Verschärfte Repression
Putschisten in Bolivien nutzen Corona-Pandemie zur Einschüchterung von Regimekritikern
In Bolivien nutzt das Putschistenregime der selbsternannten »Übergangspräsidentin« Jeanine Áñez die Corona-Krise dazu, politische Gegner zu verfolgen und auszuschalten. Einheiten von Polizei und Militär kontrollieren seit Wochen die Einhaltung der von den Machthabern am 22. März verhängten totalen Ausgangssperre. Mit einem Dekret, das die »Verunsicherung der Bevölkerung« durch »Verbreitung falscher Informationen« unter Strafe stellt, versucht das Regime zudem, jede Kritik zu unterdrücken. »Innenminister« Arturo Murillo wies Streitkräfte, Polizei und Mitarbeiter seines Ressorts an, Medien und Internet zu kontrollieren. Bei Verstößen drohen Anzeigen wegen »Verbrechen gegen die öffentliche Gesundheit« und langjährige Haftstrafen.
Nachdem Bürger in mehreren Städten Anfang April trotz Ausgangssperre gegen die Maßnahmen protestiert hatten, wurde die Militärpräsenz mit rund 48.000 Soldaten an 876 Kontrollpunkten im ganzen Land verstärkt. Zahlreiche Bolivianer, die Auflagen verletzt haben, um sich Nahrung zu beschaffen, sitzen im Gefängnis. Wie die Tageszeitung »La Razón« am 11. April unter Berufung auf den Chef der Streitkräfte, General Carlos Orellana, meldete, hatte das Militär bis zu diesem Zeitpunkt bereits knapp 10.000 Personen inhaftiert. Laut einem Bericht des Onlineportals »Resumen Latinoamericano« kündigte Arturo Murillo am Montag vergangener Woche zudem die Verhaftung von 67 Regimekritikern wegen »falscher Veröffentlichungen im Internet« an. »Wir führen Krieg gegen einen unsichtbaren Feind, deshalb gibt es keine Diskussion, in Kriegszeiten haben die Bürger zu gehorchen«, rechtfertigte »Entwicklungsminister« Wilfredo Rojas die Verfolgung Oppositioneller gegenüber der in Santa Cruz erscheinende Tageszeitung »El Deber«.
Die Repression richtet sich in erster Linie gegen Mitglieder sozialer Organisationen und der linken früheren Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Die Partei des im November gestürzten Präsidenten Evo Morales liegt in Umfragen bei den ursprünglich für Mai vorgesehenen, nun aber auf einen Zeitpunkt zwischen Juni und September verschobenen Wahlen, mit Abstand vor den rechten Unterstützern des Putsches. Wohl auch deshalb hatte »Innenminister« Murillo den aussichtsreichen MAS-Präsidentschaftskandidaten Luis Acre ausdrücklich davor gewarnt, »falsche Informationen« zu verbreiten.
Auch andere Aktivitäten linker Politiker werden strafrechtlich verfolgt. Mitte April verhaftete die Polizei die Stadträtin Lidia Hinojosa und einen Mitarbeiter des Bürgermeisters der Ortschaft Villa Tunari im Departamento Cochabamba wegen »Verletzung der Quarantäne«, weil sie Lebensmittel an die Bevölkerung einer anderen Gemeinde verteilt hatten. Auch der Fahrer des Lkw und ein Journalist, der über die Aktion berichtete, wurden festgenommen. Villa Tunari liegt in der Provinz Chapare, einer Hochburg der Cocabauern-Gewerkschaften, die als Unterstützer ihres ehemaligen Vorsitzenden Evo Morales und der MAS gelten.
Wie die russische Nachrichtenagentur »Sputnik« berichtete, haben die »Cocaleros« bereits mehr als 150 Tonnen Lebensmittel an Bewohner der durch die Covid-19-Pandemie besonders betroffenen armen Regionen verteilt. »Wir helfen Menschen, die von Straßenverkäufen leben und wegen der Ausgangssperre nichts mehr zu essen haben«, erklärte Gewerkschaftsführer Andrónico Rodríguez, der sich für die MAS um einen Sitz im Senat bewirbt. Die Machthaber sehen darin eine Gefahr. Am Dienstag wurde auch Patricia Arce, die Bürgermeisterin der ebenfalls in Cochabamba gelegenen Stadt Vinto unter dem Vorwurf verhaftet, gegen die Quarantäne verstoßen zu haben. Die der MAS angehörende Politikerin, die während des Staatsstreiches im November von Putschisten entführt und mißhandelt worden war, wurde von Polizisten, die nach eigenen Angaben in ihr Schlafzimmer eingedrungen waren, in eine Gefängniszelle der Sondereinheit zur Verbrechensbekämpfung (FELCC) gebracht.
Volker Hermsdorf
Gepanzerte Fahrzeige der Armee patrouillieren auf den Straßen von El Alto (Foto: EPA-EFE/Martin Alipaz)