Ausland08. Januar 2022

Der Euro auf dem Prüfstand

Deutsche Ökonomen ziehen den Ausstieg der Bundesrepublik aus der Eurozone in Betracht und fordern eine »Disziplinierung« der stark verschuldeten Eurostaaten im Süden der EU.

von German Foreign Policy

Die Euroskeptiker innerhalb der deutschen Funktionseliten nehmen die Regierungsbildung der »Ampel«-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zum Anlaß, um – nach vergeblichen früheren Anläufen – erneut in die Offensive zu gehen. Ende Dezember veröffentlichte die größte deutsche Wirtschaftszeitung, das »Handelsblatt«, ein ausführliches Interview mit Stefan Kooths, dem Co-Vorsitzenden des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), der eine »Disziplinierung hochverschuldeter Staaten« der Eurozone forderte. Die neue Bundesregierung müsse, um ein angeblich drohendes »Inflationsregime« in der Eurozone abzuwenden, den Eurostaaten klarmachen, daß die »europäische Gemeinschaftswährung« für Deutschland »nicht alternativlos« sei.

Zudem müsse die Europäische Zentralbank EZB »ihre Unabhängigkeit« unter Beweis stellen und möglichst schnell ihren »ultraexpansiven Kurs« in der Geldpolitik aufgeben, erklärte der IfW-Co-Chef; andernfalls erschwere die höhere Inflation wirtschaftliches Handeln und koste »Effizienz und damit Wohlstand«. Kooths verwies dabei auf die Eurokrise, in der die EZB dazu übergegangen war, »den Währungsraum über die Notenpresse zusammenzuhalten«. Auch in der Coronakrise sei es »aus Rücksicht auf die hochverschuldeten Staaten« zu umfassender »monetärer Staatsfinanzierung« gekommen, klagte Kooths. Jetzt gelte es über Defizitgrenzen oder auch mit Hilfe einer »Insolvenzordnung für Staaten« in der Eurozone »fiskalische Disziplin« durchzusetzen, da ohne »stabile Staatsfinanzen« keine »Währungsstabilität« zu erreichen sei.

Für Deutschland »nicht alternativlos«

Dabei will der IfW-Co-Vorsitzende die Drohung mit einem deutschen Austritt aus dem Euro ausdrücklich als ein Machtmittel in den kommenden geldpolitischen Auseinandersetzungen in der EU verstanden wissen: »Manche Optionen muß man benennen, damit sie möglichst nicht eintreten«. Berlin dürfe den Euro nicht als »alternativlos« ansehen, sonst nehme es sich »selbst aus dem Spiel«. Das EU-Währungssystem gehöre »daher immer wieder auf den Prüfstand«, um langfristig für Berlin »tragfähige Lösungen« zu finden, die »Europa aus dem Krisenmodus herausführen«. Das bisherige »Aufweichen« der geldpolitischen »Stabilitätskultur« dürfe nicht folgenlos bleiben.

Deutschland habe »genug Einfluß, diesen Prozeß zu stoppen«: Sobald hochverschuldete Eurostaaten wüßten, daß Berlin es nicht mehr hinnehme, wenn »die Notenbank den Ausputzer spielen soll«, könnten sie »diszipliniert« werden.

»Madame Inflation«

Im Ausland, etwa in angelsächsischen Medien wie der »Financial Times«, wird ein schärferer deutscher Ton in Fragen der Geldpolitik schon seit geraumer Zeit aufmerksam registriert. Wie das Blatt konstatiert, habe der rasche Anstieg der Inflation in der Eurozone in »reichen Ländern wie Deutschland« zu wachsender Kritik an der EZB geführt, deren »ultralockere Geldpolitik« bereits zuvor Gegenstand eines Konflikts mit dem Bundesverfassungsgericht gewesen sei. Der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner habe schon im Dezember beteuert, die Bundesregierung werde künftig eine »Situation fiskaler Dominanz« vermeiden, damit die EZB in der Lage sei, »auf monetäre Entwicklungen mit ihren Instrumenten zu reagieren«. Damit spielte Lindner laut »Financial Times« auf deutsche Ängste an, die Notenbank könne »unwillig sein, ihre Unterstützungsmaßnahmen einzustellen«, da sich dadurch der Schuldendienst stark verschuldeter Eurostaaten verteuere.

