Ausland28. Mai 2010

Blutmai

Vor 30 Jahren zerschlug das südkoreanische Militärregime in Gwangju den kurzen Frühling der Demokratie

Mit nach offiziellen Angaben 207 Todesopfern endete gestern vor 30 Jahren im südkoreanischen Gwangju eine Protestbewegung gegen die damals herrschende Militärjunta. Nichtstaatliche Stellen sprechen seitdem von Hunderten Verletzten und über 2.000 Toten. Mit einer Reihe von Gedenkveranstaltungen erinnern deshalb die Menschen und offizielle Stellen in Südkorea in diesen Tagen an das damalige Massaker. Staatschef Myung-Bak sagte, die heutige Demokratie sei »durch das Blut und den Schweiß der Kämpfer für die Freiheit errungen« worden.

In Gwangju im Süden der Koreanischen Halbinsel hatten die Bürger der damals etwa 800.000 Einwohner zählenden Stadt vor 30 Jahren Ungeheuerliches gewagt und sich gegen die Militärjunta erhoben. Die Herrschenden sahen die »nationale Sicherheit« gefährdet, warnten vor einer »kommunistischen Unterwanderung« durch Nordkorea und verhängten am 18. Mai 1980 den Kriegszustand. Der blutige Großeinsatz dauerte bis zum 27. Mai.

In den 60er und 70er Jahren hatte Südkorea eine rasante industrielle Entwicklung erlebt. Zwar entstand dadurch in den städtischen Zentren eine dünne Mittelschicht, doch die Masse der Bevölkerung hatte keinen Anteil am neuen Reichtum. Den teilte die politisch-militärische Führungsclique um General Park Chung-Hee unter sich auf. 1979 kam es nach Jahren erzwungener Ruhe landesweit zu Protesten und Streiks, an denen sich nunmehr auch bürgerlich-gemäßigte Kräfte beteiligten. Am 26. Oktober 1979 wurde General Park von seinem eigenen Geheimdienstchef, Kim Jae-Kyu, erschossen. Die sich daran anschließenden Unruhen wußte eine Gruppe um Generalleutnant Chun Doo-Hwan geschickt für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Am 12. Dezember 1979 putschten sie gegen die damalige, als »zu lasch« kritisierte Militärführung.

Zwischenzeitlich hatte die Opposition im Parlament einen Antrag vorgelegt, das Kriegsrecht aufzuheben. Die Abstimmung darüber sollte am 20. Mai 1980 erfolgen. Doch zwei Tage zuvor verhinderten die Militärs die Abstimmung, indem sie ein verschärftes Kriegsrecht verhängten, das Parlament, Parteibüros und Universitäten schlossen, jede politische Betätigung verboten und Hunderte Oppositionelle ins Gefängnis warfen.

Dagegen gingen 200.000 Einwohner Gwangjus auf die Straße. Erst das brutale Vorgehen von Fallschirmjägern gegen die friedlichen Demonstranten führte zu dramatischen Straßenschlachten. Gewalttaten der Sicherheitskräfte brachten Gwangjus Bürger schließlich dazu, Waffen- und Munitionsdepots zu stürmen und die »Freistadt Gwangju« auszurufen. Aus den friedlichen Demonstrationen wurde ein bewaffneter Aufstand, die Truppen flohen aus der Stadt. Danach erlebte Gwangju sechs Tage trügerischer Freiheit. In der Nacht zum 27. Mai jedoch stürmten Elitesoldaten das Stadtzentrum, durchkämmten jedes Haus und verhafteten Hunderte, darunter zehnjährige Kinder.

Sowohl der damalige Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Streitkräfte in Korea, John A. Wickham, als auch USA-Botschafter William H. Gleysteen waren darüber informiert, daß südkoreanische Eliteeinheiten von ihren Stellungen entlang der Grenze zu Nordkorea abkommandiert und in die Hauptstadt Seoul sowie nach Gwangju verlegt worden waren. Dennoch spielten sie diese Maßnahmen als rein innerkoreanische Angelegenheit herunter.

Auch die Administration in Washington hofierte das Militärregime in Seoul, weil sie keinen weiteren Krisenherd brauchen konnte. Einerseits war die Lage im Iran angespannt, wo nach dem Sturz des Schah die Botschaft der USA monatelang belagert worden war und Geiseln genommen wurden. Zum anderen verschärfte sich die Konfrontation mit der Sowjetunion nach deren Einmarsch in Afghanistan. Chun Doo-Hwan genoß im Februar 1981 das Privileg, als erster ausländischer Staatschef vom neugewählten USA-Präsidenten Ronald Reagan ins Weiße Haus eingeladen zu werden.

Das Bedrohungsszenario, Nordkorea sei davon besessen, den Süden zu »infiltrieren und zu schlucken«, entpuppte sich als Zwecklüge. »Wenngleich der Name Gwangju lange Zeit in den dunkelsten Farben gezeichnet wurde und noch heute viele Menschen unter posttraumatischen Störungen infolge der brutalen Niederschlagung des Aufstands leiden«, sagte kürzlich Yoon Kwang-Jang, ein Überlebender des Massakers und Präsident der »Stiftung zum Gedenken des 18. Mai« in einem Interview mit der südkoreanischen Tageszeitung »Korea Times«, »war der Aufstand ein Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie.«

Rainer Werning