Ausland19. März 2022

Kontinuität ist Programm

Macron will »unabhängiges Frankreich in einem starken Europa«. Angriff auf Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung wird fortgesetzt

von Ralf Klingsieck, Paris

Das Programm, mit dem sich der amtierende Präsident Emmanuel Macron bei der Wahl in drei Wochen um ein zweites Mandat bewirbt und das er auf einer ausführlichen Pressekonferenz am Donnerstag in Paris vorgestellt hat, zeugt von Kontinuität und dem Willen, die in Angriff genommenen »Reformen« gegen alle Widerstände durchzusetzen.

Im Zeichen des Krieges in der Ukraine stellte Macron seine geplanten Maßnahmen im Bereich des Militärs an den Anfang. Er wolle »ein unabhängiges Frankreich in einem starken Europa«, betonte er und kündigte eine weitere Aufstockung der Investitionen und laufenden Ausgaben für die Armee bis auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts an, wie er das bereits gegenüber den Verbündeten angekündigt hatte. Die Berufsarmee soll so umstrukturiert werden, daß der Anteil der »bei Bedarf« sofort verfügbaren Eingreiftruppen deutlich vergrößert wird. Die Zahl der Reservisten sowohl der Armee als auch der Polizei und Gendarmerie soll verdoppelt werden.

Frankreich werde sich weiter für eine »gemeinsame Verteidigung in Europa« einsetzen, die die NATO ergänzen soll. Im Innern wird eine flächendeckende Zivilverteidigung aufgebaut, für die Macron die Erfahrungen aus der Mobilisierungsbereitschaft während der Corona-Krise nutzen will.

Die wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, die Macron plant, werden von der linken Opposition und den Gewerkschaften, aber auch von Wissenschaftlern und anderen neutralen Beobachtern als Fortsetzung des Trends in Richtung auf die neoliberale Rechte gewertet. Von Journalisten darauf angesprochen, sagte Macron: »Ich pfeife darauf, ob man mich als rechts oder links einordnet. Ich will pragmatisch und effizient für Frankreich und seine Bürger sein.«

Besonders deutlich wird das bei der »Rentenreform«, mit der Macron in seiner ersten Amtszeit auf starken Widerstand gestoßen ist und die er mit modifiziertem Ansatz weiterführen und durchsetzen will. Im Mittelpunkt stehen dabei die schrittweise Anhebung des Rentenalters von heute 62 auf 65 Jahre und die Abschaffung der Sonderrentenregime, die die Gewerkschaften in jahrzehntelangen Kämpfen für einzelne Berufsgruppen wie beispielsweise die Eisenbahner erringen konnten. Andererseits zeigt sich Macron bereit, Sonderregelungen für einen früheren Renteneintritt derjenigen Beschäftigten vorzusehen, die ihr ganzes Berufsleben über besonders schwer körperlich arbeiten mußten. Einen entsprechenden Passus hatte er noch 2017 aus dem Entwurf seiner Sozialministerin gestrichen.

Nachdem die Arbeitslosenversicherung bereits »reformiert« wurde, wobei sich die Bedingungen deutlich verschärft haben, ist jetzt die Sozialhilfe RSA an der Reihe. Sie wird vom 26. Lebensjahr an gezahlt und beträgt heute 565 Euro im Monat, ist künftig aber mit der Verpflichtung verbunden, monatlich 15-20 Stunden »Arbeit mit dem Ziel einer beruflichen Wiedereingliederung« zu leisten. Die Forderung, die RSA auf beschäftigungslose Jugendliche auszuweisen, hat Macron erneut abgelehnt, hat aber für diese Altersgruppe gezielte »Berufsbildungsprogramme« zugesagt. Durch diese »Reformen«, aber auch durch neue Maßnahmen für Unternehmen und Investoren wie eine Steuersenkungen im Umfang von 15 Milliarden Euro und eine großzügigere Steuerfreistellung von Erbschaften will Macron zur »Schaffung neuer Arbeitsplätze« beitragen und in den nächsten fünf Jahren die »Rückkehr zur Vollbeschäftigung« erreichen.

Zum Thema der inneren Sicherheit kündigte Macron die Schaffung von 10.000 neuen Posten bei Polizei und Gendarmerie an, was dem Ziel dienen soll, »die Präsenz der Ordnungskräfte im öffentlichen Raum zu verdoppeln«. Er verkündete das Ziel, die Kriminalität und vor allem den Drogenhandel konsequent zurückzudrängen. In diesem Zusammenhang weist er Forderungen nach einer Legalisierung von Cannabis entschieden zurück, weil das nach seiner Ansicht ein Zeichen der Hilflosigkeit des Staates wäre und letztlich nur zu einer Verschärfung der Lage bei härteren Drogen führen würde.

