Immer mehr Tote nach Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach dem verheerenden Erdbeben im Grenzgebiet zu Syrien am Dienstag in zehn betroffenen Provinzen den Ausnahmezustand ausgerufen. Die Maßnahme werde für drei Monate gelten. Die Zahl der Toten im Erdbebengebiet steigt unterdessen – und nach wie vor werden viele Menschen unter den Trümmern vermutet.
Insgesamt liegt die Zahl der Toten nach Angaben vom Dienstagvormittag inzwischen bei rund 5.000. Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien zudem mehr als 23.500 Menschen verletzt. Tausende Gebäude stürzten ein.
Am frühen Montagmorgen hatte ein schweres Erdbeben den Südosten der Türkei und Regionen in Syrien erschüttert. Mittags folgte in derselben Region ein weiteres Beben der Stärke 7,5 auf der Richter-Skala. Es gab Hunderte Nachbeben. Im Krisengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der türkische Wetterdienst sagte für die betroffenen Gebiete teils Schneefall und Regen voraus. Am kältesten mit bis zu minus fünf Grad werde es voraussichtlich in der Provinz Kahramanmaras, dem Epizentrum des Bebens.
Viele können nicht in ihre Häuser zurück, weil sie eingestürzt sind oder eine Rückkehr wegen der Nachbeben zu gefährlich wäre. »Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen«, sagte der türkische Städteminister Murat Kurum am Dienstag. Die Rettungsarbeiten gingen weiter. Manche Straßen und Wege seien nicht zugänglich, man arbeite daran, sie wieder passierbar zu machen. Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, in der südtürkischen Stadt Antakya seien zwei Frauen nach rund 30 Stunden unter Trümmern gerettet worden.
Über das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU sind bereits 27 Such- und Rettungsteams mobilisiert worden. Wie der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic am Dienstagvormittag mitteilte, entspricht das insgesamt mehr als 1150 Rettungskräften und 70 Hunden. Die EU-Staaten stimmen sich untereinander ab. Hilfszusagen kamen unter anderem auch aus Britannien, Israel, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Rußland, der Ukraine und den USA.
Retter in Syrien vermuten, daß noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei wegen Sturms und fehlender Ausrüstung sehr langsam verlaufen, hieß es von den »Weißhelmen«, die in den noch immer von Dschihadisten besetzten Gebieten Syriens aktiv sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die von bewaffneten Islamisten kontrollierte Provinz Idlib. Dies erschwert dort die staatliche Nothilfe. Nach mehr als elf Jahren Krieg ist es der Regierung von Präsident Baschar al-Assad gelungen, rund zwei Drittel Syriens zu befreien.
Nach UNO-Angaben trafen die Beben in Syrien vor allem Menschen, die ohnehin schon unter desaströsen Bedingungen lebten. Viele der Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mußten die Nacht bei eisigen Temperaturen im Freien verbringen, sagte eine Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks der UNO dpa. Einige der betroffenen Gebiete seien zudem abgelegen und deshalb nur schwer erreichbar. Es gebe nicht genügend Notunterkünfte, Decken, warme Kleidung, so das UNHCR.
Am Dienstagmorgen berichtete eine Augenzeugin dpa, im südtürkischen Hatay sei der Strom ausgefallen. Die Tankstellen hätten kein Benzin mehr und es gebe kein Brot zu kaufen. Auch in der Nachbarprovinz Osmaniye sei der Strom ausgefallen, sagte eine Reporterin des Senders CNN Türk. In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir verbrachten viele Menschen die Nacht draußen, in Schulen oder Moscheen, berichtete ein dpa-Mitarbeiter. »Die Menschen haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren.« Die Zelte der Katastrophenschutzbehörde seien eiskalt und reichten nicht.
Am Hafen der südtürkischen Stadt Iskenderun ist am Dienstag ein Großbrand ausgebrochen. Auf Bildern waren brennende Container zu sehen. Schwarzer Qualm stieg über dem Hafen in den Himmel. Die türkische Zeitung »Hürriyet« berichtete, der Brand sei schon am Vortag nach dem Erdbeben aus noch ungeklärten Gründen ausgebrochen. Container seien umgestürzt und hätten Feuer gefangen. Wie die Anadolu berichtet, helfe ein Schiff der Küstenwache, den Brand zu löschen.
Das Hauptbeben am Montagmorgen hatte nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD eine Stärke von 7,7, das Epizentrum lag im südtürkischen Kahramanmaras. Mittags erschütterte ein weiteres Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, meldete die Erdbebenwarte Kandilli. AFAD verzeichnete am Montag mehr als 180 Nachbeben. Experten gehen davon aus, daß es bald ähnlich große Beben in nahen Regionen geben könnte.