Die Commune lebt weiter
Pariser Commune entzweit oder inspiriert noch heute
In Frankreich ist in diesem Jahr Gelegenheit, zwei Jubiläen zu begehen: Vor 150 Jahren, vom 18. März bis zum 28. Mai 1871, hat die Pariser Commune den Versuch eines revolutionären Umschwungs für die arbeitenden Menschen unternommen und ist blutig niedergeschlagen worden. Und 200 Jahren, am 5. Mai 1821, ist Napoleon auf seiner Gefängnisinsel Sankt Helena gestorben.
Pierre Nora, einer der bedeutendsten Historiker des Landes, hat in einem Rundfunkinterview auf die Frage, ob beide Ereignisse es wert seien, daß man sie würdigt, geantwortet: »Napoleon ja, die Commune nein.« Napoleon habe »den Fortschritt der Französischen Revolution nach ganz Europa getragen«, während die Commune keine positive Spur in der Geschichte hinterlassen habe.
Das entspricht der Sichtweise des französischen Bürgertums und dem Tenor an den Universitäten und Schulen und auch in den Medien – wenn denn die Commune überhaupt behandelt und nicht eher als peinliche »Fußnote der Geschichte« unter den Teppich gekehrt wird – und das hat in der breiten Volksmeinung Spuren hinterlassen.
Haßerfüllte Attacken
Besonders zugespitzt kam diese feindselige Einschätzung auf einer Sitzung des Pariser Stadtrates Anfang Februar zum Ausdruck, als das Ratsmitglied Rudolphe Granier von der rechten Oppositionspartei der Republikaner der sozialistischen Bürgermeisterin Annie Hidalgo vorwarf, sie unterstütze die Vereinigung der Freunde der Commune mit Geld aus der Stadtkasse. Mit den von der Stadtverwaltung zum 150-jährigen Jubiläum geplanten Veranstaltungen wolle sie die Commune »feiern und glorifizieren«, dabei sei die »brutal und gewalttätig« gewesen und habe »durch Brandstiftung ganze Teile der Stadt verwüstet«.
Der rechtsbürgerliche Politiker vergaß nicht darauf hinzuweisen, daß einer der Co-Präsidenten der Vereinigung der Freunde der Commune ein »ehemaliger Kommunistenführer« ist. Damit glaubte er wohl deutlich gemacht zu haben, was man von denen zu halten hat, die sich auf das Erbe der Commune berufen und ihr Andenken hochhalten.
Im Gespräch zeigt sich der solcherart polemisch vereinnahmte Co-Präsident, der Historiker Roger Martelli, nicht verwundert. Solche haßerfüllten Attacken ist er gewohnt. Er steht dazu, daß er zwischen 1982 und 2008 erst Mitglied des Zentralkomitees und dann des Exekutivkomitees der Kommunistischen Partei war, doch er gehörte zum Flügel der »Erneuerer« und hat den PCF 2010 verlassen. »Solche verbalen Angriffe sind ein Rückfall in finsterste Zeiten der Konfrontation zwischen Rechts und Links«, schätzt er ein. »Das ist der Ton der Versailler.«
Einseitiges und oberflächliches Bild der Commune
Damit meint er die bürgerliche Regierung unter Adolphe Thiers, die sich Anfang 1871 aus Furcht vor den revolutionär gesinnten Parisern nach Versailles zurückgezogen und von dort aus die Commune mit allen Mitteln bekämpft hat, bis zur »Blutwoche« vom 21. bis 28. Mai 1871, in der bis zu 30.000 Kommunarden auf den Barrikaden oder bei Massenexekutionen niedergemetzelt wurden. »Diese Zahlen werden kaum einmal erwähnt, umso öfter die der rund 100 Geiseln, die von den Kommunarden erschossen wurden«, sagt Martelli.
Diese Ausschreitungen und die Brände, die im Endkampf aus hilfloser Verbitterung gelegt wurden, bestimmen seiner Meinung nach das einseitige und oberflächliche Bild, das die Gegner der Commune seit 150 Jahren von denen zeichnen, die die bürgerliche Macht und die Ausbeutung durch das Kapital anzutasten gewagt haben. Für ihn gibt es eine Kontinuität von der Revolution von 1789, die zwar eine bürgerliche Revolution war, aber weitgehend von den Volksmassen getragen wurde, über die Pariser Kommune 1871 und die Volksfront 1936 bis zu den Hoffnungen, die viele Franzosen in die Linksregierung 1981 gesetzt haben.