Sollte sich die Inflation nicht innerhalb der nächsten Monate abschwächen, würden die deutschen EZB-Kritiker lauter, zitierte die britische Zeitung deutsche Ökonomen – und verwies darauf, das Boulevard-Blatt »Bild« sei mittlerweile dazu übergegangen, die französische EZB-Chefin Christine Lagarde als »Madame Inflation« zu denunzieren. Auch innerhalb der EZB sprächen sich deutsche Funktionärinnen wie Isabel Schnabel verstärkt gegen weitere Aufkaufprogramme für Staatsanleihen aus, da dadurch »exzessive Risiken« finanziert würden.

»Die bedrohlichste Dekade«

Der britische »Daily Telegraph« urteilt gar, die kommende Dekade werde die bedrohlichste für die »europäische Gemeinschaftswährung« sein, da ein inflationäres Umfeld viel »gefährlicher« sei als die vergangene deflationäre Periode. Der Euro habe zwei Dekaden überstanden, was bereits ein großer Erfolg sei, auch wenn Länder der Peripherie wie Griechenland während der deflationären Eurokrise aufgrund des Berliner Spardiktats »die größte je gemessene Rezession« hätten durchstehen müssen. Wenn man ein »Omelett machen will, muß man ein paar Eier zerschlagen«, kommentierte der »Daily Telegraph« unter Verweis auf ein Lenin-Zitat die bisherige Entwicklung der Eurozone.

Die kommenden Jahre würden freilich die »europäische Gemeinschaftswährung« in noch größere Turbulenzen treiben. Die Eurozone drucke »Geld wie verrückt«, während die meisten Währungsräume bereits zur geldpolitischen Straffung übergingen, hieß es in dem Blatt; zudem stiegen die Schulden nicht mehr nur in der Peripherie der Eurozone, sondern auch in ihrem Zentrum. Der »europäische Schuldenberg« sei ein »Rezept für ein Desaster«; die Eurozone könne durchaus den Weg anderer gescheiterter Währungsunionen gehen, die ebenfalls erst nach Jahrzehnten zerbrochen seien.

Starke Vorbehalte gegen Lindner

Dabei gilt insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner als die Personalie, an der sich die künftigen geldpolitischen Auseinandersetzungen in der Eurozone konkretisieren dürften. Der neue deutsche Finanzminister war bis 2015 ebenfalls Mitglied der neoliberalen, seit längerer Zeit von ultrarechten Milieus unterwanderten Friedrich A. Von Hayek-Gesellschaft, die strikt monetaristisch argumentiert. Schon im November vergangenen Jahres berichteten deutsche Wirtschaftsmedien deshalb über große »Skepsis«, auf die der neue Finanzminister in den meisten Eurostaaten stoße. Es gebe es »starke Vorbehalte« gegen Lindner, der sich mit seiner strikt monetaristischen Linie in der Eurokrise »viele Sympathien verscherzt« habe. Lindner hatte damals gefordert, Griechenland solle zumindest temporär aus der Eurozone austreten.

In Ländern wie Frankreich und Italien steige die »Nervosität«, da Lindner als monetaristischer »Hardliner« eingeschätzt werde.

Die »Achse Paris-Rom«

Das »Handelsblatt« schrieb, derzeit hätten sich die Gewichte in der EU verschoben, da nach dem Abgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein »Führungsvakuum« entstanden sei, das der italienische Ministerpräsident Mario Draghi und der französische Präsident Emmanuel Macron »geschickt genutzt« hätten. Es habe sich eine »Achse Paris-Rom« herausgebildet, die nun den Ton auf etlichen Politikfeldern vorzugeben suche. Es sei das »erste Mal seit langer Zeit, daß Europas wichtigste Achse nicht Paris und Berlin, sondern nun Paris und Rom verbindet«, warnte das »Handelsblatt«, das auf die Bemühungen Frankreichs und Italiens verwies, »weichere Schuldenregeln in der EU durchzusetzen«.