Keine Lösung in Sicht
Der deutsche Innenminister Alexander Dobrindt ist am Sonntag nach Israel gereist. Am Montag traf er mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Außenminister Saar zusammen. Zuvor fanden bereits Gespräche mit Kriegsminister Israel Katz und mit Ron Dermer, dem Minister für strategische Angelegenheiten und engen Netanjahu-Vertrauten statt.
Für Dobrindt ist der Besuch ein Zeichen der Unterstützung für Israeldurch die Bundesrepublik Deutschland, zivile und militärische Verteidigung müsse man »zusammen denken«. Es gehe um Cyberabwehr und Bevölkerungsschutz, da sei Israel Deutschland voraus. Daher will der deutsche Innenminister von Israel einen »Cyber Dome« kaufen, ein »schlagkräftiges digitales Schutzschild, das die deutsche kritische Infrastruktur gegen Spionage und Sabotage schützen« soll. Geschützt werden müsse Deutschland auch gegen »das iranische Atomprogramm«, der – nicht provozierte – Angriff Israels gegen den Iran sei richtig gewesen. Die iranischen Raketenangriffe auf Israel hätten gezeigt, daß »ein Kampf gegen die Zivilbevölkerung geführt« werde, behauptete Dobrindt. Deutschland werde weiterhin alles tun, um die Existenz Israels zu sichern.
Kein Wort zum Völkermord in Gaza
Mit keinem Wort ging der deutsche Innenminister darauf ein, daß der israelische Angriff auf den Iran und auf die iranischen Atomanlagen gegen die UNO-Charta, das internationale und humanitäre Recht, Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates und gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen. Mit keinem Wort erwähnte Herr Dobrindt den israelischen Vernichtungskrieg gegen Gaza, die Hauszerstörungen und Vertreibungen von Palästinensern im Westjordanland, geschweige denn die illegale Besetzung libanesischen und syrischen Territoriums durch israelische Truppen.
Unbelastet zeigte sich Minister Dobrindt auch von der inzwischen mehrheitlichen Meinung von EU-Staaten, daß man das Partnerschaftsabkommen der EU mit Israel aussetzen und überprüfen müsse. Doch der deutsche Innenminister handelt ganz im Sinne deutscher Außenpolitik, schließlich hatte Bundeskanzler Friedrich Merz mit allen Kräften beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche EU-Sanktionen gegen Israel verhindert. Die deutsche Bundesregierung liefert nicht nur Waffen an Israel, sie kauft auch neue Waffen und Waffensysteme aus Israel ein. Was immer sonst noch auf der Agenda von Dobrindt in Israel stehen mag – das Wohlergehen der Palästinenser und deren in der UNO-Charta und zahlreichen UNO-Resolutionen verbrieften Rechte sind es nicht.
Keine Geschäfte mit Israel!
Francesca Albanese, UNO-Sonderberichterstatterin über die Situation der Menschenrechte in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten, konfrontiert Staaten wie Deutschland seit langem damit, daß sie angesichts der israelischen Weigerung, die Hungerblockade gegen die Bevölkerung im Gazastreifen aufzuheben, ihren Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht nicht nachkommen.
Die Staaten »sind verpflichtet, Israel nicht zu helfen, es nicht zu unterstützen, keinen Handel mit Israel zu treiben, keine Waffen zu liefern, keine Waffen zu kaufen, es nicht mit militärischer Technologie zu versorgen, keine militärische Technologie (von Israel) zu kaufen«, sagte Albanese am 27. Juni 2025 in einem Interview mit dem Journalisten Chris Hedges, dem langjährigen Korrespondenten und Büroleiter der »New York Times« im Mittleren Osten und auf dem Balkan.
Dabei gehe es nicht um »Wohltätigkeit«, die Staaten seien dazu verpflichtet. In dem Interview, das auf der Webseite »Consortium News« (englisch) gesehen und gelesen werden kann, spricht Francesca Albanese zudem über ihren nächsten Bericht, in dem genau aufgezeigt werde, wie Palästina durch das globale kapitalistische System ausgebeutet wurde und wird. Der Bericht identifiziere Unternehmen, die am Völkermord an den Palästinensern verdienen. Es gebe »Unternehmen, auch von Staaten, die Palästina gegenüber freundlich auftreten, die seit Jahrzehnten Geschäfte machen und Gewinne aus der Wirtschaft der Besatzung ziehen«. »Israel beutet seit jeher palästinensischen Boden, palästinensische Ressourcen aus und das gleiche gilt für das Leben der Palästinenser«, für deren Arbeitskraft. Während sich die israelische Besatzungsökonomie zu einer »Ökonomie des Völkermords« entwickelt habe, seien »die Gewinne weiter geflossen und sogar gestiegen«.
