»Leuchtende Beispiele« des Anti-Mafia-Kampfes
Italien gedachte des ermordeten Richters Paolo Borsellino
Italien erinnerte am Sonntag des am 19. Juli 1992 in Palermo von der Mafia ermordeten Richters Paolo Borsellino und setzte damit das Gedenken fort, das bereits vor zwei Monaten, am 23. Mai, dem ebenfalls von Mördern der Mafia umgebrachten Staatsanwalt Giovanni Falcone gewidmet war. Richter Borsellino war, der die Arbeit Falcones fortsetzte, war in Palermo in der Via D’Amelio vor dem Haus seiner Mutter zusammen mit vier Männern und einer Frau seiner Eskorte durch eine ferngezündete Bombe getötet worden.
Die Nachrichtenagentur ANSA und weitere Medien berichteten, daß in Palermo an den Orten des Geschehens, in Museen, Gedenkstätten und auf dem nach Falcone und Borselino benannten Flugplatz von Palermo Kranzniederlegungen und Veranstaltungen stattfanden. Im Theater Biondo Stabile der Stadt lasen Schauspieler aus Werken, die dem mutigen Antimafia-Kampf Borsellinos gewidmet sind. Bildungsministerin Lucia Azzolina forderte auf einer Veranstaltung mit Schülern dazu auf, die Erinnerung an den mutigen Widerstand von Borsellino und Falcone vor allem unter jungen Menschen wachzuhalten.
Die beiden unerschrockenen Juristen sind so etwas wie Ikonen des Widerstandes gegen die Verbrecherorganisation. Staatspräsident Sergio Mattarella bezeichnete sie zum Jahrestag des Mordes an Falcone als »leuchtende Beispiele, die im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gefallen sind«. Wenn er die Erinnerung an sie mit der Verknüpfung von Mafia und Faschismus am Leben hält, dann ist das für ihn auch eine persönliche Angelegenheit, da sein Bruder Piersanti als Regierungschef auf Sizilien im Januar 1979 wegen seiner Zusammenarbeit mit den Kommunisten von dieser Allianz umgebracht wurde.
Mit den Morden an Falcone und Borsellino wollte die Mafia die Fortsetzung der in den 1980er Jahren eröffneten sogenannten »Maxiprozesse« verhindern, bei denen am 16. Dezember 1987 immerhin 323 Angeklagte zu insgesamt 2.665 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren, darunter 19 Mafia-Bosse mit Spitzenleuten wie Salvatore Riina, Bernardo Provenzano und Filippo Marchese zu lebenslänglicher Haft.
Die Richter Falcone und Borsellino hatten das Geflecht der Mafia mit der konservativen Partei Democrazia Cristiana (DC), der Wirtschaft, der Politik und der Geheimdienste mit den Faschisten und der geheimen CIA-Truppe »Gladio« aufgedeckt. Auf der Grundlage ihrer Ermittlungen klagte der Staatsanwalt von Palermo, Gian Carlo Caselli, am 27. März 1993 den mehrmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti der Komplizenschaft mit der Mafia an. In einem zweiten Prozeß gegen den Ex-Premier in Perugia ging es um Anstiftung zum Mord an dem von Mafia-Killern im März 1979 erschossenen Herausgeber des »Osservatore Politico«, Carmine »Mino« Pecorelli, der die Rolle Andreottis an der Spitze der faschistischen Putschloge »P2« bei der Ermordung des führenden DC-Politikers Aldo Moro im Mai 1978 enthüllen wollte.
Laut der Anklageschrift, aus der die Zeitung »Avvenimenti« in ihrer Nr. 13/1993 zitierte, bestand »ein Geflecht zwischen dem Senator Andreotti und Cosa Nostra«, in dem dieser »einen Beitrag zum Schutz der Interessen und zum Erreichen der Ziele der Organisation« leistete, insbesondere »hinsichtlich gerichtlicher Strafverfahren gegen Exponenten der Organisation«. Dabei kam auch ans Licht, daß die »Ehrenwerte Gesellschaft« auf Betreiben Andreottis der DC in Süditalien jahrzehntelang Wählerstimmen beschafft hatte, wofür angeklagten Mafiosi Straffreiheit garantiert wurde.
