Leitartikel18. Juni 2020

Jeder kocht sein Corona-Süppchen

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Bereits als einzelne EU-Staaten im März bei Nacht und Nebel ihre Grenzen zu den Nachbarn schlossen, um damit das neuartige Corona-Virus zu bekämpfen und Brüssel lange Zeit kein Statement dazu abgab, war klar, daß in dieser Krise jeder sein eigenes Süppchen kochen würde. Der Flickenteppich aus Grenzübertrittsbestimmungen, wann was für welchen Grenzbeamten ein »triftiger Grund« ist, welche Formulare nötig sind und ob Quarantäne droht, erzeugte reichlich Verwirrung in den letzten Wochen, bevor dann, pünktlich zur Urlaubssaison, die Reisefreiheit zurückkam.

Dabei hätten die Brüsseler EU-Spitzen hier beweisen können, daß dieses Staatenbündnis sich nicht nur für die grenzenlose Reisefreiheit des Profits interessiert, sondern auch in Krisen an einem Strang ziehen kann. So allerdings gab es nur Verwirrung, etwa warum die Grenzen der stark betroffenen Länder Belgien und Niederlande zu Deutschland offen blieben, während Luxemburg, wo strikte Maßnahmen rasch zu einer drastischen Senkung der Fallzahlen führten, an Mosel und Sauer bewaffnete Grenzbeamte hingestellt bekam.

Nun scheint endlich die Erkenntnis durchgesickert zu sein, daß ein Virus sich nicht von Grenzen aufhalten läßt, und daß regionale Maßnahmen wesentlich effektiver sind als ein stumpfer Rückfall in nationale Reflexe. Die Erkenntnis aber, daß eine EU-weite gemeinsame Anstrengung vielleicht noch bessere Ergebnisse erzielen könnte, ist wohl noch immer nicht angekommen. Anders läßt sich nicht erklären, warum Deutschland, Frankreich, Italien oder die skandinavischen Länder hier wieder im eigenen Saft köcheln, wenn es um eine Corona-App geht.

Während die App etwa in Frankreich tatsächlich eine ziemliche Datenkrake ist, die alle Informationen zu einem zentralen Server schickt und somit die Überwachungskritiker nährt, hat die deutsche Bundesregierung mit ihrer »Corona-Warn-App« einen seltenen Treffer erzielt, der sogar den sehr kritischen »Chaos Computer Club« weitgehend zufriedenstellt. Diese App speichert keine Daten zentral, sondern die einzelnen Smartphones kommunizieren via Bluetooth-Technologie und anonymisierten Informationen miteinander. Im Falle eines möglichen Kontakts zu einer infizierten Person gibt es eine entsprechende Warnung. Ein Infizierter selbst kann dies über einen QR-Code in die App eingeben und somit andere Personen in seiner Nähe warnen. Derzeit haben bereits rund 7 Millionen Menschen in Deutschland die App auf ihre Geräte geladen. Damit sie funktioniert, muß diese Zahl noch deutlich steigen.

Allerdings zeigt sich hier die negative Seite der App: Sie benötigt relativ moderne Mobiltelefon-Betriebssoftware, und viele Menschen haben im Alltag andere Sorgen, als sich laufend neue Handys zu kaufen.

Zurück zum eigenen Süppchen: Luxemburg ist aktuell nicht an einem solchen Programm interessiert und setzt auf Durchtesten der Bevölkerung. Man hofft außerdem auf eine EU-weite App-Lösung. Das ist lobenswert aber birgt das Risiko, daß die Menschen aus dem Ländchen künftig nicht an Schlagbäumen sondern in den Nachbarländern vor Cafés, Restaurants, Museen und Hotels kehrt machen müssen. Dann nämlich, wenn all diese Etablissements, wie in Deutschland im Gespräch, die Installation der Corona-Warn-App verlangen. Wenn die nationalen Apps, wie von der EU-Kommission geplant, miteinander verzahnt werden, ohne daß es eine einheitliche App gibt, sitzt Luxemburg wieder zwischen allen Stühlen, wie seinerzeit im März.

Christoph Kühnemund