sojus 29« wieder zur Erde zurück und landeten recht unsanft und ruppig, um 12.40 Uhr MEZ in Kasachstan. Da die Kapsel am Fallschirm ein Stück durch die Steppe geschleift wurde und sich mehrfach überschlug, verletzte Jähn sich am Rücken.
Sigi, der Himmelsstürmer
Berlin, die Hauptstadt der DDR, hatte im Spätsommer 1978 nichts dem Zufall überlassen, erst recht nicht die mediale Verkündung des Erfolgs gegenüber dem Westen: Sigmund Jähn war als erster Deutscher ins Weltall geflogen.
Die Führung der DDR erhoffte sich von Sigmund Jähns knapp achttägigem Flug einen erheblichen Prestigegewinn. Dem wirkte die bis zum Start geltende Geheimhaltung entgegen. Weder die Namen der Beteiligten, noch die Termine oder Daten durften genannt werden. Erst nach dem erfolgreichen Start berichteten die DDR-Medien über den »fliegenden Vogtländer«, der später als »Sigi – der Himmelsstürmer« zum Idol einer ganzen Generation wurde.
Als der erste Deutsche im All erfolgreich zur Raumstation »Saljut 6« aufbrach, war dies ein Schock für die Bundesrepublik Deutschland. Niemand hatte es damals für möglich gehalten, daß ausgerechnet ein Kosmonaut aus der DDR als erster Deutscher ins Weltall fliegen würde. Möglich machte dies das von der sowjetischen Raumfahrtbehörde nach der erfolgreichen Mondlandung der USA aufgelegte Programm »Interkosmos«, welches Mitte der siebziger Jahre in der UdSSR umgesetzt wurde. Das Programm ging einher mit dem sukzessiven Bau der ersten Raumstationen »Saljut«.
Die öffentliche Wirkung von Sigmund Jähns Flug hatte die politische Führung richtig eingeschätzt. Der Jubel der Massen galt dem sympathischen, bescheidenen und zurückhaltenden Vogtländer.
Nach seinem Flug wurde »Sigi«, der Himmelsstürmer mit den Titeln »Held der DDR« und »Held der Sowjetunion« ausgezeichnet. Die sozialistische Welt feierte ihn als Helden, im neidischen Westen dagegen blieb sein Name lange Zeit weitgehend unerwähnt. Dabei war er der erste Deutsche im All und der 90. Raumfahrer überhaupt.
Sigi, ein Leben für die Weltraumfahrt
Nach der erfolgreichen Raumfahrtmission wurde Sigmund Jähn 1978 zum Oberst befördert und war von 1979 bis 1990 Chef des Zentrums für Kosmische Ausbildung im Kommando LSK/LV. Im Jahr 1983 promovierte er am Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR in Potsdam auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde. Seine Doktorarbeit beruhte unter anderem auf den gemeinsamen wissenschaftlichen Ausarbeitungen und Auswertungen seines Fluges. Am 1. März 1986 wurde Sigmund Jähn zum Generalmajor ernannt und gehörte zu den letzten Kommandostabsoffizieren, die aus der NVA entlassen wurden und für die es kein Verbleiben geben sollte.
Nachdem die bundesdeutsche Luft- und Raumfahrtorganisation DLR auch mit der russischen Raumfahrtbehörde zusammenarbeitete, wurde Sigmund Jähn in den letzten 15 Jahren Berater und Mitarbeiter der europäischen Weltraumagentur ESA am russischen Raumfahrtzentrum.
Sigmund Jähn lebte bis zuletzt in aller Bescheidenheit in Strausberg in der Nähe von Berlin und verstarb vor vier Jahren, am 21. September 2019. Er wurde auf dem evangelischen St.-Marien-Friedhof in Strausberg beigesetzt – als Atheist, wie es hieß.
Zur guten Letzt noch ein denkwürdiges Wort von Sigi, dem es vor 45 Jahren vergönnt war, einen Blick auf unseren blauen Planeten Erde aus dem Weltall zu werfen:
»Der Mensch ist so weit fortgeschritten, wissenschaftlich, technisch, daß er mit Raumschiffen um die Erde fliegt. Und auf der Erde schlägt er sich mit dem anderen die Birne ein wie in der Steinzeit. Das kommt einem schon sehr plastisch vor, wenn man in 90 Minuten einmal rum ist um diese kleine Erde.«
Sigmund Jähns achttägiger Weltraumaufenthalt stellt zweifellos einen Höhepunkt in der Geschichte der Raumfahrt in der Deutschen Demokratischen Republik dar.