Dazu war für Andreotti der Vorsitzende Richter des Kassationsgericht Corrado Carnevale, tätig, der in Hunderten von Mafiaverfahren dafür sorgte, daß die Angeklagten freigesprochen oder die Urteile annulliert wurden. Gleiches besorgte er in unzähligen Verfahren gegen faschistische Terroristen, was ihm den Beinamen »Urteilskiller« einbrachte. In den Ermittlungen gegen die mit der Mafia liierte faschistische Putschloge »P2« verhinderte er eine Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, Putschvorbereitung und Mitgliedschaft in einer bewaffneten kriminellen Vereinigung.
Daß die Mafia wieder Luft schnappen konnte, verdankte sie Silvio Berlusconi, dem Mitglied im Dreierdirektorium der »P2«, der Schaltzentrale im Geflecht von Faschismus, Mafia und Machtzentren des Staates, der im Jahr 1994 Premier einer – wie das linke Blatt »Manifesto« schrieb – »schwarzen Regierung« aus seiner Partei Forza Italia (FI) mit MSI-Faschisten und Lega-Rassisten wurde, es mit Unterbrechung bis 2011 blieb und der zum neuen Schutzpatron der »ehrenwerten Gesellschaft« aufstieg. Alle Ermittlungen und Prozesse gegen Berlusconi wegen Komplizenschaft mit der Mafia verliefen ergebnislos. Giovanni »Gianni« Alemanno, Minister seiner Regierung und ein führender Faschist der aus der MSI hervorgegangenen Alleanza Nazionale (AN), war von 2008 bis 2013 Bürgermeister von Rom. Er wurde beschuldigt, mit 46 Komplizen der Verwaltung und des Parlaments der Stadt einen Clan »Mafia Capitale« gebildet zu haben. Die Juristin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die 2016 im zweiten Wahlgang dank der Stimmen der aus der AN hervorgegangenen faschistischen Partei »Brüder Italiens« (FdI) an die Spitze der römischen Stadtverwaltung gewählt wurde, zeigte sich dankbar und behielt lange Zeit mindestens drei der engsten Mitarbeiter ihres Vorgängers Alemanno, die in das Netz der »Mafia Capitale« verwickelt waren, im Amt.
Doch es gibt weiterhin Staatsanwälte und Polizisten, die sich dem Erbe Falcones und Borsellinos verpflichtet fühlen. Seit Jahresbeginn wurden weit über hundert Mafiosi festgenommen, im April in Rom Vermögen des Spada-Clans in Höhe von 18 Millionen Euro sichergestellt, in Palermo im Mai ein Beauftragter für das Krisenmanagement in der Corona-Epidemie, der mit zwölf weiteren Personen verdächtigt wird, Hilfsgelder an Mafia-Komplizen vergeben zu haben. Zuletzt meldete ANSA am 1. Juli die Festnahme von 46 Personen, die beschuldigt werden, eine Mafia-Vereinigung zum Handel und Verkauf von Drogen, Erpressung und Korruption gebildet zu haben, bei der 14 Tonnen Medikamente und Vermögenswerte von über einer Million Euro sichergestellt wurden.
Noch immer sind, wie der Vorsitzende der Antimafia-Kommission, Nicola Morra, laut ANSA erklärte, »nicht alle Ebenen der Beteiligung an den Massakern vollständig« aufgeklärt. Dazu zählt, wie die römische »La Repubblica« am 23. Mai 2020 zum Jahrestag der Ermordung Falcones geschrieben hatte, daß bei den Ermittlungen bekannt wurde, daß einer der Attentäter zwei Stunden und 41 Minuten vor dem Anschlag auf Falcone einen Telefonanruf aus Minnesota, USA erhielt. Schon früher hatte das Blatt über eine Aussage des Bosses der sizilianischen »Cosa Nostra«, Gioacchino La Barbera berichtet, daß der italienische Geheimdienst SISDE an der Inszenierung des Mordes an Richter Falcone beteiligt war. Barbera hatte am 23. Mai 1992 auf der Autobahn A 29 nahe der Ortschaft Capaci das Signal zur Zündung der 500-Kilo-Bombe gegeben, die den Mafiaermittler, seine Frau und drei Leibwächter tötete.
Gerhard Feldbauer
Die Vizebürgermeisterin von Mailand, Anna Scavuzzo, am 23. Mai 2020 auf dem Balkon des Palazzo Marino mit einem Banner zu Ehren des von der Mafia ermordeten Richters Giovanni Falcone (Foto: EPA-EFE/MATTEO BAZZI)