»Demokratische und soziale Republik«
Die fortschrittlichen Anliegen der Commune versucht das offizielle Frankreich herunterzuspielen oder totzuschweigen, dabei war es der Versuch, die von der Revolution von 1848 angekündigte »demokratische und soziale Republik« zu verwirklichen. Daß ihre Utopien in Chaos und Blut endeten, ist die große Tragik der Pariser Commune. Mit vielem von dem, was sie in diesen nur 72 Tagen beschlossen und oft auch schon auf den Weg gebracht hat, war sie der Entwicklung um Jahrzehnte voraus. Diese fortschrittlichen Errungenschaften wurden meist erst viel später realisiert, etwa die Trennung von Kirche und Staat, kostenlose Schul- und Berufsausbildung, Zugang zur Justiz für alle, die Anerkennung von Paaren ohne Trauschein. Manche stehen nur auf dem Papier wie der gleiche Lohn für Frauen und Männer.
Ziele bis heute nicht erreicht
Um andere Ziele, die von der Commune schon in Angriff genommen wurden, muß heute immer noch gekämpft werden, etwa die vorbehaltlose Einbürgerung von Ausländern, die Requirierung leerstehender Wohnungen für Obdachlose oder die Konfiskation von Produktionsmitteln wie nicht genutzter Werkstätten und Maschinen.
All das kommt in den Geschichtsbüchern kaum oder nur oberflächlich vor. Meist beschränkt sich die Behandlung der Commune auf Ereignisse oder Randerscheinungen, die sie in ein ungünstiges Licht rücken und die Vorurteile bedienen. Das trifft ganz besonders auch auf die Schullehrbücher zu, von denen manche die Commune ganz und gar übergehen, zumal sie in den Lehrplänen kein Pflichtthema ist und man den Geschichtslehrern die Entscheidung überläßt, ob sie die Commune behandeln oder nicht.
Umso bemerkenswerter ist es, daß sich heute immer öfter junge Franzosen aus eigenem Antrieb für die Pariser Commune interessieren und aus ihr Anregungen schöpfen, vor allem was die Elemente direkter Demokratie betrifft, beispielsweise Volksabstimmung, Mitbestimmung, Selbstverwaltung oder Rechenschaftspflicht von Abgeordneten ihren Wählern gegenüber. Auch die spontane Protestbewegung der »Gelben Westen« 2018/19 hat sich auf die Ideen der Commune berufen. Feministinnen schöpfen aus den Quellen der Commune für ihren Kampf und auch die Ökologen können sich auf sie und die von ihr erhobene Forderung berufen, die Natur verantwortungsvoll und mit Respekt zu behandeln.
In Paris wenig sichtbar
Für Touristen in Paris gehört der Vendôme-Platz zum Pflichtprogramm und kein Fremdenführer versäumt es zu schildern, wie die Kommunarden die in der Mitte des Platzes stehende Säule mit der Napoleon-Figur an ihrer Spitze umgestürzt haben, um so das Ende der reaktionären Vergangenheit zu demonstrieren. Entsprechend wichtig war es für die Regierung nach der Niederschlagung der Commune, die Säule wieder aufzubauen, um zu zeigen, daß sich alles wieder an seinem Platz befindet. Leider ist das oft das einzige, was Ausländer über die Pariser Commune erfahren und nach Hause mitnehmen.
Im Stadtbild fehlt die Commune fast völlig. Erst seit dem Jahr 2000 heißt im Stadtviertel Butte-aux-Cailles ein Platz, wo Ende Mai 1871 eine der letzten Barrikaden verteidigt wurde, »Place de la Commune de Paris«. Aber Roger Martelli verweist darauf, daß seit der Kommunalwahl 2001, als die Sozialisten, unterstützt durch Kommunisten und Grüne, die Stadtregierung übernommen haben, auf Anregung der Freunde der Pariser Commune schon einige Straßen nach herausragenden Kommunarden benannt wurden. Es wurde auch Zeit, zumal viele Pariser Avenuen und Boulevard schon lange die Namen von Generälen und Marschällen Napoleons tragen.
