Ausland

Schwenk nach rechts

Der Wahlsieg der Hindu-Nationalisten über die Kongreß-Partei in Indien wird den Volksmassen keine Verbesserung bringen

Die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) hat das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahlen in einer ersten Stellungnahme am 16. Mai als »klar und eindeutig« bezeichnet. Es habe eine »Anti-Kongreß-Welle« gegeben, die die bisher regierende Kongreß-Partei mit ihren Verbündeten davongejagt hat. Die BJP (Bharatiya Janata Party) habe von dieser Anti-Kongreß-Welle profitiert und damit einen großen Sieg erreicht.

Weiter heißt es in der KPI(M)-Stellungnahme unumwunden : »Die Ergebnisse für die KPI (M) und die Linksparteien waren enttäuschend.« Die Demokratische Linksfront verzeichnet einen Gewinn in Kerala und die Linksfront in Tripura errang höhere Stimmenanteile. Doch die weit verbreitete Fälschung, Gewalt und Einschüchterung gegen die Linksfront in Westbengalen habe zu einem verzerrten Ergebnis geführt, das die Unterstützung des Volkes für die KPI(M) und die Linksfront nicht widerspiegelt. Die Wahlkommission habe es versäumt, korrigierend einzugreifen. Die KPI(M) werde die Schwächen, die sich gezeigt haben, untersuchen und Schritte zu ihrer Überwindung unternehmen. Die KP-Führung wird Anfang Juni zu einer gründlicheren Beratung dieser Ergebnisse zusammentreten. Die Stellungnahme endet mit der Feststellung, die KPI(M) werde »weiterhin dafür wirken, die Interessen des arbeitenden Volkes zu verteidigen und die säkulare demokratische Struktur des Landes zu erhalten« .

Nach dem von der Wahlkommission bekanntgegebenen Endergebnis haben von den rund 833 Millionen Wahlberechtigten in den 543 Wahlkreisen mehr als 553 Millionen ihre Stimme abgegeben. Das war eine in der Geschichte Indiens seit der Unabhängigkeit bisher noch nie erreichte Rekord-Wahlbeteiligung von 66,5 Prozent.

In Indien gilt jedoch das reine Mehrheitswahlrecht nach englischem Muster. Das hat zur Folge, daß nur die Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen zählen, eine Stimmenverrechnung nach dem prozentualen Anteil der Parteien am Gesamtergebnis findet nicht statt. In jedem Wahlkreis erhält nur ein Kandidat, der die meisten Stimmen hat, das Mandat, auch wenn der Unterschied zum nächstfolgenden Bewerber vielleicht nur wenige Stimmen ausmacht und sein Stimmenanteil, wenn mehr als zwei Kandidaten angetreten sind, vielleicht weit unter 50 Prozent liegt. Das prozentuale Stärkeverhältnis der Parteien wird deshalb mit der Anzahl der jeweils gewonnenen Mandate nur verzerrt wiedergegeben.

Die bürgerlich-nationalistische bisherige Oppositionspartei BJP konnte ihre Abgeordnetenzahl bei dieser Wahl von 116 (2009) auf 282 Mandate mehr als verdoppeln. Die Kongreß-Partei dagegen fiel von 206 (2009) auf nur noch auf 44 Mandate, das ist weniger als ein Viertel der bisherigen Mandate und das schlechteste Ergebnis ihrer ganzen Geschichte.

Drittstärkste Kraft wurde mit 37 Sitzen die Regionalpartei AIADMK aus dem südindischen Tamil Nadu. 34 Sitze erreichte der Trinamol Congress aus dem Bundesstaat Westbengalen. Die neue Graswurzelpartei AAP, die den Wahlkampf aufmischte und im ganzen Subkontinent antrat, gewann nur vier Wahlkreise für sich.