»Koalition für regionale Sicherheit«
Seit Mitte Juni hatte der Krieg Israels und der USA gegen den Iran den anhaltenden israelischen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung im Gaza-Streifen weitgehend aus den westlichen Mainstream-Medien verdrängt. Nun lichtet sich der Rauch über den Trümmern im Iran und in Israel, und es wird klar, daß die Angaben von USA, Israel und den »E3« (Deutschland, Frankreich, Britannien) über ein angebliches iranisches Atomwaffenprogramm weiterhin nicht bewiesen sind.
Um davon abzulenken, entdeckt Benjamin Netanjahu, der israelische Ministerpräsident und oberste Kriegsherr, wieder die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza. Unterstützt wird er von USA-Präsident Donald Trump, der auf seinem Medienkanal »Truth Social« fordert: »Mach‘ den Deal in Gaza, hol die Geiseln zurück.«
Tatsächlich geht es Netanjahu und Trump um einen ganz anderen Deal. In Tel Aviv sind in den letzten Tagen große Plakatwände aufgetaucht, die für die »Abraham Allianz« werben. Zu sehen ist Donald Trump in der Mitte, der rechts und links von Mohammed Bin Salman, MBS (Saudi-Arabien) und Benjamin Netanjahu flankiert wird. Um dieses »Trio Infernale« gruppieren sich der jordanische König, der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas, der libanesische Präsident Joseph Aoun, der ehemalige Al-Qaida-Terrorist in Syrien Ahmed al Sharaa, der heute in Syrien als »Interimspräsident« auftritt. Daneben stehen Staatsoberhäupter, Scheichs und Präsidenten von Ägypten, Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emirate.
»Koalition für regionale Sicherheit« steht in einer Ecke des Plakates, am unteren Ende findet sich der Verweis auf die Webseite www.Abrahamshield.org, für alle, die mehr wissen möchten. Auch wenn die personelle Zusammensetzung eher dem Wunschzettel von Netanjahu entnommen sein mag, macht das Plakat deutlich, daß es Netanjahu und Trump um die »Normalisierung« der Beziehungen zwischen Israel und arabischen Nachbarstaaten geht. Die israelische Justiz soll dafür alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen Netanjahu einstellen, fordert Donald Trump, der von einer »politischen Hexenjagd« gegen »Bibi« Netanjahu sprach. »Laßt Bibi laufen, er hat viel zu tun.« Die Staatsanwaltschaft sei »außer Kontrolle« geraten, so Trump. »Wir werden das nicht zulassen, sie schaden unserem Sieg.«
Am Montag stimmte das Bezirksgericht Jerusalem tatsächlich einem Antrag von Netanjahus Anwälten zu und verschob eine für zwei Wochen anberaumte Anhörung des Delinquenten. Netanjahu hatte »diplomatische und nationale Sicherheitsentscheidungen« geltend gemacht, die »keinen Aufschub« erlaubten. Die Chefs von Mossad und dem militärischen Geheimdienst unterstützten Netanjahu in der geschlossenen Sitzung des Gerichts.
Verhandlungen unter Feuer
Im Hintergrund des Krieges gegen den Iran waren Verhandlungen zwischen Katar und Ägypten (für die Hamas) und dem USA-Sonderbeauftragten Steve Witkoff (für Israel) fortgesetzt worden. Am Mittwoch vergangener letzter Woche hatten Hamas-Vertreter erklärt, sie seien zur Freilassung der noch lebenden Geiseln (und Übergabe der Toten) bereit, wenn Israel die Angriffe einstellen und humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zulassen werde. Dem Ende der Angriffe müßten ein dauerhafter Waffenstillstand und der vollständige Abzug der israelischen Armee aus dem Gaza-Streifen folgen. Israel lehnt das ab.
Die Attacken der israelischen Armee im Gazastreifen gingen derweil weiter. Die Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, veröffentlichte Videoaufnahmen von einem Hinterhalt bei Khan Younis, bei dem sieben israelische Soldaten getötet und 17 weitere verletzt wurden. Israelische Militärhubschrauber evakuierten die gefallenen und die verletzten Soldaten.
