Leitartikel07. März 2025

60-Stunden-Woche »Sweet Spot« der Produktivität

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Nach den Bundestagswahlen in Deutschland dürften die Sozialdemokraten gegenüber der Merz-Agenda nicht viel zu melden haben, wenn es darum geht, soziale Errungenschaften vor dem neoliberalen Schlachter zu retten, und eigentlich haben sie auch in Zeiten, wo sie selbst am Ruder waren, herzlich wenig Soziales fertiggebracht. Mit ein Grund, warum die ehemalige Volkspartei SPD dort steht, wo sie steht. Die Wahrheit ist: Im Jahr 2025 dominiert die Lohnarbeit die Lebenszeit trotz drastisch gestiegener Produktivität der vergangenen Jahrzehnte weiterhin und zunehmend, kommen ein Recht auf Wohnen oder ein würdevolles Auskommen im Alter schon gar nicht in die Tüte. Während in den USA den ersten Trump-Wählern schwant, daß Immigration im Wahlprogramm immer auch alles andere mitbringt, was man dort nicht gelesen hat, wird dies vermutlich in Deutschland und auch Luxemburg noch ein Weilchen dauern.

Was sich aber seit der Pandemie, in der plötzlich moderne Arbeitsbedingungen unter dem Druck der Infektionsgefahr möglich waren, angedeutet hat, dürfte unter den neuen »Machern« quer durch die EU weiter an Fahrt aufnehmen: Ein Rückbau der Arbeitsbedingungen. Standen etwa zur Corona-Zeit Büros leer und waren für einen Apfel und ein Ei zu haben, rufen die Unternehmen nun mit Nachdrücklichkeit ihre Untergebenen in jene zurück. Es müsse wieder »geschwitzt« werden und man soll, einem FDP-Wahlplakat folgend, »alles geben im Betrieb«.

Gesundheit, Wohlbefinden oder gar Freude an der Arbeit sind schließlich ein Unding, Lohnarbeit muß Märtyrertum sein. Daß die Betriebe sich mittelfristig damit am Ast sägen, auf dem sie sitzen, wird sichtbar, wenn qualifizierte Angestellte lieber woanders unterschreiben, als auf solchen Patriarchats-Galeeren. Ganz besonders Verlängerungen der Wochenarbeitszeit liegt im Warenkorb der Unternehmen an ihre Vertreter in Chamber, Bundestag oder sonst wo im zunehmend konservativ bis rechts regierten EU-Land. Geködert mit dem Thema Immigration, werden die Wähler bald spüren, wem sie auf den Leim gegangen sind. Während hierzulande Liberalisierungen der Öffnungszeiten im Handel eine gewisse Empörung auslösten, deutet sich an, daß die Renten als nächstes dran sind. Gleichzeitig soll immer mehr und länger gearbeitet werden, angesichts der technologischen Möglichkeiten eine völlige Absurdität, die nur ein Wort zur Antwort kennt: Ausbeutung.

Während Wissenschaftler in Begleitstudien zu Experimenten mit Vier-Tage-Wochen bei vollem Lohnausgleich die Vorteile für alle Beteiligten nachweisen konnten, scheint dies nicht zu interessieren. Weniger Investition und mehr Arbeitsdruck bringen eben mehr Rendite. Und wenn jemand nicht mehr kann, lautet »Absentismus« das Zauberwort.

Erst kürzlich forderte Sergey Brin, einer der Google-Gründer, 60 Arbeitsstunden pro Woche seien ein optimales Pensum für maximale Produktivität. Damit widerspricht er nicht nur der Wissenschaft, sondern folgt auch dem Trend, Angestellte wieder in die Büros unter Aufsicht zu bringen. Menschen, die »nur« die »Regelarbeitszeit« leisten würden, wären unproduktiv und schadeten moralisch den Mehrarbeitenden. Die FDP-Mär vom »Minderleister« auf US-amerikanisch.

Daß die junge Generation sich solche Gängeleien nicht bieten läßt, wird allzu häufig mit Artikeln über die »arbeitsscheue Generation Z« verrissen. Bleibt zu hoffen, daß die so gescholtenen den alten weißen Männern, die uns diktieren wollen, wie wir zu leben und zu arbeiten haben und denen angesichts ihrer tickenden biologischen Uhr das Taschen vollmachen näher ist, als der Klimaschutz, ordentlich die Zähne zeigen.