Ausland24. März 2023

CGT-Generalsekretär Philippe Martinez: In Frankreich braut sich eine »explosive Stimmung zusammen«

Zwei Millionen gegen Macron

von Ralf Klingsieck, Paris

Auch nachdem Präsident Emmanuel Macron sein »Rentenreformgesetz« per Vertrauensfrage durchs Parlament gedrückt hat, so daß es nun ohne Abstimmung als »angenommen« gilt, gehen die Massenproteste in Frankreich weiter. Für Donnerstag hatten die acht größten Gewerkschaften und die fünf wichtigsten Jugendverbände zum bereits neunten Streik- und Aktionstag gegen Macrons »Reform« aufgerufen. Nach Schätzungen der Organisatoren nahmen an den landesweit gut 250 Demonstrationen wieder mehr als zwei Millionen Menschen teil, 12.000 Polizisten waren im Einsatz.

Die Streiks vor allem im Verkehrswesen und in der Energiewirtschaft halten bereits seit mehr als einer Woche an. Durch die Blockade der Raffinerien ist schon jede fünfte Tankstelle im Land ohne Treibstoff und vor den anderen gibt es kilometerlange Autoschlangen. Am Donnerstag streikten wieder sehr viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, aber auch aus der Privatwirtschaft. Beim Bahnunternehmen SNCF fiel jeder zweite Fernzug aus und der Personennahverkehr in vielen Städten war weitestgehend lahmgelegt. In Paris fuhren die Metro und die Vorortzüge stark eingeschränkt und auch nur im Berufsverkehr.

Die größte Demonstration des Aktionstages fand wieder in Paris statt und führte diesmal vom Bastille-Platz über die Grands Boulevards bis zur Oper. Angeführt wurde sie von den Generalsekretären der großen Gewerkschaften, von denen besonders Philippe Martinez von der CGT und Laurent Berger von der CFDT von Journalisten umringt waren und Erklärungen abgeben, vor allem zu Macrons Interview am Vortag. Darin hatte der Präsident deutlich gemacht, daß er sich durch die Massenproteste nicht beirren läßt und seinen salariatsfeindlichen Kurs unverändert fortsetzt. Er werde weder die Premierministerin ablösen, noch die Regierung umbilden und schon gar nicht eine Volksbefragung über die »Rentenreform« durchführen, wie das Gewerkschaften und linke Parteien fordern und wie das auch von mehr und mehr bürgerlichen Politikern befürwortet wird, um die Zerrissenheit der Gesellschaft zu überwinden.

Nach Macrons Überzeugung ist die »Reform« völlig »rechtmäßig« verabschiedet worden und er will sie auf jeden Fall noch in diesem Jahr in Kraft setzen. Er räumte lediglich ein, er habe vielleicht zu wenig die »absolute Notwendigkeit« und seine Beweggründe für die Reform erläutert, so daß sich in der Bevölkerung »falsche Vorstellungen« und eine »Abwehrhaltung« habe breitmachen können. Den Gewerkschaften warf er vor, sie hätten seine »Reform« von vornherein nur pauschal abgelehnt und »keine konstruktiven Alternativen oder Kompromisse« vorgeschlagen. Das wurde von den Gewerkschaftsvertretern empört zurückgewiesen und von Berger als »schamlose Lüge« bezeichnet. Martinez erklärte, der Präsident verdränge, daß sich im Land eine »explosive Stimmung zusammenbraut«.

Der Präsident hatte sich auch über die gewalttätigen Ausschreitungen am Rande der spontanen und nicht genehmigten Protestmärsche empört, die in den vergangenen Tagen nicht nur in Paris, sondern auch in vielen anderen Städten stattfanden. Dabei kam es vielerorts zu Zusammenstößen mit der Polizei sowie zu willkürlichen Zerstörungen und es wurden Autos oder Mülltonnen angezündet. Für dieses »Chaos« machte Macron die Bewegung La France insoumise (LFI), die er als »linksradikal« abstempelte, zumindest mitverantwortlich.