Luxemburg21. Oktober 2022

Sechseinhalbtausend Langzeitarbeitslose

Noch immer ist fast jeder zweite von Arbeitslosigkeit Betroffene seit zwölf Monaten oder noch länger bei der Adem eingeschrieben

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Von den offiziell 14.133 in Luxemburg ansässigen Männern und Frauen, die Ende September von Arbeitslosigkeit betroffen waren, ist noch immer fast die Hälfte (6.482 Personen oder 46 Prozent aller Betroffenen) seit zwölf Monaten oder noch länger bei der Agence pour le développement de l'emploi eingeschrieben. Das geht aus ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht hervor. Zum Vergleich: Noch vor 20 Jahren lag der Anteil der Langzeitarbeitslosen bei unter einem Fünftel aller Betroffenen.

Die Arbeitslosenquote, die vom nationalen Statistikamt Statec wie immer um »saisonale Effekte bereinigt« wurde, habe unverändert zum Vormonat bei 4,8 Prozent gelegen. Wenn die Adem jedoch stolz verkündet, die Zahl der Arbeitslosen sei innerhalb eines Jahres um fast zehn Prozent, und die der Langzeitarbeitslosen gar um 20 Prozent gesunken, gebietet die Chronistenpflicht, daran zu erinnern, daß die Langzeitarbeitslosigkeit im ersten Coronajahr deutlich angestiegen ist, und daß sich die von der Adem verkündete Verbesserung darauf bezieht.

Wobei die Pandemie die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte offenbar nur beschleunigt hat, denn der Anteil der Langzeitarbeitslosen war dem Statec zufolge bereits bis 2019, dem letzten Vorcoronajahr, auf 44 Prozent gestiegen. Außerdem hat die Salariatskammer im November vergangenen Jahres (in ihrem Avis zum Regierungsentwurf für das diesjährige Staatsbudget) darauf hingewiesen, daß im ersten Pandemiejahr auch bis dato weitgehend verschont gebliebene Gesellschaftsteile – und insbesondere Frauen jeden Alters – von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen waren. Dabei sei der größte Anstieg um fast zehn Prozent bei Frauen im Alter von 30 bis 44 Jahren festgestellt worden. Schließlich geht der Statec in seinen makroökonomischen Prognosen nicht nur davon aus, daß die Arbeitslosigkeit bis 2025 steigen wird, sondern auch, daß der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den bei der Adem gemeldeten Männern und Frauen bis zur Mitte des Jahrzehnts weiter zunehmen wird.

Es ist aber bekannt, daß Langzeitarbeitslosigkeit im Kapitalismus nicht nur eines der größten Armutsrisiken ist, sondern daß sie darüber hinaus mit gravierenden Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit sowie die gesellschaftlich-kulturelle Teilhabe der Betroffenen und ihrer Familien einhergeht. So sind Arbeitslose im Verhältnis zu Erwerbstätigen doppelt so häufig von Krankheit, Spitalsaufenthalten oder einer Behandlung mit Psychopharmaka betroffen. Wer sogar länger als zwei Jahre arbeitslos ist, bei dem steigt das Sterblichkeitsrisiko auf das 3,8-Fache gegenüber in Beschäftigung stehenden Menschen. Wissenschaftler haben empirisch gezeigt, daß Arbeitslose unabhängig von anderen Faktoren wie Rauchen, Übergewicht und Diabetes einem 2,5-mal höheren Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte ausgesetzt sind als arbeitende Gleichaltrige.

Hinzu kommt, daß mit der Dauer der Arbeitslosigkeit der Grad der »Entqualifizierung« (also der Entwertung der erlangten Berufsqualifizierung) steigt, was die Chance auf eine Neuanstellung noch unwahrscheinlicher macht. Nicht selten wirkt sich Erwerbslosigkeit auch auf die Folgegeneration aus, denn Kinder von Arbeitslosen, insbesondere von Langzeitarbeitslosen, haben im Vergleich zu ihren Mitschülern geringere Chancen, geistig und körperlich gesund aufzuwachsen. Ältere Arbeitslose beiderlei Geschlechts, die an eine feste Arbeitsstruktur gewöhnt waren, und alleinstehende Männer, die öfter zu Isolation neigen, sind Studien zufolge stärker von den psychischen Folgen der Erwerbslosigkeit betroffen. Die Folgen reichen von Depressionen über Suchterkrankungen bis hin zu einer durch Hoffnungslosigkeit und Lebensunlust erhöhten Suizidneigung. Nicht selten kommt es zum Abbruch sozialer Kontakte. Besonders bei Jugendlichen ist eine längere Arbeitslosigkeit gefährlich, weil ihnen dann ein wesentliches Mittel zur Identitätsentwicklung vorenthalten wird.