Kultur27. Mai 2021

»Geenzefest« in Wiltz – Hoffen auf 2022

Beliebtes Volksfest zum zweiten Mal in Folge abgesagt

von Alain Herman, Wiltz

Zum 72. Mal hätte am Pfingstmontag in der »Hauptstadt der Ardennen«, der früheren Industrie- und Arbeiterstadt Wiltz, das Ginsterfest (»Geenzefest«) stattfinden sollen. Das über die Luxemburger Grenzen hinaus bekannte Folklorefest fiel nach 2020 allerdings ein zweites Mal der Covid-19-Pandemie zum Opfer, so dass es wohl noch ein weiteres Jahr dauern wird, bis das neue Konzept für den Ginsterkorso in der Praxis erprobt werden kann.

Angedacht war zunächst eine Verschmelzung mit der dritten kulturellen Großveranstaltung in Wiltz (neben Korso und Festival), nämlich der »Nuit des lampions«. Diese Idee wurde jedoch wieder fallen gelassen, so dass eine Straffung sowie eine attraktivere Gestaltung der Umzugsstrecke in Betracht gezogen wurden. Die Liebhaber des traditionsreichen Volksfestes müssen sich also noch einmal zwölf Monate gedulden, ehe sie einer Neuauflage beiwohnen können.

1948 wurde das Fest vom Wiltzer Fotografen Tony Mander ins Leben gerufen und entwickelte sich in der Nachkriegszeit zu einem der beliebtesten Volksfeste in Luxemburg. Bei Wind und Wetter säumten in den vergangenen Jahrzehnten tausende Menschen die Straßen von Wiltz, um dem bunten folkloristischen Treiben, den in- und ausländischen Musikkapellen sowie dem Vorbeizug der mit Ginsterblüten und Blumen geschmückten Themenwagen zuzuschauen.

Der Brauch des festlichen Frühjahrsumzugs entstammt ursprünglich den italienischen Karnevals- und Frühlingskorsos aus dem 18. Jahrhundert, die bereits Goethe auf seiner berühmten Italienreise beobachten konnte. Im späten 19. Jahrhundert und verstärkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etablierten sich in ganz Europa Blumen- und Sommerkorsos, in den meisten Fällen auch um der neu angebrochenen Friedensperiode festlich-kulturellen Charakter zu verleihen.

Die Ursprünge des Ginsterkorsos gehen auf diesen Gedanken zurück. Die Zeit der Nazi-Okkupation ging keinesfalls spurlos an Wiltz vorbei: Der heldenhafte Generalstreik von 1942 gegen die allgemeine Wehrpflicht wurde in Wiltz ausgerufen, unter den 21 von den deutschen Faschisten ermordeten Streikenden befanden sich 6 Wiltzer – vier Lehrer und zwei Gemeindebeamte; fast 100 Personen wurden in den Folgejahren umgesiedelt, 15 Einwohner der Stadt starben in den Konzentrationslagern der Nazis, über 160 junge Männer wurden zwangsrekrutiert, wobei 57 fielen oder als verschollen galten, 21 kamen kriegsversehrt zurück. Im Rahmen der von der faschistischen Wehrmacht losgetretenen Ardennenoffensive wurden 80 Prozent der Stadt zerstört und nochmals 50 Menschen verloren ihr Leben. Wiltz erhielt nach der Befreiung nicht zu Unrecht die Ehrenbezeichnung »ville martyre«.

Während das Nationale Streikdenkmal sowie das »Fatima«-Monument mit den Namen der Kriegsopfer sich als Zeugen materieller Erinnerungs- und Gedenkkultur in Wiltz erweisen, so kann das »Geenzefest« mittlerweile als immaterielles Kulturerbe eingeordnet werden, als Fest der Befreiung, des Friedens und der Lebensfreude nach Jahren der Entbehrung aufgrund faschistischer Besatzung. Dieser Aspekt verschwand gleichwohl im Laufe der Jahrzehnte aus dem Fokus, in den Mittelpunkt rückte die lebensbejahende Folklore. Den »Amis de la Féerie du Genêt«, dem Fremdenverkehrsverein, der Gemeinde und nicht zuletzt vielen ehrenamtlichen Organisatoren und Helfern ist es gelungen, die folkloristische Nachkriegstradition ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten.

Was die Qualität der Darbietungen betrifft, so gehen die Meinungen seit geraumer Zeit sicherlich stark auseinander – trotzdem: Dem Ginsterkorso sollte man den authentischen Volkscharakter sowie das hohe Integrationspotential – er ist auch ein Zeugnis vom multikulturellen und multiethnischen Zusammenleben in Luxemburg – nicht absprechen. Es bleibt also zu hoffen, dass nach zwei schwierigen Pandemiejahren 2022 eine weitere Auflage erfolgen wird.