Ausland05. Januar 2010

Universität der Solidarität hilft Lateinamerika

Ungewöhnliche Hochschuleinrichtung in Kuba begeht ihr zehnjähriges Jubiläum

An einem Novembertag 1999 wurde die ehemalige Akademie der kubanischen Kriegsmarine – direkt am Meer zwischen den beiden hauptstädtischen Vororten Santa Fé und Playa Baracoa gelegen – völlig in den Dienst ziviler Obliegenheiten gestellt. Die Lateinamerikanische Universität für Medizinische Wissenschaften (ELAM) nahm dort ihren Betrieb auf.

Kuba wagte vor zehn Jahren wieder einmal etwas Einzigartiges für Lateinamerika und die Karibik: Es bot mittellosen jungen Menschen des Kontinents Amerika die Möglichkeit, gratis Allgemeinmedizin, Gynäkologie, Augenheilkunde und drei weitere Disziplinen zu studieren. Unter der Voraussetzung, dass sie nach ihrem Examen wieder dorthin zurückkehren, woher sie gekommen waren, wo sie absolut kein Luxus erwartete.

1998 hatte der Hurrikan »Mitch« Mittelamerika umgepflügt, die Katen weggeschwemmt, den Mais, die Hirse, die Bohnen entwurzelt. 28.000 Tote wurden gefunden, wie viele in den folgenden Jahren an den Nachwirkungen des Hurrikans starben, weiß niemand genau zu sagen. Konservative Beobachter und die Kirche gehen von 40.000 aus.

Wie immer, wenn Menschen in Not sind, ersuchten die Regierungen von Nicaragua, Honduras und Guatemala Kuba um Hilfe. Nach 36 Stunden traf sie ein: medizinische Ausrüstungen, Medikamente und Ärzte, Sanitäter und Techniker. Die Mediziner machten sich auf in ihre Einsatzgebiete, wo noch nie ein Arzt gesichtet worden war – zu Fuß, per Maultier und Kanu. Der Zustand vieler Kinder, berichtete eine Ärztin, hätte sie anfangs mit hilfloser Panik erfüllt: mit drei, vier Jahren schon kaputt, von Parasiten aufgefressen, von Durchfällen gepeinigt, chancenlos.

In Guatemala protestierte das Ärztekollegium gegen die »Invasion von Kubanern«. Der Präsident der Republik ließ antworten: Für jeden guatemaltekischen Arzt, der dorthin geht, wo die Kubaner arbeiten, werde ein Kubaner nach Hause geschickt. Es meldete sich niemand.

Die Kubaner blieben zwei, manche drei Jahre, andere sogar bis heute, nach einem ausgeklügelten Rotationsprinzip. Sie haben tausende Leben gerettet. Niemand wagte das zu bezweifeln. Das kubanische Team wurde mit dem höchsten Orden Guatemalas ausgezeichnet.

Die Erfahrungen mit »Mitch« bewogen damals Fidel Castro, die Universität ELAM in Rekordzeit ins Leben zu rufen. Später kamen 20 Nebenstellen in den Provinzen dazu. 7.256 junge Frauen und Männer aus 30 Ländern haben dort ihren Doktor gemacht, auch 160 US-Amerikaner. Die meisten haben Wort gehalten und sind an die Orte ihrer Eltern zurückgekehrt.

Zur Zeit sind an der ELAM und ihren Nebenstellen 21.017 Studenten eingeschrieben.

Zum ersten Mal halfen 1960 kubanische Mediziner in Algerien. Heute sind 20.000 im Auslandseinsatz, etwa ein Drittel der kubanischen Angehörigen dieses Berufsstandes. Die Operation »Milagro« (Wunder) hat tatsächlich Wunder bewirkt und zum Beispiel 250.000 am Grauen Star erkrankten Patienten in Lateinamerika die Sehkraft wieder hergestellt.

Nicht all diese Einsätze sind gratis. Wo Regierungen solvent genug sind, um die Operation zu bezahlen, werden ihnen die moderat kalkulierten Kosten in Rechnung gestellt. Und wo die kubanischen »doctores«, Alphabetisatoren und Sporttrainer längere Zeit tätig waren, ist es sehr schwierig geworden, das von rechten Medien und antikommunistischen Büttenrednern entworfene Bild der Kubaner aufrecht zu erhalten.

Leo Burghardt, Havanna