Doch der Vorschlag, eine Metrostation nach der Pariser Kommune zu benennen, wird von den städtischen Verkehrsbetrieben RATP seit Jahren auf die lange Bank geschoben, und die sozialistische Bürgermeisterin läßt es geschehen. Umso empörter sind die Freunde der Pariser Commune, daß demnächst die Basilika Sacré-Coeur auf dem Montmartre-Hügel, wo die Ereignisse von 1871 ihren Anfang nahmen, unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Sie wurde nach der Niederschlagung der Commune mit den Spendengeldern einer landesweiten Sammlung der Katholischen Kirche errichtet und sollte die »Versündigung« und die »Schmach« tilgen, die die Pariser Commune nach Ansicht der Reaktion für das Land dargestellt hat.
Pflege des Andenkens der Commune
Bis heute hält sich in der französischen Gesellschaft die Überzeugung, daß die Pariser Commune und die Pflege ihres Erbes vor allem ein Anliegen der Kommunistischen Partei ist. Doch die ist erst 1920 gegründet worden, während das Andenken an die Kommune seit 1880 öffentlich gepflegt wird, als eine Amnestie für die zur Verbannung verurteilten Kommunarden erlassen wurde und sie sowie ihre Kameraden zurückkehrten, die sich 1871 durch die Flucht ins Ausland retten konnten. Wichtigstes Anliegen war seinerzeit zu verhindern, daß es der bürgerlichen Regierung gelingt, das Andenken an die ihr so verhaßte Commune auszulöschen.
Seitdem findet jedes Jahr am letzten Mai-Wochenende eine »Wallfahrt« zur »Mauer der Föderierten« auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise statt, wo am 28. Mai 1871 die letzten Kämpfe ausgetragen wurden und wo an der nördlichen Umfassungsmauer die letzten 147 Kommunarden zusammengetrieben, erschossen und in einem Massengrab verscharrt wurden. Diese »Wallfahrt« ging mit den Jahren und der geringer werdenden Zahl ehemaliger Kommunarden mehr und mehr auf die Sozialistische Partei und nach 1920 vor allem auf die Kommunistische Partei über.
Während der von beiden Parteien gemeinsam getragenen Volksfront gab es im Mai 1935 und 1936 die größten Demonstrationen an der »Mauer der Föderierten« mit jeweils mehr als einer halben Million Teilnehmern. Nach dem Krieg und unter dem Einfluß des Kalten Krieges und des sich verschärfenden Antikommunismus versammelten sich hier Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten und später auch Maoisten und andere linke Organisationen getrennt und möglichst noch an verschiedenen Tagen.
»Zur 100-Jahr-Feier 1971 gab es noch einmal eine große Demonstration, die von den Kommunisten organisiert wurde und an der auch Sozialisten teilnahmen«, erinnert sich Roger Martelli. Seitdem hat das die Vereinigung der Freunde der Commune übernommen und sie legt Wert darauf, daß das Gedenken an die Pariser Commune parteienübergreifend und frei von Konkurrenzdenken gehalten wird, so wie einst bei der Commune selbst.
Rehabilitierung der Opfer der Blutwoche
Aber obwohl sich jetzt Linke unterschiedlichster Herkunft zu diesem Anlaß gemeinsam an der Mauer versammeln können, sind es seit Jahren jedesmal bestenfalls 1.000 Menschen, räumt Roger Martelli ein. Doch er ist optimistisch und erinnert an die Resolution der Nationalversammlung vom November 2016, mit der eine Mehrheit von – nicht nur linken – Abgeordneten dazu aufgerufen hat, »die Opfer der Blutwoche vom Mai 1871 zu rehabilitieren« und »die republikanischen Werte der Pariser Commune besser bekannt zu machen«. Es sei an der Zeit, daß »die Republik die Männer und Frauen ehrt und würdigt, die für die Freiheit gekämpft haben«.
Diese Resolution gilt es endlich mit Leben zu erfüllen, ist Roger Martelli überzeugt. Dagegen seien Töne von rechts wie Anfang Februar im Pariser Stadtrat nur geeignet, »wieder eine bürgerkriegsähnliche Stimmung anzufachen«. Er meint, daß da der rechte Präsident Georges Pompidou schon einmal viel weiter war, als er 1971 aus Anlaß des 100. Jahrestages der Commune zur »Mauer der Föderierten« kam und sich vor der Gedenktafel mit den schlichten und unparteiischen Worten »Den Toten der Commune, 21. – 28. Mai 1871« verneigte. Ob sich dazu in diesem Jahr auch Präsident Emmanuel Macron durchringen wird, bleibt abzuwarten. In seinem Umfeld ist man da skeptisch, er halte es mehr mit Napoleon.