Vor 70 Jahren
Erster Raketenstart von Cape Canaveral
Gestohlene Raketen und Wissenschaftler aus dem faschistischen Deutschland markierten den Beginn der US-amerikanischen Raumfahrt
Vor nunmehr 70 Jahren, am 24. Juli 1950, startete mit der »Bumper-8« die erste Rakete vom US-amerikanischen Weltraumflughafen Cape Canaveral im Südosten Floridas aus in Richtung Weltraum. Nach dem epischen sowjetischen Weltraumbahnhof in der kasachischen Steppe gelegenen Baikonur, von dem aus die Menschheit mit »Sputnik« und dem ersten Kosmonauten Juri Gagarin den Kosmos eroberte, reihte sich Cape Canaveral inzwischen in die Liste der berühmten Raketenstartplätze der Welt ein. Cape Canaveral steht ebenfalls für die beschwerlichen Anfänge der US-amerikanischen Raumfahrt.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in den Vereinigten Staaten vom Amerika erste Raketentests im Bundesstaat New Mexico durchgeführt. Dies auf dem damaligen Übungs- und Testgelände der United States Army für Raketen- und Drohnen-Technologien, dem »White Sands Missile Range« – WSMR, später im Jahr 1958 umbenannt in »White Sands Proving Ground« – WSPG. Dortselbst wurde im Verlauf der Entwicklung der Atombombe auf einem heute gesperrten Teil des Geländes der erste Kernwaffentest der Geschichte durchgeführt.
In White Sands begannen die Ingenieure die erste Höhenforschungsrakete zu entwickeln, die »WAC« auch »WAC Corporal« genannt. Sie hatte eine Startmasse von 658 kg, einen Durchmesser von 0,31 m und eine Länge von 7,34 m. Ihre Gipfelhöhe betrug 75 km und sie verfügte noch über keine Lageregelung. Als Treibstoff verwendete man für die Flüssigkeitsrakete eine Mischung aus Anilin und Furylalkohol, sowie als mitgeführten Oxidator sogenannte rauchende Salpetersäure. Zum Start benutzte die »WAC« jedoch eine Feststoffrakete.
Die ungesteuerte »WAC« wurde am 27. September 1945 zum ersten Mal gestartet und flog 1949 zum letzten Mal. Das Geschoß wurde allerdings ab 1949 als Oberstufe der neuartig entwickelten »Bumper«–Raketen verwendet.
Tödliches Spielzeug in Cape Canaveral
Die erste Stufe der »Bumper« war eine modifizierte Version einer im Zweiten Weltkrieg von den US-Amerikanern in Deutschland erbeuteten Rakete, der »Vergeltungswaffe« V-2. Als »Aggregat 4« (A4) ab 1939 unter der Leitung von Wernher von Braun entwickelt, war die V-2 die weltweit erste funktionsfähige Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk und das erste von Menschen konstruierte Objekt, das die Grenze zum Weltraum –100 Kilometer Höhe – am 20. Juni 1944 durchstieß.
Die Boden-Boden-Rakete A4 wurde im faschistischen Deutschen Reich in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostsee-Insel Usedom entwickelt und kam im Zweiten Weltkrieg ab 1944 in großer Zahl zum Einsatz. 16.000 bis 20.000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, die meisten zwanzig- bis vierzigjährig, starben nach zurückhaltenden Schätzungen während der Entwicklung zwischen September 1943 und April 1945 im Lagerkomplex Mittelbau-Dora sowie auf Liquidations- oder sogenannten Evakuierungstransporten. Etwa 8.000 Menschen, darunter ein Großteil Zivilisten, verloren ihr Leben durch den Einsatz der Waffe, die meisten in London und Antwerpen. Insgesamt wurden etwa 3.200 A4-Raketen abgefeuert.
Den US-Amerikanern waren am 29. März 1945 auf einem Militärzug am Bahnhof Bromskirchen in Hessen zehn komplette A4-Raketen mitsamt den mobilen Startrampen, Treibstoff und Bedienungsanleitung in die Hände gefallen. Diese zehn A4 wurden drei Tage später von den USA-Truppen vom belgischen Hafen Antwerpen aus in die USA verschifft.
Etwa 100 weitere erbeutete A4 und Teile davon wurden im Mittelwerk Nordhausen noch vor dem Einmarsch der Roten Armee durch USA-Truppen »vor den Russen in Sicherheit gebracht«, verladen und ebenfalls in die USA verfrachtet. Sie standen am Anfang einer ganzen Entwicklungslinie der US-amerikanischen Raketentechnik. Ein Exemplar davon steht heute im »National Air and Space Museum« in Washington D.C. Am 2. Mai 1945 stellte sich Wernher von Braun den Streitkräften der USA und wurde zusammen mit anderen Wissenschaftlern aus seinem Mitarbeiterstab im Zuge der Operation »Paperclip« ebenfalls in die USA gebracht.
