Der nächste Angriff
Britische Regierung will Mindestbetrieb bei Arbeitsniederlegungen per Gesetz vorschreiben und Gewerkschaften schwächen
Premierminister Boris Johnson hat den Stil der britischen Konservativen verändert. Darauf muß sich auch die britische Gewerkschaftsbewegung einstellen. Vor allem jetzt, da Britannien in die nächste Phase der »Brexit«-Verhandlungen mit der EU eintritt.
Die wirtschaftspolitische Positionierung der Konservativen ist widersprüchlich. Einerseits werden verstärkte Investitionen in deindustrialisierte Regionen versprochen. Am vergangenen Mittwoch wurde mit der Northern-Linie die wichtigste Regionaleisenbahn Englands verstaatlicht. Johnson verspricht staatliche Hilfen für Industrien und einen Investmentfonds in Höhe von 100 Milliarden Pfund, gestreckt auf fünf Jahre.
Andererseits verschickte Finanzminister Sajid Javid in der vergangenen Woche einen Brandbrief an alle Ministerien, in dem sie aufgefordert werden, Potentiale für neue Einsparungen zu finden. Der Gesundheitsbereich, Infrastruktur und die Polizei sollen bei der Suche ausgespart bleiben. Man darf damit rechnen, daß es die Ärmeren der Gesellschaft sein werden, die zum Ziel der Einsparungen werden. Auch neue Stellenverluste im öffentlichen Dienst sind vorprogrammiert.
Nur weil die Tories sich zu Verstaatlichungen gezwungen sehen und wieder mehr in Infrastruktur investieren wollen, werden sie noch lange keine Freunde der Gewerkschaftsbewegung. Im Gegenteil gibt es reichlich Konfliktpotential. So plant die Regierung weitere Einschränkungen beim Streikrecht, vorerst im Transportwesen. In den kommenden Wochen soll eine Gesetzesvorlage im Unterhaus eingebracht werden, die Bahnkonzerne und Gewerkschaften zur Gewährleistung eines Mindestbetriebs im Streikfall verpflichten soll. Dieses Gesetz zielt direkt darauf ab, die Schlagfähigkeit der Transportarbeitergewerkschaft RMT zu schwächen. Sie ist Britanniens aktivste und militanteste Gewerkschaft.
Allerdings haben die Tories mittelfristig auch andere Gewerkschaften im Visier. Ein potentiell großer Konflikt entwickelt sich gerade bei Royal Mail, dem privatisierten britischen Postdienstleister. Das Unternehmen versucht derzeit eine Finanzkrise auf die Schultern der 125.000 Beschäftigten abzuwälzen, indem Arbeitszeiten verlängert und Löhne gekürzt werden sollen. Die Postgewerkschaft CWU lehnt das ab und wollte eigentlich schon im Dezember deswegen streiken. Damals verhängte aber das britische Höchste Gericht ein Streikverbot, obwohl 97 Prozent der Beschäftigten bei einer Wahlbeteiligung von 76 Prozent im Rahmen einer Urabstimmung für den Streik gestimmt hatten. Nun hat die Gewerkschaft eine neue Urabstimmung eingeleitet.
Der Arbeitskampf hat das Potential, zum Politikum zu werden. Schon jetzt argumentiert die CWU unter Hinweis auf die neu verstaatlichte Eisenbahnlinie, daß mittelfristig eine Verstaatlichung von Royal Mail angedacht werden müsse, um das Unternehmen vor einem »unfähigen Management« und dem Kollaps zu retten. Fraglich ist, ob der geplante Streik ein zweites Mal verboten wird. Möglich ist auch, daß die Regierung bei der Post ebenfalls rechtliche Verpflichtungen für den Mindestbetrieb einführen will.
Ein wesentlicher Aspekt gewerkschaftlicher Kämpfe der vergangenen Jahre war der Aufbau neuer, kleiner und kämpferischer Gewerkschaften unter prekär beschäftigten Arbeitern. Diese Gewerkschaften organisieren Lohnabhängige dort, wo der britische Gewerkschaftsbund TUC seit Jahrzehnten nicht mehr hingeschaut hat. Es ist kein Wunder, daß Gewerkschaften wie die »United Voices of the World« (UVW) überwiegend weiblich und migrantisch geprägt sind.
Ende Januar konnten die UVW einen neuen wichtigen Erfolg verkünden. Nach einem monatelangen Arbeitskampf und neun Streiktagen erreichte sie, daß 1.000 Reinigungskräfte, Kantinenbeschäftigte und Hausmeister im zum Londoner Gesundheitswesen gehörenden »Imperial College Healthcare NHS Trust« wieder direkt angestellt werden. Über 30 Jahre waren sie an den Sodexo-Konzern ausgelagert worden. Es ist das erste Mal in der Geschichte, daß eine Auslagerung durch einen Arbeitskampf rückgängig gemacht wurde.
Christian Bunke
Schatzkanzler Sajid Javid am vergangenen Mittwoch auf dem Weg von 10 Downing Street zur wöchentlichen Sitzung im Parlament (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa)