Übergewicht als gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Fit statt Fett
Es ist unübersehbar, der moderne Mensch wird immer dicker. Das hat zuweilen dramatische Folgen, längst nicht mehr nur für Betroffene. Dass es auch Interessengruppen gibt, die sich für das Recht auf üppige Formen und gegen Bodyshaming einsetzen, darf begrüßt werden. Es ist aus medizinischer Sicht aber weder zielführend noch eine Frage der Ästhetik…
Daraus folgt, dass trotz Aufklärungskampagnen und zahlreichen Hilfsangeboten, hierzulande 16% der Einwohner von Obesität betroffen sind. Betrachtet man nun die altersbedingten Unterschiede, wird schnell ersichtlich, dass das Problem in Zukunft noch größer und für die Allgemeinheit kostenintensiver werden wird. So sind inzwischen 21% der Kinder und Jugendlichen in der Altersklasse 11 bis 18 Jahre von Fettleibigkeit betroffen. Bei den Senioren im Alter von 65 bis 74 Jahre sind 23,7% betroffen.
Berücksichtigt man nun auch noch Bildungsniveau und wirtschaftlichen Wohlstand, werden weitere Differenzen sichtbar. 2019 lag der Anteil von Obesität bei Menschen mit geringer Schulbildung bei 28,7%. Bei Menschen mit höherer Bildung betrug der Anteil 9,9%. Auch in Haushalten mit einem hohen Einkommen sind die Unterschiede ähnlich. Daran erkennt man, dass sich die Politik auch weiterhin nicht für die Gesundheit, sondern nur für die Konzernprofite einsetzt.
Überlastete Gesundheitssysteme
Man mag sich einig sein, dass jeder Mensch sein Leben nach eigenem Gutdünken gestalten will. Das allerdings ist zuweilen ein gesamtgesellschaftliches Problem. So sollte man einsehen, dass Adipositas nicht nur eine Belastung für die Betroffenen ist. Das bekanntlich überlastete Gesundheitssystem könnte sehr gut auf die Zunahme von Herzkreislauferkrankungen und Diabetes verzichten, um nur einige Pathologien zu benennen. Und das nicht nur aus Kostengründen…
Da auch das Gesundheitssystem unter einem erheblichen Mangel an qualifiziertem Personal leidet und daher die Behandlung von Krankheiten im Vordergrund steht, besteht Handlungsbedarf, zumal viele der zu behandelnden Krankheiten verhindert werden könnten. Das ginge mittels Prävention, was wiederum voraussetzt, dass der Mensch seine Konsumgewohnheiten ändert. Das ist sehr kompliziert und aufwendig, weil der »Gegner« dank der politischen Lobby über die besseren Waffen verfügt.
Der Grund, warum die folgenden Gesundheitsminister in den letzten Jahrzehnten eine Strategie fragmentierter Bemühungen zur Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung verfolgten, ist auf den Einfluss der Wirtschaft zurückzuführen.
Es ist zwar löblich, dass Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV) im Januar betonte: »Unser System ist darauf ausgerichtet, dass Menschen krank werden, obwohl wir eigentlich verhindern wollen, dass sie überhaupt krank werden«, besser wäre es allerdings, Lebensmittelkonzerne in die Pflicht zu nehmen.
Eine Frage der Mentalität
Richtig ist aber auch, dass der Mensch sich im Laufe seines Lebens viele ungesunde Gewohnheiten zulegt.
Dies steht in direktem Zusammenhang mit der Verpackung von Lebensmitteln, die an „unseren Geschmack“ angepasst sind, insbesondere bei Fertig- und Mischprodukten.
Es gab natürlich einige Vorstöße, die Hersteller von gesundheitsschädigenden Produkten in die Schranken zu weisen, doch die Macht des Geldes wiegt schwerer.
Ein Beweis, der leicht zu erbringen ist, da die Europäische Kommission nun nicht mehr gewillt scheint, den Herstellern die Anwendung des Nutri-Score aufzuzwingen. Das harmonisierte und verbindliche Nährwertlogo in den 27 Mitgliedstaaten wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft unterstützt.
Aus Brüssel kommt eine interne Notiz daher, die Bände spricht. Im folgenden Absatz erklärt die Kommission: »Wir verstehen, dass ein Bewertungssystem (ähnlich dem Nutri-Score) für die Verbraucher leicht verständlich ist. Die Generaldirektion Landwirtschaft hat keine Einwände dagegen.« Im Klartext: Das künftige EU-Logo könnte dem Nutri-Score ähneln, aber es wird nicht der Nutri-Score sein. Es war politisch zu heikel, und die Italiener, allen voran Ferrero, erkannten einen Eingriff in die Handelsfreiheit.
Oder nehmen wir die vollmundig umworbenen Energydrinks. Während es bereits in einigen Ländern angemessene Einschränkungen beim Verkauf gibt, sieht man in Luxemburg bestenfalls die Notwendigkeit, die Konsumenten zu sensibilisieren. Im Dezember hieß es seitens der Gesundheitsministerin: »Wir arbeiten an einer Vorbeugungsstrategie, in der Maßnahmen und mögliche Kampagnen zur Reduzierung der Auswirkungen von unlauterem oder unspezifischem Marketing thematisiert werden sollen.«
Die Gefahr im Supermarktregal
Ob zu viel Zucker oder Salz, ungesättigte Fettsäuren (Transfette) und der massive Einsatz von Konservierungsmitteln; nichts davon trägt dazu bei, gesund zu bleiben. Und natürlich kombiniert der moderne Mensch schon mal gerne einige dieser Bausteine. Das ganz klar zu Nachteil des Gesundheitssystems und damit der Gesellschaft als Ganzes. Dafür aber im Sinne des Profits der Lebensmittelkonzerne und der Pharmaindustrie.
Nun neigen die Menschen dazu, erst dann zu handeln, wenn es längst zu spät ist. Es wäre also, gemessen an den politischen Programmen und Aussagen, nun an der Zeit, dass die Politik die Leitlinien festlegt, statt die Hand aufzuhalten und dem Konsumenten einzureden, er habe in letzter Instanz doch selber schuld. Doch auch der Handel, in dessen Regalen das »Ungesunde« angepriesen wird, müsste zur Verantwortung gezogen werden.
Handel und Gesundheitswesen sind seit langem nicht mehr darauf bedacht, dem Menschen ein angenehmes und langes Leben zu bescheren. Für die meisten medizinischen Dienstleister ist ja auch die Behandlung der einträgliche Part des Jobs. Die wenigsten Ärzte haben ein Interesse am Verhindern von sogenannten »Gesellschaftskrankheiten«, zu denen die Fettleibigkeit gezählt werden muss.
Die Prävention hat nur ein kleines Budget und zu viele Initiativen mit beschränkten Mitteln erreichen nur begrenzt die gewünschte Zielgruppe. Das ist gewollt und auch wenn es immer wieder von der Politik und den Akteuren des Gesundheitswesen mit großem medialen Aufwand anders dargestellt wird, nein, bei der Bekämpfung der Fettleibigkeit ist der Hausarzt auch nur ein Illusionist, dessen wirtschaftliche Interessen nicht mit jenen der Patienten übereinstimmen.