»In Venezuela gibt es keinen Sozialismus«
Vor der Wahl widersprechen sich die Voraussagen. Kritik an Regierung von links und rechts
In Venezuela sind gut 21 Millionen der rund 30 Millionen Einwohner aufgerufen, am 28. Juli über den neuen Staats- und Regierungschef für die kommenden sechs Jahre abzustimmen. Seit Wochen tobt die Wahlschlacht. Die Kontrahenten kämpfen mit harten Bandagen, und ihre Unterstützer waschen jede Menge schmutziger Wäsche.
Der 61-jährige Präsident Nicolás Maduro von der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) bewirbt sich um eine dritte Amtszeit. Sein wichtigster Herausforderer, der dreizehn Jahre ältere Oppositionspolitiker Edmundo González von der aus Washington unterstützten rechtsgerichteten Vereinigten Plattform (Plataforma Unitaria), könnte ihm als einziger der neun Gegenkandidaten gefährlich werden.
An markigen Äußerungen fehlt es nicht. Vor Tausenden Anhängern warnte Maduro vor einer Woche in Guanare, der Hauptstadt des nordwestlichen Bundesstaates Portuguesa, »daß der Faschismus plant, an die Macht zu kommen«. Nur seine Wahlallianz »Gran Polo Patriótico« habe einen Plan für »mehr Volksmacht, mehr Souveränität und mehr Unabhängigkeit«, beschwor der Kandidat die Zuhörer.
Die Oligarchie werde im Falle seiner Niederlage versuchen, »den wilden Kapitalismus wieder einzuführen und die Erdölförderung sowie andere strategische Sektoren zu privatisieren, um sie den Gringos zu überlassen«, warnte er. An kürzlich aufgedeckte Kontakte von Teilen der rechten Opposition zu kolumbianischen Paramilitärs, die Chaos verbreiten sollten, erinnernd, warf Maduro seinen Gegnern vor, »den Sieg des Volkes« verhindern zu wollen.
Ein Clou im Wahlkampf: Am vorigen Wochenende meldete sich Carlos Prosperi, der ehemalige Vorsitzende der oppositionellen Partei Acción Democrática, zu Wort, der sich im Oktober bei den Vorwahlen der Vereinigten Plattform noch als Präsidentschaftskandidat beworben hatte. Prosperi warf seinen früheren Bundesgenossen Korruption und konspirative Pläne zur Destabilisierung vor. »Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, Nicolás Maduro bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten zu unterstützen«, erklärte er laut Telesur. Zugleich kursieren in den Medien Berichte, in denen Edmundo González Verbindungen zur extremen Rechten in Kolumbien und eine Beteiligung an Operationen von »Todesschwadronen« in El Salvador in den 1980er Jahren vorgeworfen werden. González bestreitet das energisch.
Gegenwind für Maduro gibt es aber nicht nur aus dem rechten Lager. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) kritisiert die Regierungskampagne, die die Wahl als »Konfrontation zwischen einem sozialistischen und einem kapitalistischen Pol« darstelle. »In Venezuela gibt es keinen Sozialismus, und diese Regierung ist nicht nur nicht sozialistisch, sie ist auch zunehmend reaktionär und dient den Wirtschaftsführern mit ihrem neoliberalen Anpassungspaket, das Millionen Familien zu einer noch nie dagewesenen Prekarität verurteilt und die Massenemigration Tausender Venezolaner verursacht hat, um ihre Arbeitskraft zu besseren Bedingungen zu verkaufen«, zitierte die Parteizeitung »Tribuna Popular« Neirlay Andrade vom Politbüro des PCV.
Zuvor hatte Maduro zusammen mit einigen Politikern seiner PSUV mit einigen Tricks dafür gesorgt, daß ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei unter dem Logo und der Fahne der Partei öffentlich im Namen der PCV auftreten und nun mit dem Logo der PCV angeblich die Kandidatur Maduros unterstützen. Die Partei sah sich dadurch gezwungen, ihren Kandidaten Enrique Márquez unter einem neuen, weithin unbekannten Logo in den Wahlkampf zu schicken.
Für den Fall, daß Maduro trotz aller Angriffe gewinnen sollte, stricken rechte Regierungsgegner in Venezuela, den USA und Europa bereits fleißig an der Legende vom Wahlbetrug. Davor warnte inzwischen unter anderem auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und forderte, daß die Ergebnisse der Wahlen »von allen anerkannt werden«.
Deren Ausgang ist allerdings offen. Während das Nachrichtenportal La Política online Maduro am 5. Juli laut Umfragen der Institute IMC Orientación und Data Viva mit über 45 bzw. 56 Prozent vor González mit etwa 31 bzw. 20 Prozent sah, zitierte die regierungskritische Zeitung »El Nacional« vor einer Woche aus einer Umfrage von Hercon Consultores, nach der über 68 Prozent für den Herausforderer und nur 27 Prozent für den Amtsinhaber stimmen wollen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die in Miami erscheinende Tageszeitung »El Nuevo Herald« dann eine Umfrage des Instituts Megánalisis, das sogar ein Ergebnis von 72 Prozent für González gegenüber zwölf Prozent für Maduro voraussagt. Der gegenseitige Vorwurf des Wahlbetrugs ist also absehbar.