Ausland28. März 2023

»Panzer-Killer«

Britannien rüstet Panzer für die Ukraine mit DU-Munition aus. Abgereicherte Uranmunition verseucht Gebiete für Generationen

von Karin Leukefeld

Britannien will die Ukraine mit 14 Panzern »Challenger 2« unterstützen. Mitgeliefert werden soll auch panzerbrechende Munition, bekannt als DU-Munition. DU steht für »Depleted Uranium« – abgereichertes Uran.

Die mit dem Abfallprodukt aus der Atomproduktion gehärteten Projektile sehen wie »schwere Metallspeere« aus. Sie enthalten Uran 238, erklärt Johann Höcherl, Experte für Waffen- und Munitionstechnik an der Hochschulde der Bundeswehr in München. Die »sehr wirksame Waffen im Panzerduell« flögen sehr weit und hätten aufgrund der hohen Dichte eine hohe Durchschlagskraft, wird Höcherl in einem Bericht des RadioNetzwerkDeutschland (rnd, 24.03.2023) zitiert. Uran 238 bezeichnet Höcherl als »relativ günstig«, es habe »sehr gute ballistische Eigenschaften auf der Flugbahn und im Ziel«.

Todesstaub

Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Herstellung von Reaktorbrennelementen. Die Munition explodiert im Inneren eines Ziels, wird vorwiegend als Waffe gegen gegnerische Panzer eingesetzt und hat den sofortigen Tod der Panzerbesatzung zur Folge.

Es setzt zudem einen giftigen, radioaktiven Staub frei. Wird dieser Staub eingeatmet, entwickelt die Radioaktivität im Körper Krebs und Genveränderungen. Männer, die den Staub einatmen, zeugen Kinder mit Fehlbildungen oder Krebserkrankungen. Schwangere Frauen, die den Staub einatmen, bringen kranke oder tote Kinder zur Welt. Dringt der giftige, radioaktive Staub ins Erdreich, ins Wasser und Grundwasser, vergiftet er die Natur und gerät in die Nahrungskette.

Wird dieser Staub vom Wind davongetragen, können auch Gebiete und Gewässer in großer Entfernung vom eigentlichen Angriffsziel vergiftet und radioaktiv verseucht werden. Der Irak versuchte verschiedene Male, von den USA und Britannien Entschädigung für die Folgen der eingesetzten DU-Munition zu erhalten, ohne Erfolg.

DU in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien

In den Kriegen in Jugoslawien, Afghanistan und im Irak führte der massive Einsatz dieser panzerbrechenden Munition durch die Streitkräfte der USA und Britanniens sowie möglicherweise anderer NATO-Staaten zu schweren gesundheitlichen Schäden für die Zivilbevölkerung und zur Verseuchung der Natur. Auch in Syrien setzte die USA-Armee DU-Munition ein.

UNO-Organisationen halten sich mit ihren Untersuchungen über die lang anhaltenden Folgen zurück, zumal USA und Britannien selten Angaben über die von ihnen eingesetzten Mengen von DU-Munition vorlegen. Washington und London spielen die Gefährlichkeit herunter und weisen den Zusammenhang zwischen DU-Munition und den schweren Erkrankungen von USA-Kriegsveteranen zurück, die in den Irak-Kriegen 1991 und 2003 eingesetzt waren.

Italienische Soldaten sterben nach Einsatz im Kosovo

Bisher hat lediglich Italien einen Zusammenhang zwischen DU-Munition und verschiedenen Krebserkrankungen ihrer Soldaten bei Einsätzen im Kosovo und Bosnien eingeräumt und Entschädigungen gezahlt. Italien war von der NATO erst 2001 über den Einsatz von DU-Munition in Bosnien (1995) informiert worden. Mitte Dezember 2017 berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA, daß 348 italienische Soldaten, die im Kosovo und Metohija eingesetzt waren, an den Folgen der DU-Munition gestorben sind. Ein Untersuchungsausschuß des italienischen Parlaments gab an, die Soldaten seien nach ihren Einsätzen in dem Gebiet an Leukämie und anderen Krebsarten erkrankt.

