Die Welt ist aus den Fugen
In diesen Tagen muß man sehr lange suchen, um vernunftbegabte Äußerungen verantwortlicher Politiker lesen zu können. Da ist man schon froh, wenn sich der Luxemburger Noch-Außenminister mahnend dem UNO-Generalsekretär Guterres anschließt, der die Aufforderung Israels, die Palästinenser sollten den nördlichen Teil des Gazastreifens verlassen, scharf kritisiert hatte.
Herr Asselborn hat gleichzeitig die terroristischen Attacken militanter Hamas-Leute als »nicht zu rechtfertigen« bezeichnet. Die Feststellung wäre korrekt und zu begrüßen, wäre da nicht diese Einseitigkeit, die reflexartige Solidarisierung mit dem Staat Israel, der seit 75 Jahren immer wieder mit militärischen Mitteln die Palästinenser, den Libanon, Syrien und Ägypten angegriffen, mehrere Kriege von Zaun gebrochen hat und Spannungen gegen so ziemlich alle Staaten in der Region schürt.
Der Staat Israel, der seit Jahrzehnten sämtliche UNO-Resolutionen über den Rückzug aus den besetzten Gebieten mißachtet, und der – selbst im Besitz von Atomwaffen – militärische Drohungen gegenüber dem Iran ausstößt, mit der Begründung, die dort Herrschenden am Bau einer Atombombe hindern zu wollen.
Der Staat Israel, der die Palästinenser als Menschen zweiter Klasse behandelt, sie zu Hunderten ohne Gerichtsurteil einsperrt, und dessen Soldaten, Polizisten oder Siedler allein in diesem Jahr mindestens 200 von ihnen getötet hat.
Es ist wahr: Die terroristischen Angriffe der Hamas-Milizionäre auf israelische Siedlungen und die Massaker an unschuldigen Zivilisten und Festivalbesuchern sind nicht zu rechtfertigen! Doch ebensowenig ist es zu rechtfertigen, wenn die geschundene, gequälte, verwundete und in ihrer Ehre zutiefst beleidigte Bevölkerung des Gazastreifens mit Bomben und Raketen beschossen wird, denen täglich Hunderte zum Opfer fallen. Es widerspricht jedem Recht, wenn man dieses Gebiet hermetisch abriegelt und wie zum Hohn die Bevölkerung zur Flucht aufruft. Wer das eine als Unrecht bezeichnet, darf das andere nicht rechtfertigen.
Die Welt gerät aus den Fugen, wenn die Außenminister der USA, seine grüne deutsche Kollegin und die achso christliche Chefin der EU-Kommission zu »Solidaritätsbesuchen« nach Israel fliegen und der dortigen Kriegsregierung Unterstützung versichern, statt endlich eine politische Lösung einzufordern. Noch mehr Waffen an diesen waffenstarrenden Staat zu liefern, wird keinen Frieden bringen. Dem rechtslastigen und ultra-orthodoxen Führungspersonal weiterhin zu attestieren, es stehe dem »einzigen demokratisch regierten Staat im Nahen Osten« vor, ebenso wenig. Immerhin haben seit über einem halben Jahr an jedem Wochenende Zehntausende Bürger des Landes auf den Straßen gegen diese Regierung demonstriert. Dieser Widerstand ist mit dem Kriegszustand zum Schweigen gebracht worden – ein willkommener Nebeneffekt für Netanjahu und seine Gleichgesinnten.
Die Welt gerät völlig aus den Fugen, wenn die US Navy und die britische Kriegsmarine Schlachtschiffe in die Region schicken, und wenn zur gleichen Zeit der Krieg in der Ukraine angeheizt wird. Wenn in einer solchen Situation in Moskau über neue Atomwaffentests nachgedacht wird, und wenn die NATO ein großangelegtes Manöver mit Atomwaffen ankündigt.
Laßt endlich Vernunft walten! Die Lösungen liegen auf dem Tisch: Schaffung eines Staates Palästina, Friedensgespräche ohne Vorbedingungen für die Ukraine, Verbot aller Atomwaffen gemäß dem vorliegenden UNO-Vertrag!