Ausland11. Dezember 2020

»Law and Order«-Praxis

Trump-Regierung will Vollstreckung der Todesstrafe ausweiten

Die Trump-Regierung forciert kurz vor ihrem Abtritt die Todesstrafe. Nachfolger Joe Biden deutet deren Abschaffung an, obwohl er die grausame »Law and Order«-Praxis mitzuverantworten hat.

Das USA-Justizministerium hat diese Woche zwei Hinrichtungen angeordnet. Im Todestrakt von Terre Haute im Bundesstaat Indiana sollte am Donnerstag der 40-jährige Brandon Bernard mit einer Giftspritze umgebracht werden, tags darauf der 56-jährige Alfred Bourgeois. Wenige Tage vor der Amtsübernahme durch Joe Biden sind drei weitere staatliche Morde geplant. Insgesamt käme die Trump-Regierung damit auf 13 Hinrichtungen – und auf die schlimmste Todesstrafenpräsidentschaft seit 130 Jahren.

Der Schwarze Brandon Bernard saß seit 1999 im Todestrakt. Der damals 18-Jährige war von einer nahezu vollständig weißen Jury zum Tode verurteilt worden für ein Verbrechen, bei dem er Komplize war. Den tödlichen Schuß hatte er selbst gar nicht abgegeben. Alfred Bourgeois, ebenfalls ein schwarzer Mann, hat einen so niedrigen Intelligenzquotienten, daß er als Erwachsener von anderen abhängig und als schutzbedürftig gilt. Dasselbe gilt für Corey Johnson, der am 14. Januar von staatlichen Killern hingerichtet werden soll.

Die einzige Frau auf der Todesstrafenliste ist Lisa Montgomery, eine Weiße. Schon als Kind war sie zur Prostitution gezwungen worden. In den darauf folgenden Jahren wurde sie erneut wiederholt das Opfer von sexueller Gewalt und von Psychoterror. Obwohl Lisa Montgomerys Leidensweg, der in eine schwere Psychose mündete, dokumentiert ist, kennen die Behörden keine Gnade. Die 52-Jährige war zum Tode verurteilt worden, weil sie eine Frau umbrachte und deren ungeborenes Baby entführte. Lisa Montgomery wäre die erste Frau seit knapp siebzig Jahren, die am 12. Januar hingerichtet werden soll.

Schließlich steht am 15. Januar Dustin Higgs auf der Liste. Gegen den Afroamerikaner wurde die Todesstrafe verhängt, weil ein Mitangeklagter, dessen Schuld belegt ist, »nur« eine lebenslange Strafe erhielt.

Nachdem die landesweite Todesstrafe seit 2003 ausgesetzt war, wurde sie von der Trump-Regierung am 14. Juli aus politischen Gründen wieder aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt fanden landesweit nach dem Polizeimord an George Floyd die riesigen Black-Lives-Matter-Demonstrationen statt.

Gleichzeitig präsentierte sich Trump im Wahlkampfsommer als Law-and-Order-Präsident. Um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich um Rassismus, beschloß die Regierung, zunächst die Hinrichtung von weißen Todesstrafenhäftlingen, die wegen Kindsmord verurteilt worden waren. Jetzt sollen vier schwarze Männer und eine Frau an die Reihe kommen. 

Auf das grausame Law-and-Order-Erbe zielt Trump mit Blick auf seine Basis in der Republikanerpartei ab. Er wird nach dem 20. Januar weiterhin der Königs- und Meinungsmacher bei den Rechten bleiben. Mehr als 70 Millionen USA-Bürger hatten ihn gewählt. Die Parteiführung weigert sich bis heute, Bidens Wahlsieg offen anzuerkennen.

Um ihrem Ruf eins draufzugeben, verkündete die USA-Regierung in ihrem Amtsblatt vor wenigen Tagen, daß neben der Giftspritze wieder der elektrische Stuhl, Erhängen, tödliches Gas oder Erschießungskommandos als Methoden zulässig sein sollen.

Nun erfolgen aus den Reihen der Demokratischen Partei zwar Proteste gegen die Forcierung der Todesstrafe kurz vor Joe Bidens Amtsübernahme. Doch ihm selbst ist das Thema »unangenehm«, wie es heißt. Der Forderung nach einem sofortigen Stopp der Hinrichtungs-Orgie schloß er sich nicht an.

Jahrzehntelang war Biden ein Befürworter der Todesstrafe. Eine massive Strafrechtsverschärfung von 1994 in der Amtszeit von Bill Clinton trägt seine Handschrift. In das »crime bill« flossen auf Bidens Betreiben hin zusätzliche 60 Vergehen ein, die mit der Todesstrafe bestraft werden können und auch wurden – etwa Kidnapping mit Todesfolge oder schwerer Drogenhandel.

Biden räumte Jahre später, darunter auch im Vorwahlkampf dieses Jahr, mehrmals ein, das Gesetz sei »mit Makeln behaftet« gewesen. Er werde für die Abschaffung der bundsweiten Todesstrafe sorgen, versprechen Bidens Berater.

Darauf hoffen auch die seit Jahrzehnten aktiven Anti-Todesstrafenverbände. In einem offenen Brief kritisierten Anfang Dezember fast 100 ehemalige Staatsanwälte, Verteidiger und Polizeichefs, das Todesstrafensystem sei »kaputt, mit Rassismus durchsetzt und verfassungsrechtlich fragwürdig«. Ausdrücklich räumt die Erklärung mit dem Mythos auf, die Todesstrafe treffe nur die »allerschlimmsten« Täter. Nicht nur das treffe nicht zu, heißt es.

»Viel schlimmer noch, wir richten die Unglücklichsten der Unglücklichen hin – die Verarmten, die, die sich Verteidiger nicht leisten können, und die ganz unten... Immer und immer wieder richten wir Menschen hin, die seit Langem schwer geisteskrank sind, deren Kindheit von grausamen körperlichen und psychischen Mißhandlungen geprägt war, und die ein unabhängiges Erwachsenenleben nicht führen können.«

1994 waren noch 80 Prozent der USA-Bürgerinnen und -Bürger für die Hinrichtung verurteilter Mörder, inzwischen bevorzugen 60 Prozent lebenslange Haft. Immer mehr Einzelstaaten schaffen die Todesstrafe ab. Wie Biden vorgehen wird, ist jedenfalls unklar.

Max Böhnel, New York

Protest gegen die Todesstrafe vor einem Gefängnis in Terre Haute, Indiana
Foto: EPA-EFE/TANNEN MAURY)