London hat Orientierung verloren

Die russische Regierung reagierte umgehend auf die offizielle Ankündigung aus London. Rußland werde »gezwungen sein zu reagieren«, erklärte Präsident Wladimir Putin. DU-Munition verfüge über eine »nukleare Komponente«. Der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte, London habe seine »Orientierung verloren«. Der Einsatz von DU-Munition verletzte das internationale humanitäre Völkerrecht sagte Lawrow und verwies auf deren Einsatz im Jugoslawienkrieg und im Irak.

Das britische Kriegsministerium wies die russische Kritik zurück. Es handele sich um »Standardmunition«, deren Einsatz nach wissenschaftlichen Untersuchungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften, der Royal Society, für Gesundheit und Umwelt nur »geringes Strahlenrisiko« bedeute. Seit Jahrzehnten werde diese Munition von der britischen Armee eingesetzt und habe »nichts mit Nuklearwaffen« zu tun, hieß es in einer Erklärung. In der BBC wurde der ehemalige Panzerkommandeur und chemische Waffenexperte Oberst Hamish de Breton-Gordon zitiert. Putin verbreite »klassische Falschinformation«, so der Militär. Die DU-Munition für Challenger-2-Panzer enthielten nur »Spuren von abgereichertem Uran«. Zu behaupten, diese Munition sei wie Nuklearwaffen, sei »lächerlich«.

DU im NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Der Angriff der NATO auf Jugoslawien am 24. März 1999 begann ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates und dauerte 78 Tage. Nach Behauptungen der NATO sollte »ein Völkermord an der albanischen Bevölkerung im Kosovo verhindert« werden. Ebenfalls nach eigenen Angaben flogen Kampfjets der beteiligten NATO-Staaten, darunter auch der deutschen Bundeswehr, 38.000 Einsätze. Mehr als 10.000 dieser Einsätze waren Bombenangriffe, auch mit abgereicherter Uranmunition.

Anläßlich einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffs der NATO auf Jugoslawien erklärte der serbische Präsident Aleksander Vucic, Serbien werde die NATO-Aggression nicht vergessen. »Vor 24 Jahren haben Sie unser Territorium zerrissen«, sagte Vucic in Richtung NATO. »Wer hat Ihnen das Recht dazu gegeben?«

Nach Angaben des »Belgrader Forums für eine Welt der Gleichen« wurden 15 Tonnen abgereicherte Uranmunition abgeworfen. Bis 2009 stiegen die Krebserkrankungen auf mehr als 30.000 Fälle an. Die Zahl der Menschen, die an Krebs starben liegt Schätzungen zufolge bei 10.000 – 18.000 Toten. Anwälte versuchen, die NATO für den Einsatz von DU-Munition gegen die Bevölkerung zu verklagen, bis heute ohne Erfolg.

Das »Belgrader Forum für eine Welt der Gleichen« ist ein Zusammenschluß serbischer Diplomaten, Analysten, Militärs und Mediziner. Es hat wiederholt die serbische Regierung aufgefordert, das juristische Vorgehen gegen die NATO stärker zu unterstützen. Belgrad hatte die Arbeit einer parlamentarischen Untersuchungskommission eingestellt. Vermutlich wurde die serbische Regierung von der EU als auch von der NATO unter Druck gesetzt, ein juristisches Vorgehen nicht zu unterstützen, wenn das Land in das westliche Bündnis einbezogen werden wolle, erklärte das Forum.

Anläßlich des Jahrestages zur Erinnerung an den Krieg gegen Jugoslawien 1999, hat das »Belgrader Forum« die serbische Regierung erneut aufgefordert, die Arbeit der parlamentarischen Kommission über die Folgen des Einsatzes von DU-Bomben bei der NATO-Aggression wiederaufzunehmen. Bis zum 25. Jahrestag des NATO-Krieges im kommenden Jahr solle die Regierung eine genaue Liste aller zivilen Kriegsopfer vorlegen. Weiterhin sollen alle Kapitel über die NATO-Aggression in Schulbüchern überarbeitet werden um sicherzustellen, daß die Ereignisse wahrheitsgemäß dargestellt werden.

DU-Munition im Irak-Krieg

Bereits im August/September 1995 war DU-Munition in Bosnien, im damaligen Jugoslawien eingesetzt worden. Darüber berichteten Mitglieder einer Expertengruppe aus der Republik Srpska bei einem »Internationalen Wissenschaftlichen Symposium über den Einsatz von abgereicherter Uranmunition und den Folgen für die Menschen und die Umwelt im Irak« in Bagdad. Die Expertengruppe hatte unbekannte Bombengeschosse untersucht, die nach Einsätzen von ausländischen Kampfjets in dem Gebiet Srpska gefunden worden waren. Es stellte sich heraus, daß die Geschosse aus US-amerikanischer Herstellung stammten und DU-Munition enthielten.

