Leitartikel06. November 2009

20 Jahre Lügen

von

Die bürgerlichen deutschen Medien bemühen sich nach Kräften, den sogenannten Mauerfall am 9. November 1989 zum größten Ereignis der Geschichte zu machen. Auch hierzulande wird jeder Unsinn nachgeplappert, der in Berliner Hinterzimmern ausgeheckt wurde.

Die Absicht der Herrschenden und ihrer Schreiberlinge ist klar. Der Sozialismus soll ein für allemal aus dem Denken der Menschen verschwinden. Dazu ist jedes Mittel recht, wenn es nur geeignet ist, die sozialistische Idee und ihre Protagonisten nach Strich und Faden zu verteufeln. Und es muß klargestellt werden, daß es zum Kapitalismus keine Alternative gibt. Dafür ist keine Lüge zu klein.

Die ungezählten Verbrechen des kapitalistischen Systems sollen mit dem Mantel des Vergessens bedeckt werden. Dazu gehört die Erinnerung an den 9. November 1938, als in Nazi-Deutschland in der »Reichskristallnacht« über 30.000 jüdische Menschen verhaftet, Synagogen, Wohnungen und Geschäfte verwüstet und mindestens 90 Menschen ermordet wurden. Dazu gehört auch die Tatsache, daß der deutsche Imperialismus am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg begann, in dessen Folge Deutschland von den Siegern besetzt und später im Interesse der deutschen Bourgeoisie gespalten wurde.

Die Lüge von den deutschen Kommunisten als »Spalter Deutschlands« ist alt, sie stammt von Konrad Adenauer, dem auch in Luxemburg hochgeehrten Bundeskanzler, der bis zu seinem Tode niemals von der DDR sprach, sondern stets von der »Soffjetzone«. Er war Wortführer derjenigen Kräfte an Rhein und Ruhr, die es nie verwinden konnten, die Kontrolle über den Osten Deutschlands verloren zu haben, wo sich 17 Millionen Menschen dem Zugriff der alltäglichen Ausbeutung durch den Kapitalismus entzogen hatten.

Wenn CDU-Politiker wie Kohl behaupten, sie hätten schon immer das Ziel der »Wiedervereinigung« verfolgt, ist auch das eine faustdicke Lüge. Adenauer und seine Nachfolger hatten niemals eine Wiedervereinigung im Sinn, sondern stets die »Befreiung der Zone«, auch mit militärischen Mitteln. Diesem Zweck dienten tausendfache Versuche, die DDR ökonomisch auszubluten, die im Aufbau begriffene Wirtschaft zu sabotieren, gut ausgebildete Fachkräfte in den Westen zu locken. Um einen ungestörten Aufbau zu sichern, wurden am 13. August 1961 die bis dahin offenen Grenzen der DDR zur BRD und zu Westberlin geschlossen. Grenzen, die entgegen der weitverbreiteten Lüge keine »innerdeutschen« waren, sondern auch die Trennlinie der beiden Systeme in Europa und der beiden großen Militärpakte darstellten. Die Schließung der Grenze war kein Teufelswerk deutscher Kommunisten, sondern eine Entscheidung der Sowjetunion und der Staaten des Warschauer Vertrages, und sie wurde von den Westmächten eindeutig akzeptiert. Ausrufe von Kennedy (»Isch bin ain Börliner«) oder Reagan (»Öffnen Sie das Tor«) waren nichts als Propaganda.

Als am 9. November 1989 Herr Schabowski in seiner Schusseligkeit eine nicht korrekte Information in die Welt hinausposaunte, lagen Ideen für eine geordnete Öffnung der Grenzen längst vor. Und nur, weil es im Gegensatz zu immer wieder aufgewärmten Lügen eben keinen Schießbefehl gab, ist jene Nacht friedlich verlaufen.

Die DDR-Bürger haben nach jenem 9. November zwar einige bürgerliche Freiheiten gewonnen, wie die Reisefreiheit, die sie bei ausreichendem Einkommen auch genießen können, sie mußten dafür aber einiges opfern, wie das bis dahin verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Arbeit, und viele von ihnen auch einen großen Teil ihrer Biografie und Identität. Das soll mit all dem Wirbel in den Medien verdeckt werden, mit dem heutzutage tagtäglich die Geschichte auf den neuesten Stand der Lüge gebracht wird.

Uli Brockmeyer