Ein Plan zu Rußlands »Entmachtung«
Neues Strategiepapier ihrer Denkfabrik EUISS fordert, EU müsse Rußland in den Schwerpunktregionen seiner Außenpolitik entmachten
Das EUISS (Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien) hat ein neues strategisches Handbuch mit Vorschlägen zur »Entmachtung« Rußlands in den Schwerpunktregionen seiner Außenpolitik veröffentlicht. Das Dokument aus der Reihe der »Chaillot Papers«, der Flaggschiffpublikation des EUISS, befaßt sich neben einer Analyse von Rußlands »hybrider Kriegsführung« vor allem mit seiner Position in fünf strategisch wichtigen Weltgegenden, in China, der Asien-Pazifik-Region, dem südlichen Mittelmeerraum, Südosteuropa und Subsahara-Afrika.
So heißt es, China sei zwar Rußlands wichtigster strategischer Kooperationspartner; doch habe sich gezeigt, daß Beijing auf Druck reagiere, was die EU ausnutzen könne. Auf die Asien-Pazifik-Region wiederum sei Rußland angewiesen, um mit seinen Ölexporten die westlichen Sanktionen zu umgehen. Im südlichen Mittelmeerraum hingegen habe Moskau mit dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien einen Rückschlag erlitten. Während es in Südosteuropa bemüht sei, die Expansion vor allem der NATO zu verhindern, setze es sich in Subsahara-Afrika militärisch und mit Auslandssendern fest. Dort könne die EU Rußlands Einfluß mit Propagandakampagnen entgegenwirken.
China
China hat, wie die EUISS-Studie festhält, niemals eine explizite Unterstützung für Rußlands Krieg in der Ukraine zum Ausdruck gebracht und Rußlands territoriale Ansprüche auf ukrainisches Territorium bislang nicht anerkannt. Die »Freundschaft« zwischen den zwei Ländern sei »nicht unbegrenzt«; beide seien nicht vollständig aufeinander abgestimmt, aber sie seien, schreibt die Denkfabrik, »vereint in ihrer Opposition gegen die Macht der USA«. Es sei unmöglich, einen Keil zwischen sie zu treiben, heißt es weiter; allerdings habe China gezeigt, daß es auf Druck reagiere. Die »strategische Beziehung« zwischen den beiden Ländern erstreckt sich demnach auf Militär, Wirtschaft, Diplomatie und den Austausch von Informationen.
Militärisch habe China ein starkes Interesse daran, daß Rußland in seinem Krieg erfolgreich sei; seine für die Rüstung nützlichen Lieferungen an das Land beschränkten sich bislang aber größtenteils auf Dual-Use-Güter, die zudem aufgrund drohender Sanktionen reduziert worden seien. Der Handel zwischen beiden habe in jüngster Zeit zugenommen, heißt es weiter; chinesische Maschinen und Elektrogeräte seien für Rußland zu einer wichtigen Lebensader geworden. Rußland befürchtet demnach aber, daß seine eigene Autoindustrie durch Importe aus China verdrängt werden könnte. Auf diplomatischer Ebene kooperieren die beiden Länder auf UNO-Ebene und in ihrer Ablehnung der NATO; sie arbeiten zudem im BRICS-Bündnis und in der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zusammen. Eine formelle Allianz jedoch haben sie bislang vermieden.
Die Asien-Pazifik-Region
Rußlands Hinwendung zur Asien-Pazifik-Region zielt laut Einschätzung der Autoren des EUISS-Papiers darauf ab, die Auswirkungen der gegen das Land verhängten Sanktionen auszugleichen; doch seine wirtschaftliche Präsenz dort bleibt begrenzt. Sein Handel mit den ASEAN-Ländern etwa belief sich 2023 auf nur 15 Milliarden Euro, derjenige mit seinem langjährigen Kooperationspartner Indien auf lediglich 60 Milliarden Euro. Auch Moskaus Einfluß auf dem Energiesektor sei fragil, da seine groß angelegten Initiativen mit wenigen Ausnahmen oft ins Stocken gerieten, heißt es weiter; selbst bei seinen Ölexporten sei es weiterhin stark davon abhängig, daß es den Rohstoff in Indien und Malaysia mischen und umbenennen könne – ein Vorgang, der seine Verwundbarkeit offenbare.
Rußlands Militärexporte seien der Eckpfeiler seiner Präsenz in der Region, mit hohen Verkäufen an Indien, Myanmar, Laos und Vietnam, konstatieren die Autoren. Allerdings nehme seine Dominanz stetig ab, insbesondere in Indien, wo die Waffenimporte aus Rußland in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen seien, da das Land seine Importe diversifiziere. Die EU solle die Umvermarktung von Öl durch Dritte ins Visier nehmen, rät das EUISS; darüber hinaus solle sie versuchen, den Energiebedarf der Region durch erneuerbare Energiequellen zu decken – ein Bereich, in dem die EU über Fachwissen verfüge.
