NATO steigert Kriegsgefahr, EU baut am »Drohnenwall« und BRD-Außenminister Dobrindt will Regeln für Abschüsse im Inland erweitern
»Aufspüren, abfangen, abschießen«
Nach zweieinhalb Wochen Kriegshysterie in NATO-Ländern wegen angeblicher russischer Luftraumverletzungen durch Militärflugzeuge und Drohnen zeigt sich der Zweck der Inszenierung. Am vergangenen Samstag erklärte der Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, Admiral Giuseppe Cavo Dragone, nach der Tagung von 32 Generalstabschefs in der lettischen Hauptstadt Riga, die NATO könne die Überwachung ihres östlichen Luftraums nach dem wiederholten Eindringen russischer Drohnen und Jets in einen echten Verteidigungseinsatz umwandeln. Schon zum Auftakt des Treffens in Riga hatte sich Lettlands Präsident Edgars Rinkevics für diese Eskalation der Kriegsgefahr ausgesprochen. Ähnliche Forderungen erhob zuvor auch schon Litauen.
In der Nacht zum Sonntag kündigte der Sprecher des obersten NATO-Kommandos in Europa, Martin O’Donnell, zusätzlich an: »Wir werden unsere Wachsamkeit dank neuer Mittel noch verstärken.« Dabei handle es sich um geheimdienstliche Mittel, Aufklärungs- und Überwachungsausrüstung und »mindestens eine Luftabwehrfregatte«. Damit ist die deutsche Flugabwehrfregatte »Hamburg« gemeint, die am letzten Sonntag bereits im Hafen von Kopenhagen vor Anker lag. O’Donnell betonte, die NATO-Führung stehe im »permanenten Kontakt« mit Dänemark, von wo in den vergangenen Tagen mehrere Drohnenüberflüge an Flughäfen und über Militäreinrichtungen gemeldet wurden. Obwohl es keine Hinweise auf die Verursacher gab, hatte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen von »hybriden Angriffen« gesprochen. Westliche Politiker und Medien legten nahe, daß Rußland verantwortlich sei, und Abschüsse gerechtfertigt.
Um was es tatsächlich geht, machte am Freitag letzter Woche der EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, Andrius Kubilius, klar. Er teilte mit, bei einer Videokonferenz mit Armeeministern sei vereinbart worden, mit der Umsetzung des Konzepts eines »Drohnenwalls« zu beginnen. Er soll das Erkennen, Verfolgen und Abfangen von unbemannten Flugkörpern ermöglichen. Erstmals hatten vier Autoren der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, an der Spitze DGAP-Präsident Thomas Enders, früher Airbus-Chef, im März auf einen solchen »Wall« gedrängt. Ein Ziel dabei: Die EU soll von den USA militärtechnisch unabhängiger werden. Kubilius erklärte nun, er werde sich beim derzeit stattfindenden EU-Gipfel den politischen Rückhalt der Staats- und Regierungschefs sichern. In einem Interview der Internetseite Euractiv hatte er zuletzt gesagt, der Wall könne innerhalb eines Jahres aufgebaut sein.
Das deutsche Rüstungsunternehmen Helsing, dessen Aufsichtsratschef Enders ist, soll dabei offenbar eine führende Rolle übernehmen. Die BRD nutzt die Drohnenhysterie außerdem, um im Inland die Befugnisse der Bundeswehr zu erweitern. Innenminister Alexander Dobrindt sagte der »Rheinischen Post« vom letzten Samstag: »Ich will im Luftsicherheitsgesetz festschreiben, daß die Bundeswehr der Polizei im Inneren Amtshilfe leisten darf – gerade bei Drohnenabwehr-Einsätzen.« Die Gesetzesgrundlage will er noch in diesem Herbst auf den Weg bringen, sagte er vor Journalisten in Berlin. Ziel sei auch, ein deutsches Drohnenkompetenzzentrum aufzubauen. Laut »Bild« ist zentraler Bestandteil der geplanten Änderung, daß die Bundeswehr im Falle einer akuten Bedrohung künftig Drohnen abschießen darf. Das hatte die Rest-Ampel bereits im Januar auf den Weg bringen wollen, konnte es aber wegen der vorgezogenen Parlamentswahl nicht mehr durch den Bundestag bringen.
Dobrindt sagte in Berlin, es gehe um das Aufspüren, Abfangen und auch um das Abschießen von Drohnen: »Das sind die Grundlagen, über die wir da sprechen, wenn wir uns neu aufstellen für die Drohnenabwehr.«
Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte zur Abschußdebatte in der NATO am vergangenen Freitag im russischen Fernsehen, »unverantwortliche Äußerungen über die Notwendigkeit, russische Flugzeuge abzuschießen« seien »unvorsichtig, unverantwortlich und bergen gefährliche Konsequenzen«. Das ist sehr freundlich ausgedrückt.

