Unsichere Zeiten im Libanon
Westliche Geberkonferenz endet ohne Beschluß
Es ist stürmisch über dem östlichen Mittelmeer. Im Landeanflug auf den Libanon werden die Passagiere in der voll besetzten Maschine ordentlich durcheinandergeschüttelt. Über Zypern tobt ein Gewitter, Beirut, die Hauptstadt des Zedernstaates, taucht allmählich aus dem abendlichen Nebel auf. Der Stadt nach Westen hin vorgelagert, ragen die luxuriösen Hotelanlagen wie Festungen in das Meer hinein, die erleuchteten Swimmingpools und Parkanlagen wirken wie Edelsteine und Perlen, zufällig ausgestreut.
Doch nichts ist zufällig im Libanon. Seit Generationen ist das Land Spielball regionaler und internationaler Interessen. Frankreich, das nach dem 1. Weltkrieg vom Völkerbund legitimiert Mandatsmacht im Libanon wurde, hat auch nach dessen Unabhängigkeit 1943 nicht aufgehört, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen.
Seit der mächtigen Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 reiste der französische Präsident Emmanuel Macron bereits zwei Mal in den Libanon, bot Hilfe an und forderte die politische Elite – nicht unbedingt gleichzusetzen mit der damals noch amtierenden Regierung des Hochschulprofessors Hassan Diab, die nach der Explosion zurücktrat – auf, Reformen einzuleiten.
Nichts ist zufällig im Libanon
In Absprache mit Deutschland, den USA und Saudi Arabien sollte Mustapha Adib eine neue Regierung bilden und den glücklosen Hassan Diab ablösen. Doch Adib, ein Politiker aus der Schule des Hariri-Clans, trat von der Aufgabe zurück und so beauftragte das libanesische Parlament wieder einmal Saad Hariri, eine neue Regierung zu bilden. Saad Hariri war bereits zwei Mal Regierungschef im Libanon und kennt sich bestens mit den Konflikten und Problemen im Land, mit Korruption und Vetternwirtschaft aus. Seit dem phänomenalen Aufstieg seines Vaters Rafik Hariri, eines in Saudi Arabien zu Reichtum, Macht und Ansehen gelangten Bauunternehmers, gehört der Hariri-Clan zu den Superreichen im Libanon. Und so dürfte der Sohn Hariri auch eher als »Teil des Problems« und nicht als »Teil der Lösung« bezeichnet werden, um einen Satz des kubanischen Revolutionärs Che Guevara zu zitieren.
Während Vater Hariri bis zu seinem gewaltsamen Tod 2005 unter dem Schutz des saudischen Königshauses stand, hat Sohn Hariri die Saudis verärgert. Im November 2017 wurde Hariri Junior in Riad unter Hausarrest gestellt, angeblich, weil er fällige Steuern aus Baugeschäften in Saudi Arabien nicht gezahlt haben soll. Zwar ist Saad Hariri kein guter Geschäftsmann, doch tatsächlich dürfte die Festsetzung politische Gründe gehabt haben. Hariri wurde gezwungen, vor laufender Kamera eine Rücktrittserklärung zu verlesen, in der es hieß, daß die Hisbollah ihm angeblich nach dem Leben trachte.
Hintergrund war, daß Kronprinz Mohammed Bin Salman, auch MBS genannt, mit der Regierungsführung des jungen Hariri nicht zufrieden war. Der hatte mit der Allianz um die libanesische Hisbollah eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, um »dem Land Krieg zu ersparen«, wie er dem internationalen Magazin »Politico« (Juli 2017) erläuterte. MBS meinte, mit dem Coup politische Turbulenzen im Libanon auszulösen. Der Coup schlug fehl, unter Vermittlung Frankreichs konnte Hariri in den Libanon zurückkehren.
Einmischung in die Regierungsbildung
Nun weigern sich die Saudis, Hariri als neuen und alten Ministerpräsidenten anzuerkennen und lehnen seine Vorschläge für eine Regierungsbildung ab. Unterstützt wird MBS dabei von den USA und (hinter den Kulissen) Israel, zwei Länder, auf die Frankreich und Deutschland ultimativ Rücksicht nehmen. Der »Schutz Israels« ist in Deutschland sogar »Staatsräson«. Wenn also Israel einen Saad Hariri in einer Allianz mit der libanesischen Hisbollah im Libanon nicht akzeptiert, kommt das gegenüber den politischen Plänen in Paris und Berlin einem Veto gleich. Deutschland hat sich dem Druck Israels längst gebeugt, und im Frühjahr angebliche Strukturen der Hisbollah in Deutschland verboten. Frankreichs Präsident Macron hingegen hatte zunächst die Hisbollah als realistischen »Teil der politischen Struktur im Libanon« akzeptiert.
Die Antwort aus den USA folgte prompt. Verschiedene Minister der damaligen Regierung von Saad Hariri wurden sanktioniert, weil sie »die Terrororganisation Hisbollah« unterstützt hätten. Zuletzt traf der Bannstrahl aus Washington auch den ehemaligen Außenminister Basil Gibran. Basil, wie er im Libanon genannt wird, gilt politisch tatsächlich als Gegenspieler der Hisbollah, war aber als Außenminister an eine politische Direktive seines Schwiegervaters, Staatspräsident Michel Aoun gebunden.
