Leitartikel20. August 2021

Gesellschaftlichen Wohlstand definieren

von

Autonome Autos und Lkws, Selbstbedienungskassen im Supermarkt, Online-Banking oder Fließband-Roboter. Dies sind technische Errungenschaften, die heute schon den meisten Menschen geläufig sein dürften. Doch was steckt hinter dem Begriff der »Digitalen Revolution«, der von Medien, herrschender Politik und Unternehmen so oft als das zukünftige Nonplusultra der Gesellschaftsbildung angepriesen wird?

Die vergangenen industriellen Revolutionen haben immer zu einer Steigerung der Produktivität geführt, deren Vorzüge zu Gunsten der Unternehmen und deren Besitzer und Anteilseigner abgeschöpft wurden. Zu keinem Zeitpunkt allerdings sprangen aus diesen Veränderungen Vorteile für die arbeitende Bevölkerung heraus. Die Senkung der Wochenarbeitszeit, Urlaub oder Krankengeld sind daraus nicht entsprungen, sie wurden lang und zäh politisch errungen, auch wenn sie von so manchem Lohnabhängigen als patronale Geschenke oder sonst irgendwie vom Himmel gefallen betrachtet werden.

Warum also sollte ausgerechnet bei der »Digitalen Revolution« irgendetwas Brauchbares für das Salariat dieser Welt herausspringen? Hand in Hand mit dem Begriff der »Digitalisierung« geht meist jener der »Flexibilisierung«. Spätestens hier sollten bei allen Beschäftigten die Alarmglocken läuten. Dieses Wort suggeriert eine positive Veränderung einer streßreichen Arbeitswelt. Veränderung schon, jedoch nicht zum Positiven für alle Beteiligten. Wir haben seit einiger Zeit bereits Vorhaben der Wirtschaft kennengelernt, nach denen Angestellte immer mehr auf Abruf bereit stehen sollen, klare Grenzen von Arbeitszeiten zum Lohnerwerb und sozial nutzbarer Freizeit aufweichend und allzeit erreichbar.

Dabei führt die zunehmende Digitalisierung dem DGB-Index »Gute Arbeit« zufolge bereits jetzt zu steigenden psychischen Belastungen und mehr Arbeitsdruck. Dabei sollte man doch meinen, eine industrielle »Revolution« sollte es ermöglichen, die für die Verrichtung der notwendigen Arbeit des Einzelnen benötigte Zeit könne reduziert werden. Doch dies ist nicht gewollt: Digitale Möglichkeiten werden gnadenlos vorwiegend gegen die Interessen der Arbeitenden eingesetzt: Multitasking, früher als besondere Fähigkeit gelobt, wird heute schlicht erwartet, ebenso wie der Umgang mit mehr Arbeitsvolumen.

Wir können uns also fragen, was unsere Schüler in den neuen, von den »liberalen« Parteien EU-weit als Bildungs-»Revolution« angepriesenen Digitalisierung des Klassenzimmers in erster Linie lernen sollen: Allgemeinbildung und Vorbereitung auf ein Leben als kritisches und fähiges Mitglied der Gesellschaft oder schlicht ein möglichst gering entlohntes Zahnrädchen, das fünf Sprachen beherrscht, Softwarekenntnisse hat und Konsumieren kann, geschliffen für die Interessen der Wirtschaft?

Wir sollten uns auch die Frage stellen, ob nicht endlich Schluß sein sollte mit dem einseitigen Abschöpfen von Vorteilen aus der Produktivitätssteigerungen, und in der aktuell wieder laufenden Rentendebatte darüber nachdenken, ob eine »Digitale Revolution« es erfordert, eine längst überfällige Verkürzung von Wochen- und Lebensarbeitszeit ohne finanzielle Einbußen zu diskutieren. Stattdessen werden aber nur wieder Berufsgruppen gegeneinander aufgerechnet.

Was springt zur Verbesserung der Gesellschaft bei dieser »Revolution« heraus, oder werden die Lohnabhängigen nur ein weiteres Mal über den Tisch gezogen? Der geschaffene Wohlstand muß endlich gerecht verteilt werden. Gerade in Zeiten der Krise gilt es, darauf aufmerksam zu machen.