Ausland08. März 2022

Sieg für die Frauen Kolumbiens

Verfassungsgericht hebt Abtreibungsverbot auf

von Manuela Tovar

Die »grüne Flut« hat ein weiteres Land in Südamerika erreicht. Mit den für die feministische Bewegung in der Region typischen grünen Halstüchern feierten unzählige Frauen in Kolumbien am 21. Februar eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, wonach künftig Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche straffrei vorgenommen werden können.

Victoria Sandino, ehemalige Guerilla-Kommandeurin und jetzt Senatorin für die aus den FARC hervorgegangene Partei Comunes, sagte gegenüber Journalisten, dies sei ein Sieg der nationalen Frauenbewegung und aller Kolumbianerinnen, die über Jahre auf den Straßen für ihr Recht demonstriert hätten. »Jetzt haben wir die Garantie, aber der Kampf muß weitergehen, denn noch liegen vor uns viele Hindernisse, bevor wir die volle Gleichberechtigung der Frauen in Kolumbien erreichen können«, unterstrich sie.

Nach der Entscheidung des obersten kolumbianischen Gerichts sind Abtreibungen zudem auch nach der 24. Woche erlaubt, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist, eine schwere Schädigung des Fötus diagnostiziert wird oder Lebensgefahr für die Mutter besteht. Bisher waren das die einzigen Gründe, warum überhaupt Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden durften. Zudem verlangten die Richter von den Abgeordneten des Parlaments und der Regierung die Entwicklung einer umfassenden Politik zum Schutz werdender Mütter. Dazu müsse auch eine breite Informationskampagne gehören, damit die Frauen wissen, welche Möglichkeiten sie während der Schwangerschaft und nach der Geburt haben.

Mit diesem Urteil, das mit fünf gegen vier Stimmen nur äußerst knapp gefällt wurde, ist Kolumbien zu einem Beispiel für andere Länder der Region geworden. In Argentinien etwa, wo 2020 eine Teillegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen durchgesetzt werden konnte, sind Abtreibungen nur in den ersten 14 Wochen straffrei, in Mexiko haben inzwischen sechs Bundesstaaten Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen legalisiert. Dagegen sind Abtreibungen in El Salvador, Honduras, Nicaragua, der Dominikanischen Republik und Haiti ausnahmslos verboten, Frauen droht dort sogar nach einer Fehlgeburt Gefängnis. In anderen Ländern wie etwa Venezuela oder Peru sind Abtreibungen nur in ganz wenigen Fällen, etwa bei Lebensgefahr für die Schwangere, straffrei.

Das Urteil der Verfassungsrichter in Kolumbien geht auf eine Klage der Bewegung »Causa Justa« (Gerechte Sache) zurück. Dieses Bündnis aus 200 Organisationen und Feministinnen hatte im September gegen das bislang bestehende Abtreibungsverbot geklagt und eine Unterbindung der ständigen Verletzung der reproduktiven Rechte der Frauen in Kolumbien verlangt.

Erika Guevara Rojas, Lateinamerika-Chefin von Amnesty International, feierte das Urteil als historischen Erfolg der kolumbianischen Frauenbewegung. »Die Frauen, Mädchen und gebärfähigen Personen sind die einzigen, die Entscheidungen über ihren Körper treffen dürfen. Anstatt sie zu bestrafen, müssen die kolumbianischen Behörden nun ihre Autonomie über den Körper und ihre Lebensentwürfe anerkennen.«

Das wird nicht einfach werden, denn die Frauen haben nach wie vor mächtige Gegner. Staatspräsident Iván Duque verurteilte die Gerichtsentscheidung. In einem machistischen Land könne dieser »Mechanismus« für viele »zu einer Verhütungsmethode werden, um kein Kondom nutzen zu müssen«.

Doch da das Urteil der Richter sofort in Kraft getreten ist, konnten die Medien des südamerikanischen Landes schon zwei Tage später die erste Abtreibung unter den neuen Bedingungen vermelden. Eine 34-jährige Venezolanerin, die unter schwierigen Bedingungen in Kolumbien lebt und bereits vier Kinder hat, entschied sich nach Beratung in einem Krankenhaus in Bogotá zum Schwangerschaftsabbruch.

Mit besonderer Aufmerksamkeit werden die Erfolge der Frauenbewegung auch in den USA verfolgt, wo, wie die »New York Times« anmerkte, das Recht auf Abtreibungen immer mehr eingeschränkt wird. »Die feministischen Aktivistinnen Lateinamerikas unterstützen sich zunehmend gegenseitig und entwickeln juristische Strategien, Organisationstaktiken und Ideen, mit denen sie ihren Gefährtinnen im Norden signalisieren, daß diese einiges von ihnen lernen könnten.«