Arbeitersolidarität
Italienische Arbeiter vermitteln deutschen Kollegen ihre Erfahrungen im Kampf gegen Werkschließung
Der Automomobil-Konzern der Guest, Keen and Nettlefolds (GKN) der sieben Milliarden schweren Melrose Industries mit Sitz in London, einer in über 30 Ländern weltweit vertretenen Gesellschaft, drang nach dem Untergang der DDR auf der Suche nach günstigen Verwertungsbedingungen für das Kapital auch in den Osten Deutschlands vor. Neben seinen Opel-Gelenkwellenwerken in Kaiserslautern, Kiel und Trier errichtete GKN in Mosel bei Zwickau ein Werk, das als Zulieferer für BMW, Mercedes, VW und Audi u.a. Kugelnaben und Gelenkwellen produziert. Nun will GKN den Betrieb schließen und die etwa 800 Beschäftigten auf die Straße setzen. Aus Kostengründen soll die Produktion an einen Standort in Osteuropa – dem Vernehmen nach in Ungarn – verlagert werden, wo die Arbeitskräfte billiger sind.
»Die Arbeitsplätze werden dem Profit geopfert«, erklärte der Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens, Jörg Kirsten. Die Belegschaft und die Gewerkschaft IG Metall werden jedoch das Aus für den Standort nicht widerstandslos hinnehmen, sagte er. Der Vertreter der IG Metall Benjamin Zabel berief eine Mitgliederversammlung ein, um über den Kampf zum Erhalt der Arbeitsplätze zu beraten. Die gesamte Zwickauer Region sei aufgefordert, gegen die Schließung zu protestieren, fordert die Gewerkschaft. Die IG Metall befürchtet eine Kettenreaktion. Die Schließung des Betriebes in Zwickau könnte auch zur Schließung der Werke in Kiel und Trier führen. Zumal GKN schon 2018 ein Werk in Kaiserslautern zugemacht hat.
In dieser Situation erhielten die Arbeiter in Mosel eine Botschaft der Solidarität von den Arbeitern des GKN-Werkes in Campi Bisenzio bei Florenz, die dort seit Juli 2021 gegen die Schließung ihres Werkes kämpfen und sie bis heute verhindern konnten. Die italienischen Kollegen übermittelten das Angebot, über ihre Erfahrungen im Kampf um die Arbeitsplätze zu berichten.
Ähnlich wie im sächsischen Mosel ist das GKN-Werk Campi Bisenzio mit der Herstellung von Achswellen ein Zulieferer für Ferrari, Maserati und Stellantis. Auch hier geht es dem Unternehmen darum, die Produktion nach Osteuropa zu verlegen, um damit vor allem Lohnkosten zu sparen. Am 9. Juli 2021 erhielten die 422 Arbeiterinnen und Arbeiter in Italien per E-Mail ihre Kündigung, mit der Mitteilung, daß das Werk geschlossen wird. Noch am selben Tag besetzten sie den Betrieb und erklärten sich zur »unbefristeten Betriebsversammlung«, womit sie ihre Werksbesetzung legalisierten.
Sie griffen militante Formen italienischer Arbeitskämpfe der 60er- und 70er Jahre auf, in denen Fabrikbesetzungen an der Tagesordnung waren, und organisierten sich als »Collettivo di Fabbrica GKN« der Basis-Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB), die neben der Metallarbeitergewerkschaft FIOM in der CGIL mit 5,6 Millionen Mitgliedern stärkste Arbeiterorganisation, vor allem die Kräfte zu ihrer Unterstützung mobilisiert. Und das stehen sie bis heute durch, und sie konnten somit den Abtransport von Maschinen, Material und fertigen Produkten verhindern.
»Ihr gehört
zu unserer Familie«
Der Kampf um die Arbeitsplätze führte zu einer wahrhaften Massenmobilisierung, unterstützt von Kommunisten, Sozialdemokraten, Grünen, dem Partisanenverband ANPI, an der sich Einwohner von Florenz, Sozialzentren, Schüler und Studenten, »Fridays vor Future« und andere Umweltaktivisten und soziale Organisationen beteiligten. In Florenz demonstrierten mehrmals Zehntausende Menschen. Einen Teilerfolg erreichten sie im September 2021, als das Arbeitsgericht Florenz der Klage der FIOM stattgeben mußte und entschied, daß die Entlassungen gegen Artikel 28 des Arbeiterstatuts verstoßen und ein »gewerkschaftsfeindliches Verhalten« darstellen. Die GKN-Beschäftigten suchen inzwischen selbst nach Investoren für das Werk, können sich aber auch vorstellen, als Genossenschaft weiter zu arbeiten.
Der Arbeiterkampf in Florenz ist bis in die Gegenwart in den Spalten des linken Magazins »Manifesto« und des kommunistischen Online-Portals »Contropiano«, und vor allem auf den Websites der Gewerkschaften zu finden. Auf dem »Festival der Völker« in Florenz hatte am 30. Januar im Kino »La Compagnia« ein Dokumentarfilm der Regisseure Filippo Maria Gori und Lorenzo Enrico Gori »E tu come stai?« über den Kampf der GKN-Arbeiter seine Weltpremiere.
»Melrose Industries setzt bei Euch seinen Schlachtplan fort: Wir sollen für den Profit der Aktionäre zahlen«, schreiben die GKN-Arbeiter ihren sächsischen Kollegen in Mosel und versichern sie ihrer vollen und bedingungslosen Solidarität. »Ihr gehört zu unserer Familie. Wir stehen zur Verfügung, um euch zu unterstützen, wo es nur geht.« Die italienischen Arbeiter berichten über ihre Erfahrungen in ihrem Kampf, mit dem sie seit eineinhalb Jahren der Werkschließung widerstehen. »Wir wollen keine Besserwisser sein, möchten Euch nur ans Herz legen, daß sie euch vorgaukeln werden, daß das Werk in Mosel ein Einzelfall ist – was nicht stimmt, wie Euer Fall zeigt. Ihr seid kein Einzelfall, sondern ein Glied einer ganzen Kette, die jetzt gebrochen werden muß. Kämpft heute für alle, auch diejenigen, die nicht kämpfen können, für eure Gegenwart und für die Zukunft von uns allen«, heißt es in dem Schreiben.
Und die italienischen Kollegen betonen: »Wir kämpfen seit 18 Monaten. Und auch Ihr könnt Eure eigene Geschichte schreiben. Wir können Euch nur raten, in Gemeinschaft und solidarisch zu handeln. Nur gemeinsam seid Ihr stark.« Die Arbeiter aus Campi Bisenzio verweisen auch auf den Kampf an der Braunkohlegrube in Lützerath und raten, mit einer derartig starken Umweltbewegung einen gemeinsamen Weg des Kampfes gegen das Kapital zu finden.