Aus zwei mach eins
Dort machten sich die Ingenieure an die Modifizierung der V-2 mit einer »Corporal«-Rakete als zweite Stufe und nannten diese »Bumper«, auch »RTV-G-4«. Es war im Grunde genommen eine A4-Rakete mit aufgesetzter »WAC-Corporal«-Rakete. Bei der »Bumper« handelte es sich um die erste mehrstufige Rakete mit flüssigen Treibstoffen. Die erste Stufe war eine modifizierte A4-Rakete, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland erbeutet wurde, während die zweite Stufe eine modifizierte Version der US-amerikanischen »WAC«-Rakete war.
Waren erste potenzielle Weltraum-Raketen in den USA Ende der 40er Jahre im südwestlichen Bundesstaat New Mexiko getestet worden, so wuchs mit der Reichweite der Raketen der Bedarf nach mehr Platz über unbewohntem Gebiet oder dem Meer. Die Wahl der USA-Regierung zum Bau eines großen Weltraumbahnhofs fiel auf die Ostküste Floridas, näher am Äquator, aber doch logistisch gut erreichbar. Die Fertigstellung des »Cape Canaveral« genannten Komplexes fiel inmitten der »Bumper«-Testreihen. So kam es dazu, daß von den insgesamt acht »Bumper«-Starts sechs noch in White Sands durchgeführt und die letzten beiden nach Cape Canaveral verlegt wurden. Nur insgesamt drei davon verliefen damals erfolgreich.
Die »Bumper-1« startete zum Jungfernflug am 13. Mai 1948 von der Startrampe 33 in White Sands aus und erreichte eine Höhe von 127,3 km. Der Flug mußte durch den vorzeitigen Brennschluß der »WAC«-Rakete abgebrochen werden. Bei der »Bumper-2« versagte die erste Stufe aufgrund der Unterbrechung des Treibstoffzuflusses und bei der »Bumper-3« versagte die »WAC«-Rakete. Die »Bumper-4« schnellte 4,8 km in die Höhe, ehe das Heck der V-2 explodierte. Ein erster erfolgreicher Flug gelang der »Bumper-5«, mit einer Stufentrennung in 32,2 km Höhe. Sie erreichte am 24. Februar 1949 beachtliche 393 km Höhe. Bei der letzten in White Sands gestarteten »Bumper-6« kam es zum vorzeitigen Brennschluß der V-2 und keiner Zündung der »WAC«-Rakete.
Es war die achte
Am 24. Juli 1950 erfolgte der erste Raketenstart von der Startrampe 3 in Cape Canaveral aus mit der »Bumper-8«, welche noch vor der »Bumper-7«, die erst fünf Tage später, am 29. Juli 1950 startete, abhob. Beide erreichten erfolgreich die vorgegebenen Höhen von 16,1 km und absolvierten jeweils einen Weitstreckenflug über 320 km. Die »Bumper-7« stellte dabei einen neuen Geschwindigkeitsrekord von 5.260 km/h auf.
Ziel des »Bumper«-Programms war damals das Testen einer Rakete und das Sammeln von Daten und Informationen über das Weltall. 70 Jahre später hat Cape Canaveral – der Name des Küstenabschnitts ist zum Synonym für die inzwischen bestehenden beiden Weltraumbahnhöfe »Kennedy Space Center« und »Cape Canaveral Air Force Station« geworden – bereits mehrere tausend Tests und Starts gesehen. Darunter sind tragische wie der Brand von »Apollo 1« 1967, bei dem drei Astronauten ums Leben kamen, und erfolgreiche, wie der Start von »Apollo 11« zur ersten bemannten Mondlandung 1969.
Tragisch auch, daß der erfolgreiche Raumfahrtbahnhof in seinen Anfangszeiten mit tödlichem militärischem Kriegsspielzeug, tausenden von Menschenleben, in Nacht- und Nebelaktionen wohl unrechtmäßig entwendetes Material und zu guter Letzt einem heute umstrittenen Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun belastet ist. Die Feierlichkeiten zum ersten Raketenstart vor 70 Jahren werden wohl kaum daran erinnern.
Genauso tragisch ist auch, daß verschiedene Zeitgenossen heute daran erinnern wollen, daß es die »Bumper V-2« gewesen sei die als erste in Cape Canaveral abhob. Denn eine solche hat es nie gegeben!
Pierre Buchholz
Wernher von Braun mit hohen Offizieren der faschistischen deutschen Wehrmacht in Peenemünde, März 1941