Dieser erdrutschartige Wahlsieg der BJP ist, so sehr sich ihre Wähler auch über die Klassennatur dieser Partei und die wahren Absichten ihres »großen Führers« Narendra Modi täuschten, dennoch in erster Linie eine Widerspiegelung der Tiefe der Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik der bürgerlich-liberalen und gelegentlich sozialdemokratische Töne anschlagenden Kongreß-Partei. Ein Teil der BJP-Wähler ist sicherlich auch auf die an rassistisch-ethnische und religiöse Vorurteile gegen »die Moslems« appellierenden Reden des BJP-Führers über die »Tugenden des Hindutums« und das in den Massenmedien hochgespielte Bild vom neuen Regierungschef als erfolgreicher »Macher« , der sich aus kleinen Verhältnissen vom Teeverkäufer hochgearbeitet hat, hereingefallen.

Hinzu kam, daß auch bedeutende Teile des indischen Kapitals und der elitären Oberschichten den Regierungswechsel weg vom Kongreß und hin zur BJP wollten, nicht zuletzt, um eine noch schärfere und noch weniger gebremste Variante neoliberaler Politik einzuleiten und sich von den letzten sozialpolitischen »Rücksichten« zu befreien, zu denen sich die Kongreß-Partei im Interesse der Integration der arbeitenden Volksklassen gelegentlich noch verpflichtet fühlte.

Die BJP verfügt mit diesem Wahlergebnis im indischen Unterhaus (Lok Sabha) eine satte absolute Mehrheit. Sie hatte zwar von 1998 bis 2004 schon einmal den Regierungschef gestellt, war damals aber auf eine Koalition mit anderen Parteien angewiesen. Diesmal braucht sie auf Koalitionspartner keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen.

Die KPI(M) konnte sich zwar zusammen mit der mit ihr verbündeten KPI und den anderen Partnern der Linksfront stimmenmäßig in ihren Hochburgen, den Bundesstaaten Tripura, Kerala und West-Bengalen, zumindest teilweise gut behaupten. In Tripura gewann sie beide diesem Bundesstaat zustehenden Sitze im indischen Nationalparlament mit höheren Stimmenzahlen als bisher. In Kerala konnte sie einen Wahlkreis neu dazugewinnen und die Zahl ihrer Mandate damit auf 5 erhöhen. In West-Bengalen dagegen kam sie nur noch auf 2 Mandate. Sie verlor 7 bisher von ihr gehaltene Wahlkreise, wobei hier auch ein teilweise erheblicher Stimmenrückgang zu verzeichnen war. Die Zahl der kommunistischen Abgeordneten im Nationalparlament ging damit insgesamt von 16 auf 10 zurück.

Es ist bereits heute klar, daß mit der neuen BJP-Regierung nur eine andere Fraktion des indischen Kapitals und der mit ihm liierten ausländischen Konzerne die politische Macht übernommen hat. Ein anderer Kurs, der den Volksinteressen entsprechen würde, ist von dieser Regierung sicher nicht zu erwarten. Eher die Zuspitzung von kapitalistischen »Grausamkeiten« und ein noch autoritärerer Regierungsstil als bisher. Aber auch das gefährliche und politisch instrumentalisierte Schüren von religiösen und ethnischen Gegensätzen als Mittel der Spaltung und Beherrschung der unteren Volksklassen.
Insgesamt bestätigt das indische Wahlergebnis einmal mehr, daß Menschen, die mit ihren Lebensverhältnissen unzufrieden, durch fehlende persönliche Perspektiven verunsichert und verängstigt, von der Politik der Herrschenden enttäuscht sind, leicht zur Beute von Demagogen werden können, die an nationale, völkische und/oder religiöse Zusammengehörigkeitsgefühle appellieren und teilweise von alters her überkommene Gegensätze in der Bevölkerung für ihre Zwecke mobilisieren.

Daß der Schwenk nach rechts letztlich aber keine Lösung der Probleme für die große Masse der Bevölkerung bedeutet, ist sicher. Das wird vermutlich auch in Indien schon bald wieder sichtbar werden.

Georg Polikeit