Ausland01. Dezember 2020

Ein Alleskönner

Ein Dutzend neuer Jobs für den früheren EU-Kommissar Oettinger

Der frühere EU-Kommissar (2010 – 2019) und vormalige Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg (2005 – 2010) muß sich seine magere Rente durch eine Vielzahl von neuen Arbeitsverhältnissen aufbessern. Im ersten Jahr nach den Ausscheiden aus der EU-Kommission hat sich Günther Oettinger (67) rund ein Dutzend neuer Beschäftigungsverhältnisse genehmigen lassen. Dies geht aus einem Register der EU-Kommission hervor. Der EU-Abgeordnete Daniel Freund (Grüne) beklagte am Sonntag ein »Geschmäckle«, weil unter Oettingers neuen Arbeitgebern mehrere Lobbyfirmen seien.

Oettinger war bis Ende November 2019 zehn Jahre lang deutscher EU-Kommissar gewesen, zuletzt zuständig für Haushalt und Personal. Nachfolgejobs müssen genehmigt werden, um in einer »Abkühlzeit« von zwei Jahren »Interessenskonflikte zu vermeiden«.

Kürzlich hatte der Tunnelbohrmaschinen-Hersteller Herrenknecht mitgeteilt, daß Oettinger in den Aufsichtsrat einzieht. Er ist zudem Kurator bei der Freiburger »Denkfabrik« Centrum für Europäische Politik (CEP).

Daneben hat die EU-Kommission Oettinger etliche weitere Beschäftigungen erlaubt, unter anderem für die Unternehmensberatung Deloitte, die Fondsgesellschaft Amundi und die Kommunikationsberatung Kekst CNC. Oettinger hat auch eine eigene Firma gegründet, die Oettinger Consulting Wirtschafts- und Politikberatung GmbH in Hamburg.

»Es liegt nahe, daß sich Lobbyfirmen hier einen exklusiven Zugang zu Entscheidungsträgern in den EU-Institutionen sichern wollen«, kritisierte der Grünen-Politiker Freund. Einige Genehmigungen seien zwar mit Auflagen erteilt worden, aber deren Einhaltung lasse sich kaum überprüfen. Es müsse sichergestellt werden, daß »keine Interessenskonflikte« entstünden.

Oettinger war in seiner Amtszeit als baden-württembergischer Regierungschef unter anderem im April 2007 durch eine Trauerrede für deinen Amtsvorgänger Hans Filbinger aufgefallen, der 1978 unter dem Druck der Öffentlichkeit als Ministerpräsident zurücktreten mußte, nachdem seine Tätigkeit als Marinerichter in der Zeit des faschistischen Regimes bekannt geworden war. Oettinger behauptete in der Trauerrede, Filbinger sei »kein Nationalsozialist« gewesen. Und setzte nach: »Im Gegenteil. Er war ein Gegner des NS-Regimes.« Damals konnte er Rücktritts-Forderungen noch knapp entgehen.

Auch angesichts weiterer Äußerungen, die Oettinger eindeutig an den rechten Rand der CDU positionierten, sowie seiner Verstrickungen in Finanz-Skandale im Zusammenhang mit dem Verkauf von Handschriften aus dem Bestand der Badischen Landesbibliothek und ebenso beim Bahnprojekt »Stuttgart 21« wurde er für das Amt des Regierungschefs immer mehr unhaltbar. Ende des Jahres 2009 wurde er schließlich von der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Merkel auf einen neuen Posten in der EU-Verwaltung komplimentiert.

Nachdem Oettinger im Februar 2010 sein Amt als Ministerpräsident niedergelegt hatte, übernahm er als deutscher Vertreter in der EU-Kommission nacheinander die Posten als EU-Kommissar für Energie (2010), für Digitalwirtschaft (2014), und für Finanzplanung und Haushalt (2017). In dieser Position fiel er unter anderem dadurch auf, daß er dafür eintrat, in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise in Griechenland EU-Beamte in »der offensichtlich wenig leistungsfähigen Verwaltung« des Landes einzusetzen und daß stark verschuldete Mitgliedstaaten ihre Haushaltshoheit an die EU abgeben sollten.
Der Träger des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse wurde zudem bekannt durch eine Rede, die er am 26. Oktober 2016 in Hamburg vor Unternehmern hielt. In deren Verlauf bezeichnete Oettinger Chinesen als »Schlitzohren und Schlitzaugen«, die schwarze Schuhcreme im Haar tragen, sprach von einer drohenden Einführung der »Pflicht-Homoehe« und kritisierte etliche Beschlüsse der deutschen Bundesregierung und des Bundestages. Nach Aufzeichnungen der EU traf sich Oettinger in seiner Zeit als EU-Kommissar allein zwischen Dezember 2014 und April 2017 mehr als 400 Mal mit Lobbyisten der Wirtschaft. Damit legte er offensichtlich den Grundstein für seine neuen Jobs, mit denen er seine kargen Rentenbezüge ein wenig aufbessern kann.

(ZLV/dpa)

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Finanzplanung und Haushalt, am 24. Juli 2019
(EPA-EFE/STEPHANIE LECOCQ)