Gegen Konfrontation mit China
Kamala Harris beendete Besuch in Hanoi. Vietnam bekräftigt seine »unabhängige, eigenverantwortliche, multilaterale und vielfältige Außenpolitik«
Die Vizepräsidentin der USA, Kamala Harris, hat am Donnerstag einen zweitägigen Besuch in der Sozialistischen Republik Vietnam, der zweiten Station ihrer ersten offiziellen Reise nach Asien, beendet. Zuvor hatte sie in Singapur für eine verstärkte Unterstützung der USA-Vorherrschaft im Asiatisch-Pazifischen Raum geworben, den Marinestützupunkt Changi des Stadtstaates und das Küstenkampfschiff »USS Tulsa« besucht. Auf dem Rückflug nach Washington wird sie einen Zwischenstopp auf der USA-Militärbasis auf Hawaii einlegen. Im Juli hatte bereits USA-Kriegsminister Lloyd Austin Hanoi enen Besuch abgestattet.
Der Besuch der Stellvertreterin von USA-Präsident Biden signalisierte, daß die Washingtoner Regierung den Beziehungen zu Vietnam im Rahmen ihrer Indochina-Strategie Priorität einräumt. Medien lagen wohl nicht ganz falsch, als sie in Wahlkampfzeiten hervorhoben, daß Biden mit Harris als »Running Mate« mit indisch-tamilischer Herkunft dabei in der Region Punkte sammeln konnte.
Die vietnamesische Hauptstadt stand bei der Ankunft des Gastes unter strengen Corona-Beschränkungen. Nach einer guten Bewältigung der Pandemie wird Vietnam derzeit von einer neuen Welle erfaßt, die am vergangenen Sonntag 737 Todesfälle verursachte, und die Gesamtzahl der Corona-Toten seit Beginn der Pandemie auf 8.277 ansteigen ließ.
Kamala Harris wurde von Präsident Nguyen Xuan Phuc empfangen und traf mit Premierminister Pham Minh Chinh und weiteren führenden Persönlichkeiten zusammen. Vietnam betrachte die USA als einen seiner wichtigen Partner, mit dem es die bilaterale Zusammenarbeit »auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität, territorialen Integrität und der politischen Institutionen für Frieden, Stabilität und Entwicklungszusammenarbeit in der Region und der Welt insgesamt« weiter entwickeln möchte, betonte Präsident Xuan Phuc.
Im Vordergrund der Gespräche über die weitere Gestaltung der bilateralen Zusammenarbeit standen wirtschaftliche und Sicherheitsfragen sowie die Bekämpfung der Corona-Pandemie, berichtete die Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA). Harris kündigte zusätzlich zu bereits gelieferten fünf Millionen eine weitere Sendung von einer Million Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffes an. Im Rahmen der Kooperation in Gesundheitsfragen eröffnete sie in Hanoi ein neues Büro des US-amerikanischen Zentrums für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (CDC) in Südostasien.
Laut »Hanoi Times« wollen die USA und Vietnam ihre »umfassende Partnerschaft« vor allem bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie stärken. Weitere Bereiche seien die Eindämmung des Klimawandels, Cybersicherheit und digitaler Handel. Vietnam sei interessiert, seine Elektronikindustrie auf einen höheren Standard zu heben, um ihr ein Absatzgebiet auf dem US-amerikanischen Markt zu schaffen. Dazu gehöre auch der Ausbau seiner Kapazitäten zur Herstellung von Halbleiterchips für den Verkauf in den USA, wo derzeit ein Mangel besteht.
In der Zeit der Südostasien-Reise von Vizepräsidentin Harris findet bis Ende August das Manöver »Large Scale Exercise 2021« (LSE 2021) im Indo-Pazifik statt. Teile der Militärübungen werden in der Nähe der Küsten Vietnams im Süd- und Ostchinesichen Meer abgehalten, wo die umstrittenen Spratley-Inseln liegen. An dem »Planspiel eines Weltkrieges«, das insbesondere gegen China und Rußland gerichtet ist, nehmen 25.000 Soldaten und 36 Kriegsschiffe der USA und von NATO-Partnern teil. Damit solle verdeutlicht werden, daß es darum geht, »die Kontrolle großer Meeresgebiete durch feindliche Streitkräfte überall zu verhindern«. schrieb das US-amerikanische Militär-Magazin »Stars and Stripes«.
Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt hat Hanoi den Versuchen der USA-Vizepräsidentin, Vietnam in die Konfrontation gegen China einzubeziehen, erneut eine Abfuhr erteilt. Eine während des Besuchs veröffentlichte Regierungserklärung stellte klar, daß »Vietnam eine unabhängige, eigenverantwortliche, multilaterale und vielfältige Außenpolitik verfolgt und ein verantwortungsbewußtes Mitglied der internationalen Gemeinschaft ist«. Vietnam »verbündet sich nicht mit einem Land gegen ein anderes«, wird betont. Territoriale Streitigkeiten im Südchinesischen Meer »sollten auf der Grundlage des Internationalen Rechts« und mit »hohem Menschenverstand« beigelegt werden.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat sich Premierminister Minh Chinh vor dem Eintreffen von Kamala Harris auch mit dem chinesischen Botschafter in Vietnam zu einem Meinungsaustausch getroffen, bei dem China eine Spende von zwei Millionen Covid-19-Impfstoffdosen zusagte.
Kamala Harris bemühte sich, bei ASEAN-Partnern aufkommenden Meinungen zu entgegenen, die USA könnten sich, ähnlich wie in Afghanistan, aus der Region zurückziehen und »China das Terrain überlassen«. Den Abzug der USA-Truppen aus Afghanistan hatte sie bereits in Singapur als »mutige und richtige Entscheidung« ihres Präsidenten zur Beendigung eines seit 20 Jahren dauernden Krieges verteidigt. Der Rückzug aus Afghanistan werde es Washington ermöglichen, Ressourcen freizusetzen, die sich wieder auf »die Bekämpfung der Pekinger Politik konzentrieren« können, kommentierte der asiatisch-arabische Nachrichtensender »Aljazeera«. Vietnamesische Medien vermieden Vergleiche mit Afghanistan und vor allem mit der vernichtenden Niederlage der USA 1975 im Krieg gegen Vietnam.
Auf das übliche Gerassel um »mehr Demokratie« oder ein »Mehrparteiensystem« hatte Kamala Harris verzichtet – zugunsten ihrer Versuche, Hanoi für eine Fronstellung gegen China zu gewinnen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, daß der erste Mann in der Führung Vietnams, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Nguyen Phu Trong, sich im Vorfeld der Besuche von Harris und Austin im Juni in einen Grundsatzartikel die Führung durch die Partei bei der Zusammenarbeit mit dem Kapital im In- und Ausland bekräftigt hatte, was unter der Bevölkerung breite Zustimmung fand.