Leitartikel10. Mai 2017

Ein Tropfen auf den heißen Stein

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Seitdem die Salariatskammer im Jahr 2011 zum ersten Mal ihr »Panorama social au Luxembourg« veröffentlicht hat, beklagt sie Jahr für Jahr eine weitere Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit. Davon ist betroffen, wem es seit mindestens einem Jahr verwehrt wird, seine Arbeitskraft zu verkaufen.

Weil es in der Regel nach einem Jahr auch kein Arbeitslosengeld mehr gibt, ist Langzeitarbeitslosigkeit eines der größten Armutsrisiken und hat darüber hinaus gravierende Folgen für die Gesundheit und die gesellschaftlich-kulturelle Teilhabe der Betroffenen und ihrer Familien. So sind Arbeitslose in Relation zu Erwerbstätigen doppelt so häufig von Krankheiten, Spitalaufenthalten oder der Behandlung mit Psychopharmaka betroffen.

Bei Personen mit mehr als zweijähriger Arbeitslosigkeit – ihr Anteil betrug laut Adem zuletzt (März 2017) 30,9 Prozent – steigt einem Bericht des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen zufolge das Sterblichkeitsrisiko auf das 3,8-Fache gegenüber in Beschäftigung stehenden Menschen. Bereits 2008 wurde in den USA eine Langzeitstudie veröffentlicht, die empirisch nachwies, daß Arbeitslose unabhängig von anderen wichtigen Faktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Diabetes einem ungefähr zweieinhalbmal höheren Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte ausgesetzt sind als Gleichaltrige in Arbeit.

Hinzu kommt, daß mit der Dauer der Arbeitslosigkeit der Grad der »Entqualifizierung«, der Entwertung der bisher erlangten beruflichen Qualifizierung, ansteigt, was eine neue Anstellung noch unwahrscheinlicher macht. In vielen Fällen wirkt sich Erwerbslosigkeit auch auf die folgende Generation aus, denn Kinder von Arbeitslosen, insbesondere die von Langzeitarbeitslosen, haben schlechtere Chancen, geistig und körperlich gesund aufzuwachsen.

Ältere Arbeitslose, die jahrelang an eine feste Arbeitsstruktur gewöhnt waren, und alleinstehende Männer, die verstärkt zu Isolation neigen, sind Studien zufolge stärker von den psychischen Folgen der Erwerbslosigkeit betroffen. Konsequenzen können Depressionen, Suchterkrankungen und eine durch Hoffnungslosigkeit und Lebensunlust erhöhte Suizidneigung sein.

Arbeitsminister Schmit hat also recht, wenn er sagt, der angestrebte Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit sei »auch eine Frage der Menschenwürde«, und es ist zu begrüßen, daß er sich des Problems annehmen will. Es ist aber fraglich, ob es ausreicht, den verbliebenen 105 Gemeinden zusätzliche Stellen speziell für Langzeitarbeitslose zu finanzieren, wenn im März bereits 7.425 Menschen seit einem Jahr oder länger ohne Anstellung waren.

Wäre es nicht besser, die Arbeitslosigkeit insgesamt zu bekämpfen, um zu verhindern, daß Menschen langzeitarbeitslos werden? Die Regierung sollte noch mal darüber nachdenken, ob es wirklich eine gute Idee ist, die »préretraite-solidarité« und die Beihilfe zur Förderung der geographischen Mobilität abzuschaffen, die Hilfe zur Wiedereinstellung von Langzeitarbeitslosen (sic!) einzuschränken, die Wiedereinstellungshilfe finanziell und zeitlich zu begrenzen und die zu Beginn der anhaltenden Krise eingeführte Regelung, nach der das Arbeitslosengeld nicht mehr automatisch nach sechs Monaten gekürzt wird, nicht zu verlängern.

Hilfreich wäre auch, Betriebe, in denen regelmäßig Überstunden geleistet werden müssen, per Gesetz zu verpflichten, endlich Neueinstellungen vorzunehmen.

Oliver Wagner