Die EU setzt auf Einfluß durch Geld
Die EU setzt auf Einfluß durch Geld und finanziert seit der Explosion im Hafen von Beirut diverse »Hilfsprogramme« im Libanon. Nicht für die Regierung sei das Geld bestimmt, sondern für die Bevölkerung, betonte der deutsche Außenminister Heiko Maas bereits im August und posierte vor den Kameras mit einem überdimensionalen Scheck über 1 Millionen Euro, den er Mitarbeitern des libanesischen Roten Kreuzes überreichte.
Am Mittwoch organisierte Emmanuel Macron nun die zweite internationale Geberkonferenz für den Libanon. Mitorganisator war UNO-Generalsekretär António Guterrez. Vertreter von 27 Staaten hatten sich zugeschaltet, darunter 12 Staatschefs und lokale libanesische Hilfsorganisationen, die vom französischen Präsidenten als »vertrauenswürdige Partner« eingestuft werden. Der deutsche Außenminister Heiko Maas wies darauf hin, daß Deutschland »der zweitgrößte Geldgeber für humanitäre Hilfe« für den Libanon sei. Seit Beginn des Jahres 2020 hat die Bundesregierung 146,5 Millionen Euro an libanesische Partnerorganisationen gezahlt.
Macron und Guterres hatten zuvor einen Betrag von 250 Millionen Euro als Ziel gesetzt, der bei der Konferenz eingesammelt werden sollte. Laut Agenturmeldungen konzentrierten sich die Wortmeldungen der Teilnehmer jedoch vor allem auf Forderungen nach Reformen. Bis zum Freitagvormittag wurde kein konkreter Betrag als Ergebnis der Konferenz genannt.
Einig war man sich erneut, daß erst eine neue Regierung die Reformen einleitet, die Milliardenhilfen für den Libanon auslösen könne. Eine weitere Voraussetzung ist die Rechnungsprüfung bei der Libanesischen Zentralbank. Die US-amerikanische Finanzfirma Alvarez & Marsal hatte sich im November aus dieser Arbeit zurückgezogen, weil sie nach eigenen Angaben notwendige Unterlagen nicht erhalten habe.
Nach Angaben des libanesischen Präsidenten Michel Aoun, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm, verhandelt der Libanon zudem mit der Weltbank über einen Kredit in Höhe von 246 Millionen US-Dollar. Mit dem Geld sollten vor allem die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie aufgefangen werden. Die Verhandlungen stocken.
»Um uns, die einfachen Leute, geht es nicht«
»Wenn uns jemand helfen will, soll er uns Geld geben«, sagt Jamilia (Name geändert), die in einem Hotel in Beirut arbeitet. Alles andere sei »Gerede und politisches Blabla«, das den Libanesen nicht weiterhelfe. »Wir wollen eine gute Zukunft für unsere Kinder, Schulen, Krankenhäuser, Strom und Wasser«, sagt die 40-Jährige. »Wir haben ein schönes Land und wollen mit allen Menschen auf der Welt ganz normal Kontakt haben, aber das interessiert Politiker nicht.« Jeder Libanese wisse, worum es geht. Ihr Land sei geostrategisch von Bedeutung im Mittleren Osten, der Streit gehe darum, welches Land den meisten Einfluß bekomme. »Um uns, die einfachen Leute die hier leben, geht es nicht.«
Corona-Pandemie fordert Tribut
Wie viele Länder weltweit ist auch der Libanon seit zwei Wochen wieder in einem Lockdown wegen der Corona-Pandemie. Zwischen 17 und 5 Uhr gibt es eine Ausgangssperre. Schulen und Universitäten wurden nach nur einem Monat erneut geschlossen und sollen ab der kommenden Woche teils mit Präsenz-, teils mit Online-Unterricht wieder öffnen. Die wirtschaftliche, gesundheitliche und politische Krise und dazu die Auswirkungen der Sanktionen der USA und der EU gegen das Nachbarland Syrien haben zu einer enormen Verteuerung geführt. Das Libanesische Pfund hat rund 80 Prozent seines Wertes verloren.
Wegen des Corona-Lockdowns dürfen am Flughafen von Beirut nur private Fahrer arbeiten, wenn sie die Ankunft ihres Fahrgastes beweisen können. Alle anderen Fahrten dürfen nur von Fahrern gemacht werden, die bei einem einzigen zertifizierten Transportunternehmen eingestellt sind. Soldaten regeln den Verkehr.
Rund zwei Dutzend andere Taxifahrer stehen unruhig auf einer Treppe der Ankunftshalle gegenüber. Sie sind unruhig und angespannt, weil sie nicht arbeiten dürfen. Diese Männer sind auf das Taxifahren angewiesen. Wenn sie nicht arbeiten, haben sie und ihre Familie nichts zu essen. Eine medizinische Behandlung ist für sie ohnehin zu teuer. Die Selbstmordrate steigt.
Karin Leukefeld, Beirut
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch bei der Eröffnung der virtuellen Geberkonferenz für den Libanon in Pariser Elysée (Foto: Ian LANGSDON/POOL/AFP)