Mit Hilfe des unlängst in Kraft getretenen neuen Gesetzes gegen Separatismus will Macron den »Kampf gegen islamistische Radikalisierung« verstärken und dadurch nicht zuletzt die Muslime in Frankreich von diesem Einfluß fernhalten und ihre »Stellung in der Gesellschaft verbessern«. In diesem Zusammenhang verwies Macron darauf, daß in den zurückliegenden Monaten 650 Vereine aufgelöst und 22 Moscheen geschlossen wurden, weil sie unter dem Einfluß von radikalen Islamisten standen.

Zum Thema Einwanderung kündigte Macron einerseits eine Verschärfung der Grenzsicherung und andererseits eine Vereinfachung und Beschleunigung der Asylverfahren an. Allerdings sollen abgelehnte Asylbewerber konsequent abgeschoben werden. Bürger von Staaten, die wenig Kooperationsbereitschaft bei der Rückführung ihrer illegal nach Frankreich ausgewanderten Staatsbürger zeigen, werden künftig deutlich weniger oder gar keine Visa für Frankreich erhalten.

In der Volksbildung, die die meisten öffentlichen Gelder bekommt, soll die Effizienz des Schulwesens deutlich verbessert werden. Macron befürwortet Wettbewerb unter Schulen und schließt damit im Gegensatz zu seinen Vorgängern eine Aufhebung der traditionellen und gesetzlich geregelten Zuweisung der Schüler an die Schule ihres Wohnbezirks nicht mehr aus. Die Gehälter der Lehrer, die unter dem EU-Durchschnitt liegen und beispielsweise nur die Hälfte der in Deutschland gezahlten betragen, sollen spürbar erhöht werden. Das ist aber mit der Verpflichtung verbunden, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, beispielsweise bei der Förderung schwächerer Schüler oder bei der Vertretungen für ausgefallene Kollegen. »Wer dazu nicht bereit ist, muß sich weiter mit seinem heutigen Gehalt zufriedengeben«, beschied Macron.

Tatsächlich Reformbedürftig ist das Gesundheitswesen. Macron räumte ein, die Coronakrise habe gezeigt hat, daß die hier in den letzten Jahren eingesetzten zusätzlichen Mittel und neugeschaffenen Arbeitsplätze nicht die erwartete Wirkung gezeigt haben. Um das zu ändern, soll die Abgrenzung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor abgebaut und Kooperation zwischen ihnen gefördert werden. Um dem Ärztemangel zu begegnen, bis die unlängst erfolgte Abschaffung des Numerus Clausus bei der Medizinerausbildung Wirkung zeigt, womit nicht vor 2030 zu rechnen ist, sollen in der Übergangsperiode verstärkt Studenten der höheren Semester in der medizinischen Praxis eingesetzt werden.

Zum Thema der nachhaltigen Entwicklung räumte Macron ein, daß Frankreich die für 2020 anvisierten Klimaschutzziele nicht erreicht hat, aber er zeigte sich zuversichtlich, daß bis 2050 die CO2-Neutralität geschafft wird. Dabei setze Frankreich auf einen Mix aus Kernkraft und erneuerbaren Energien. Dafür sollen unverzüglich sechs neue Kernreaktoren der neuen Generation gebaut werden und mittelfristig noch einmal acht. Die Sonnenenergiegewinnung soll verzehnfacht und es sollen mehr als 50 Offshore-Parks für Windkraftanlagen im Meer geschaffen werden. Um auch einkommensschwachen Haushalten den Wechsel zu elektrisch angetriebenen Autos zu ermöglichen, werde mit staatlicher Beihilfe und in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie ein Leasingmodell mit bezahlbaren Monatsraten geschaffen.

Im Zusammenhang mit den durch den Krieg in der Ukraine stark steigenden Energiepreisen verwies Macron auf die Entscheidung der Regierung, sofort 25 Milliarden Euro bereitzustellen, um die Folgen für die Wirtschaft und die Verbraucher »abzufedern«. Vor allem sollen Unternehmen und ganze Branchen mit hohem Energiebedarf unterstützt werden wie der Straßentransport, die Fischerei und die Landwirtschaft. Für die Bürger werden aus diesen Mitteln ab Anfang April und zunächst für vier Monate die Treibstoffpreise um 15 Cent pro Liter gedrosselt.