Die israelischen Streitkräfte reagierten mit Bombenteppichen, die Kampfjets und Drohnen über Gaza-Stadt und anderen Teilen des weitgehend zerstörten Küstenstreifens abwarfen. Wohnhäuser, Kliniken, Zelte wurden zerstört, die Zahlen der Toten, die aus Gaza gemeldet werden, werden von den palästinensischen Gesundheitsbehörden täglich mit 50, 60, 70 und mehr angegeben. Dutzende Menschen werden zudem bei den Verteilzentren der sogenannten Humanitären Gaza-Stiftung getötet, wo israelische Soldaten wahllos auf die Hilfesuchenden schießen. Auch die von Israel bezahlte und ausgerüstete kriminelle Miliz Abu Shabab, die ihren Stützpunkt in Rafah hat und mit ausländischen Söldnern kooperiert, greift die palästinensische Bevölkerung an.
Unsicherheit im Libanon
Die täglichen israelischen Angriffe gehen auch im Libanon weiter. Täglich werden Menschen von Killer-Drohnen getötet und Eigentum zerstört. Am vergangenen Wochenende starben seit Freitag vier Menschen bei Angriffen von Killer-Drohnen in Kounin (Bint Jbeil) und Mahrouna (Tyros), mehr als 20 Personen wurden verletzt. Die Menschen sind mit Motorrädern oder Autos unterwegs oder wollen in den von Israel zerstörten Dörfern vorgefertigte Häuser und Gebäude errichten, um die Rückkehr der Bewohner vorzubereiten. Israel spricht von »Hisbollah-Terroristen« und tötet.
Am Freitag kam es zu schweren Explosionen südöstlich von Nabatieh, wo israelische Kampfjets vermutlich Vakuumbomben auf die Hügelkette Ali Taher abwarfen. Die Explosionen waren so stark, daß die nahegelegene Verbindungsstraße von Nabatieh nach Marjayoun mit Steinen und Sand übersät war. Bei einem gleichzeitigen gezielten Drohnenangriff auf ein Wohngebäude in Kfar Tebnin wurde ein Mitglied des örtlichen Stadtrates getötet und eine Frau, die sich in der Nähe befand.
Die langjährige Sprecherin der Kommunistischen Partei des Libanon für Internationale Beziehungen, Marie Nassif-Debbs, erklärte im Gespräch mit der Autorin, die libanesische Regierung müsse sich deutlicher gegen die zionistischen Angriffe positionieren. Die Angriffe nähmen zu und die permanente Drohnenüberwachung, das Dröhnen der Motoren seien nicht nur eine Verletzung der libanesischen Lufthoheit, sondern solle die Menschen einschüchtern, die rund um die Uhr überwacht und gescannt werden. Israel habe fünf Hügel im Süden des Landes besetzt und Pufferzonen darum errichtet, die anhaltende Verletzung der libanesischen territorialen Integrität sei unakzeptabel.
Keine »Normalisierung« mit Israel
Die Regierung, vor allem das Außenministerium müßten aktiv werden, um diese Angriffe zu unterbinden, fordert Marie Debbs. »Normalisierung«, wie die USA es auch vom Libanon forderten, komme nicht in Frage. Das von Trump und Netanjahu jetzt angestrebte Projekt eines »Neuen Mittleren Ostens« sei bekannt seit dem Jahr 1993. Damals habe Shimon Peres die Region in drei Kategorien aufgeteilt: »Diejenigen, die bezahlen, diejenigen, die arbeiten und die Zionisten als federführendes Superhirn.«
Die Regierung des Libanon und Präsident Aoun seien der Verfassung und der Sicherung des Landes verpflichtet, betont Marie Debbs. Sie müßten der Bevölkerung mitteilen, was die USA vom Libanon forderten und gleichzeitig jede Forderung nach »Normalisierung« zurückweisen. Mit einem feindlichen Staat, der libanesisches Territorium besetzt hält und die Bevölkerung tötet, könne es keine »normalen Beziehungen« geben. Marie Debbs forderte die Regierung auf, das Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1949 einzuhalten.
Am Montag wurde bekannt, daß die USA-Administration der libanesischen Regierung zwei Wochen Zeit geben wolle, um die noch nicht übergebenen Waffen der Hisbollah – auch nördlich des Flusses Litani – unter ihre Kontrolle zu bringen. Erst dann seien die USA bereit, Israel zum Abzug aus dem Libanon zu bewegen, der Abzug werde in Phasen geschehen.
Der Hisbollah-Abgeordnete Ali Fayyad sprach von »Erpressung«. Die Hisbollah hat wiederholt deutlich gemacht, daß die libanesische Armee und die Hisbollah gemeinsam den Schutz, die Freiheit und Souveränität Libanons gewährleisten sollten, bis Israel sich vollständig aus dem Süden des Landes zurückgezogen hat. Während Israel täglich im Libanon bombardiert und tötet, hat es seitens der Hisbollah seit Monaten keine Angriffe auf Israel gegeben.