Dreiste Täter-Opfer-Umkehr
Internationale Kampagne zur Rehabilitierung des früheren RTS-Direktors in Belgrad
Gerechtigkeit für Dragoljub Milanović fordern rund 400 Unterzeichner einer Petition, die in der vergangenen Woche an den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić adressiert worden ist. Die Kampagne zur Rehabilitierung des früheren Direktors des serbischen Radio- und Fernsehsenders »RTS« (Radio Televizija Srbije) wurde von der Berliner Friedensaktivistin Gordana Milanovic-Kovacevic initiiert. »Das Unrecht, das Dragoljub Milanović angetan wurde, muß korrigiert werden«, so ihre Intention. »Wir dürfen nicht zulassen, daß Feinde unsere Geschichte schreiben!«
Dragoljub Milanović war während des völkerrechtswidrigen NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999 RTS-Chef. Am 23. April 1999 wurde die Sendezentrale in der Hauptstadt Belgrad bei laufendem Betrieb nachts um 2.06 Uhr durch NATO-Präzisionsbomben zerstört. 16 RTS-Beschäftigte wurden getötet, 16 weitere verletzt. Nicht unter den Opfern war Dragoljub Milanović. Er hatte das Gebäude im Stadtzentrum nach einem arbeitsreichen Tag eine halbe Stunde vorher verlassen – woraus später der Vorwurf konstruiert werden sollte, er habe vom Angriff gewußt und die Toten billigend in Kauf genommen, um der NATO zu schaden.
NATO-Sprecher Jamie Shea hatte seinerzeit den Angriff auf die Journalisten offensiv gerechtfertigt mit der Behauptung, RTS verbreite »Haß und Propaganda«, von den Journalistenverbänden in den NATO-Staaten war nur wenig Solidarität mit den bombardierten Kolleginnen und Kollegen in Serbien zu vernehmen. Warum RTS ausgeschaltet wurde, erklärte knapp ein Jahr nach dem Krieg der britische Premier Tony Blair freimütig: Die Weltöffentlichkeit sollte keine Bilder vom Krieg, von den Toten und Zerstörungen zu sehen bekommen. Der Angriff auf RTS sei »notwendig« gewesen, weil auch westliche Sender die Videos von zivilen Opfern übernommen hatten, so Blair. »Das ist eines der Probleme, wenn man in einer modernen Kommunikations- und Informationsgesellschaft Krieg führt. Uns war klar, daß diese Bilder auftauchen und eine instinktive Sympathie für die Opfer bewirken würden.«
Amnesty International hatte den NATO-Angriff auf das RTS-Gebäude als Kriegsverbrechen eingestuft und ausgeführt, daß Artikel 52 (2) der Genfer Konvention klar militärische und zivile Ziele definiere und Propagandateilnahme kein ausreichendes Argument sei, um eine Einrichtung zum legitimen Angriffsziel zu deklarieren.
Doch nicht der britische Premier Tony Blair oder der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und die anderen Verantwortlichen des NATO-Krieges kamen vor Gericht, sondern in dreister Täter-Opfer-Umkehr Dragoljub Milanović. Nach seiner Verhaftung 2001 wurde der NATO-Widersacher 2002 zu zehn Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt, weil er angeblich gegen das Gesetz der allgemeinen Sicherheit verstoßen und nicht alle Maßnahmen unternommen habe, die RTS-Belegschaft samt Ausrüstung zu schützen und zu evakuieren. Auf seine Bemerkung während der Gerichtsverhandlung: »Wenn ich mit dem Sender an einen Alternativort ausgewichen wäre, hätte es noch viel mehr Tote gegeben«, antwortete die Richterin, wie die Schriftstellerin Daniela Dahn in der Zeitschrift »Ossietzky« dokumentierte, wörtlich: »Ja, aber Sie wären nicht schuld gewesen!«
Während die führenden NATO-Kriegspolitiker als Verantwortliche für die RTS-Toten mächtig an ihren Memoiren verdienten, ging Dragoljub Milanović in Požarevac in den Knast. Der österreichische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Peter Handke hat das schreiende Unrecht 2011 in dem Buch »Die Geschichte des Dragoljub Milanović« dokumentiert.
Zu den Unterzeichnern der jetzt an den Präsidenten der Republik Serbien gerichteten Petition gehören der frühere jugoslawische Außenminister Živadin Jovanović, die in Paris lebende Journalistin Diana Johnstone (»Die Chaos-Königin. Hillary Clinton und die Außenpolitik der selbsternannten Weltmacht«) und der österreichische Verleger Hannes Hofbauer sowie aus Deutschland der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele, der frühere Freidenker-Chef Klaus Hartmann, der Hamburger Anwalt Jürgen Schneider, der frühere NDR-Journalist Volker Bräutigam und der Schauspieler Rolf Becker. »Dragoljub Milanović ist unschuldig! Wir fordern seine Rehabilitierung!«, so ihr gemeinsamer Appell an Aleksandar Vučić, dessen Mutter während der NATO-Bombardierung ebenfalls im RTS-Gebäude war und als Bereitschaftsredakteurin die nächsten Nachtnachrichten um 3.00 Uhr mit vorbereitet hatte.