Die Untersuchungsergebnisse der Expertengruppe nutzte den Wissenschaftlern im Irak, die auf dem Symposium in Bagdad am 2./3. Dezember 1998 über die Folgen abgereicherter Uran-Munition in ihrem eigenen Land sprachen. Im Rahmen der von den USA geführten Militärintervention »Wüstensturm« 1991 gegen die irakische Armee waren rund 300.000 Kilogramm DU-Munition abgefeuert worden. Die Autobahn, auf der die irakischen Truppen sich aus Kuwait zurückzogen, wurde bekannt als »Autobahn des Todes«. Die Folgen des DU-Einsatzes – Anstieg von Krebserkrankungen, Totgeburten, Fehlbildungen bei Neugeborenen – wurden erst fünf, sechs Jahre später sichtbar.

Auch bei dem unter fadenscheinigen Vorwürfen geführten Angriff der USA und ihrer »Koalition der Willigen« gegen den Irak 2003 und der späteren Belagerung und Verwüstung der Stadt Falluja im April und im November 2004 wurden Schätzungen zufolge bis zu 2.000 Tonnen DU-Munition eingesetzt. Der Angriff der »Koalition der Willigen« erfolgte ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates und war daher ein Verstoß gegen Internationales Recht.

UNO fordert Aufklärung über DU-Munition

Seit 2007 befaßt sich die UNO-Generalversammlung in regelmäßigen Abständen mit dem Einsatz von Waffen und Munition mit abgereichertem Uran. Bei der bisher letzten Abstimmung am 7. Dezember 2022 erhielt die Resolutionsvorlage »Auswirkungen des Einsatzes von Waffen und Munition, die abgereichertes Uran enthalten« – wie bei vorherigen Abstimmungen – eine deutliche Mehrheit. Dem von Indonesien eingebrachten Text stimmten 145 Staaten zu. Fünf Staaten (Frankreich, Israel, Liberia, Britannien, USA) stimmten dagegen. 23 Staaten, darunter weitere NATO-Mitgliedstaaten und EU-Mitglieder enthielten sich.

Die Resolution wendet sich an den UNO-Generalsekretär, internationale Organisationen aufzufordern, ihre Untersuchungen zu aktualisieren und offenzulegen. Genannt werden ausdrücklich die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Länder, die diese Munition in den vergangenen Jahren eingesetzt haben, sollen ihre wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse veröffentlichen und mehr tun, um die Folgen und Gefahren zu verstehen und davor zu warnen. Die Länder, in denen DU-Waffen eingesetzt wurden, sollen bei der Entsorgung des giftigen und strahlenden Schrotts und bei der Beseitigung der Schäden an Umwelt und Gesundheit unterstützt werden.

Entwickelt vom USA-Militär im Kalten Krieg

Das Abstimmungsverhalten bei der Frage hat sich über die Jahre wenig verändert. Eine überwiegende Mehrheit der Staaten nimmt die Resolution an. Die Staaten, die selber Uran-Munition besitzen, einsetzen oder eingesetzt haben, lehnen die Resolution ab oder enthalten sich. Neben der Russischen Föderation betrifft das die NATO-Staaten und die meisten EU-Mitgliedstaaten.

DU-Munition wurde erstmals in den 1970er Jahren im Kalten Krieg von der USA-Armee entwickelt. Die Munition wird von Panzern und der Luftwaffe eingesetzt und gilt als »Panzer-Killer«. Aktuell entwickelt das USA-Militär neue DU-Munition, die von dem Abrams-Panzer M1A2 eingesetzt werden soll. Nach Angaben der Internationalen Kampagne für das Verbot von Uranwaffen (ICBUW) wird DU-Munition von den USA, Britannien, Rußland, China, Frankreich und Pakistan hergestellt. NATO-Länder und mit der NATO-verbündete Staaten sollen Uranwaffen lagern. Bisher ist nur bekannt, daß die USA und Britannien DU-Munition in großen Mengen im Irak und bei den Jugoslawienkriegen auf dem Balkan eingesetzt haben.