Der südliche Mittelmeerraum
Rußlands politische Ziele im südlichen und östlichen Mittelmeerraum seien von der Notwendigkeit bestimmt, dem »westlichen Einkreisen« entgegenzuwirken, das derzeit hinter dem vorrangigen Ziel zurücksteht, den Krieg in der Ukraine zu gewinnen, urteilt das EUISS. Der Zusammenbruch von Syriens Regierung unter Präsident Baschar al-Assad habe Rußlands Schwäche bei der Durchsetzung seiner Macht in der Region offenbart, die ihm auch Zugang zum Indischen Ozean und zum afrikanischen Kontinent verschaffe, wo es Waffen verkaufe und Gold fördere.
In wirtschaftlicher Hinsicht bleibe Rußland ein »kleiner Akteur« in dieser Region, da der bilaterale Handel weniger als ein Prozent des Handelsvolumens der meisten Länder dort ausmache. Dennoch sei Rußland für die »Nahrungsmittel-, Energie- und militärische Sicherheit« der Region von Bedeutung. In Syrien beispielsweise unterhält Rußland eine ständige Marinepräsenz und führt Marineübungen durch, um den Aktivitäten der NATO entgegenzuwirken. Die EU solle sicherstellen, daß Syriens neue Behörden keinen Anreiz hätten, Moskau auch in Zukunft eine Präsenz zu gewähren, rät das EUISS. In Libyen wiederum solle die EU mit der Türkei zusammenarbeiten, um den Abzug der russischen Streitkräfte zu erzwingen.
Südosteuropa
In Südosteuropa bietet Rußland laut dem Urteil des EUISS keine Alternative zur EU; es sei »darauf reduziert, die Rolle des Störenfrieds zu spielen«. Sein Hauptziel bestehe darin, eine weitere Expansion der NATO und der EU zu verhindern; dazu stelle es zum Beispiel die NATO als Hauptverantwortlichen für die Instabilität in der Region dar. Rußland finde Widerhall unter anderem bei Milorad Dodik, dem bisherigen Präsidenten der Republika Srpska, der Rußlands Darstellung der Invasion in die Ukraine als »militärische Spezialoperation« unterstützt habe, heißt es weiter in der EUISS-Studie. Im Gegenzug habe Moskau Dodiks Vorgehen als Teil einer gezielten Strategie, um Bosnien-Herzegowinas Legitimität zu untergraben, seine Institutionen zu schwächen und das Land der EU abspenstig zu machen, gefördert.
Das EUISS schreibt auch die wiederkehrenden Unruhen im Norden des Kosovo, der von einer serbischsprachigen Mehrheit bevölkert ist, Rußland zu, das sich dort als Beschützer der Serben inszeniere und die albanischsprachige Bevölkerung einschüchtere. Dabei verschaffe ihm das gemeinsame religiöse Erbe einen allgemeinen »Soft-Power-Vorteil« in der Region. Das EUISS empfiehlt, die EU solle diejenigen Länder belohnen, die bedeutende Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt erzielten, und diejenigen bestrafen, die diesen behinderten. Zudem solle sie Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die »prorussische Narrative« verbreiteten.
Subsahara-Afrika
In Afrika südlich der Sahara schließlich versucht Rußland sich laut der Studie als »antikoloniale Macht« und als »echten Freund« darzustellen – in starkem Kontrast zum als »paternalistischen« und »neokolonialistischen« Westen. Dabei könne es sein umfangreiches Netzwerk von Medienagenturen und Kulturhäusern nutzen, heißt es in dem Papier. Moskaus gezielte Informationskampagne gehe dabei Hand in Hand mit strategischen Aktivitäten vor Ort; so falle die Ausstrahlung eines Radiosenders in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali mit dem Einsatz des Africa Corps in beiden Ländern zusammen.
Die Autoren des EUISS-Papiers schlagen als Gegenstrategie eine eigene Propagandakampagne vor, die »Rußlands nicht eingehaltene Versprechen«, »Menschenrechtsverletzungen der Wagner-Gruppe« sowie die angebliche »Mißhandlung von Migranten« durch russische Söldner aufdecken solle. Dies könne durch die Unterstützung »unabhängiger Journalisten«, durch »Faktenchecks und positive Berichterstattung« geschehen. Dabei könne man darauf aufbauen, daß in Afrika südlich der Sahara skeptische Haltungen »nicht mehr nur den ehemaligen Kolonialherren vorbehalten« seien, sondern sich auch gegen Staaten wie China und Rußland richteten; dies könne die EU mit gezielten Kommunikationsstrategien ausnutzen.