Ausland09. Januar 2024

Antikorruptionsorganisation sollen Zähne gezogen werden

Regierungspolitiker in Frankreich wollen juristisch unangreifbar sein

Ralf Klingsieck

Durch den Entzug des »Agrément«, der Nebenkläger-Zulassung, will die Regierung ganz offensichtlich die Organisation Anticor, die sich den Kampf gegen Korruption und Machtmißbrauch auf die Fahnen geschrieben hat, »unschädlich« machen. Mit dem Anticor-Generalsekretär Laurent Dublet sprach in Paris unser Korrespondent Ralf Klingsieck.

Welche Aufgaben hat sich Anticor gestellt und durch welche Aktivitäten ist die Organisation bisher wirksam geworden?

Anticor wurde 2002 gegründet als Reaktion auf den Wahlerfolg von Jean-Marie Le Pen, der es bis in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl geschafft hatte. Durch den offensiven Kampf gegen Korruption und Machtmißbrauch, für Transparenz und ethische Grundprinzipien in der Politik wollten wir der sich immer mehr ausbreitenden Politikverdrossenheit und der von den Rechtsextremen geschürten demokratiefeindlichen Überzeugung vieler Franzosen, daß alle Politiker mehr oder weniger korrupt sind, entgegentreten.

Die Organisation zählt 7.000 Mitglieder und hat bis heute in 160 Fällen Anzeige gegen Politiker erstattet und Justizverfahren veranlaßt. Zu diesen Fällen gehörte beispielsweise die Katar zugeschanzte Fußballweltmeisterschaft, wo viele Millionen Dollar im Spiel waren, oder das jüngste Verfahren wegen Machtmißbrauch vor einem Sondergerichtshof gegen den amtierenden Justizminister Eric Dupond-Moretti, der sein Amt genutzt hat, um sich durch willkürliche Dienstaufsichtsverfahren an Richtern zu rächen, die ihm in seiner früheren Karriere als Anwalt die Stirn geboten hatten.

Das wohl brisanteste Verfahren betrifft gegenwärtig Alexis Kohler, den Generalsekretär des Elysée und engen Vertrauten von Präsident Emmanuel Macron, der kraft seines Amtes Einfluß auf Regierungsentscheidungen zugunsten der Schweizer Seereederei MSC genommen hat, deren Hauptaktionär die Familie seiner Mutter ist.

Ende vergangenen Jahres hat sich die Regierung an Anticor gerächt, indem sie das »Agrément«, die amtliche Zulassung als Nebenkläger in Justizverfahren, nicht erneuert hat. Welche Konsequenzen hat das für Ihre Organisation?

Wenn man als Person oder als Organisation Anzeige erstattet, entscheidet ein Staatsanwalt, ob die Vorwürfe juristisch stichhaltig sind und ein Verfahren eingeleitet oder der Fall einfach zu den Akten gelegt wird. Da die Staatsanwälte dem Justizminister unterstehen und ihre Karriere von dessen Wohlwollen abhängig ist, fallen die Entscheidungen nur zu oft gemäß der politischen Interessenlage aus.

Als Nebenkläger muß man sich nicht damit abfinden, daß der Staatsanwalt den Fall zu den Akten gelegt hat, sondern man kann sich an ihm vorbei direkt an einen Untersuchungsrichter wenden. Der ist unabhängig und entscheidet allein nach juristischen Kriterien. Der Entzug des Agrément beraubt uns also eines ganz entscheidenden juristischen Hebels.

Das Agrément ist also praktisch ein von der Regierung erteilter – oder verweigerter – »Freibrief«, ihr auf den Pelz zu rücken und möglicherweise Probleme zu bereiten. Diese Konstellation ist mehr als problematisch, denn so ist die Regierung gewissermaßen »Richter und Partei«. Darum fordern wir seit Jahren, daß das Agrément nicht durch die Regierung, sondern durch ein von ihr unabhängiges Gremium erteilt werden sollte, das einzig nach objektiven Kriterien entscheidet.

Was sagt die Entscheidung gegen Anticor über den Willen der Regierung aus, gegen Korruption zu kämpfen?

Das ist in höchstem Maße widersprüchlich. Präsident Emmanuel Macron hatte das im Wahlkampf als eines der wichtigsten Anliegen seiner zweiten Amtszeit bezeichnet und erst kürzlich hat Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire vollmundig versichert, daß Frankreich diesen Kampf intensivieren und unter vollem Einsatz führen wird.

Doch tatsächlich versucht man, gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk für korrupte Geschäftemacher, den für sie höchst unbequemen Gegenspieler Anticor auszuhebeln. Das liegt auf einer Linie mit dem im Dezember 2016 erlassenen Gesetz »Sapin 2«, das angeblich Korruption und Vorteilsverschaffung bekämpfen soll und das Großunternehmen, die mit solchen Vorwürfen konfrontiert sind, die Möglichkeit einräumt, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Dazu muß man nur mit den Regierungsbehörden eine Geldstrafe aushandeln und braucht sich nicht einmal schuldig zu bekennen.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Wir sind entschlossen, für unser Recht zu kämpfen und alle juristischen Mittel zu nutzen. Dabei wissen wir die beiden anderen französischen Antikorruptionsorganisationen Transparency Internatioal und Sherpa sowie viele linke wie auch rechte Politiker und darüber hinaus viele Bürger auf unserer Seite.