Ausland25. Juli 2025

Nach den Kämpfen in Sweida

Sorge in allen Teilen Syriens groß

von Karin Leukefeld

Das Bild, das in Medien von Syrien gezeichnet wird, könnte unterschiedlicher nicht sein. Ausländische Presse konzentriert sich weiter auf die Folgen der einwöchigen Kämpfe um die südsyrische Stadt Sweida. Die britische BBC sendete eine Reportage, in der über die vielen Toten im Krankenhaus in Sweida berichtet wird. Der katarische Nachrichtensender Al Jazeera (Englisch) berichtet über den Abtransport von Beduinen aus Sweida und darüber, daß der katarische Rote Halbmond Hilfsgüter an Hilfsbedürftige in Syrien verteilt. In der libanesischen Tageszeitung »L’Orient Le Jour« wird unter der Schlagzeile »Syrien nach Assad – Haß als Vermächtnis« analysiert, daß »die konfessionelle Identität ein Eckpfeiler bleibt, über den die Zentralgewalt ihre Macht ausübt«.

»Business as Usual«

Die Schlagzeilen der Syrischen Arabischen Nachrichtenagentur SANA dagegen berichten über »Business as usual«, das Geschehen in Sweida ist in die Rubrik »Lokales« gerückt. Auf der Startseite wird ausführlich über den Auftakt eines Syrisch-Saudischen Investitionsforums berichtet, das im Präsidentenpalast eröffnet wurde. Es gibt eine Meldung über die Sitzung des UNO-Sicherheitsrates, die sich in routinemäßig mit der »Lage im Mittleren Osten und der Frage der Palästinenser« befaßt, gefolgt von einem Bericht über den Besuch des jordanischen Außenministers Ayman Safadi bei seinem Amtskollegen Marco Rubio in Washington.

Auch ein syrisch-jordanisch-libanesisches Treffen über die Kooperation im Landwirtschaftssektor hat es auf die SANA-Startseite geschafft, ebenso ein Treffen zwischen dem Kommandeur der Luftwaffe im Syrischen Verteidigungsministerium und dem Direktor des Türkischen Luftfahrtcolleges, die sich am Rande der Rüstungsmesse »IDEF 2025« in Istanbul treffen. Schließlich erfahren die Leser noch, daß die Zementfabrik Al Badia eine zweite Produktionsstraße eröffnen wird, und in einem Joint-venture-Projekt zwischen Syrien und Saudi Arabien wird eine weitere Zementfabrik Al Fayhaa eröffnet. Der Goldpreis ist ein Thema und schließlich wird berichtet, daß im Oktober die jährliche Ausstellung für Wiederaufbau in Damaskus stattfinden wird.

Zahl der Toten steigt

Eine Woche nach dem offiziell deklarierten Ende der Kämpfe um Sweida steigt die Zahl der Toten weiter an. Laut unbestätigten Berichten sollen von den mehr als 1.300 Toten mindestens 196 Opfer von Hinrichtungen sein. Die »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« mit Sitz in London liefert eine Auflistung der Toten, die aus Sweida waren. Einige sollen aus dem Libanon gestammt haben. 15 Personen seien durch israelische Luftangriffe getötet worden, schreibt die »Beobachtungsstelle«. Woher diese Angaben kommen, wer sie möglicherweise verifiziert hat, bleibt unklar. Die »Beobachtungsstelle« wird u.a. aus dem Budget des britischen Außenministeriums und von der Europäischen Union finanziert. Die Einrichtung fordert eine internationale Untersuchung und daß alle Täter zur Verantwortung gezogen werden sollen.

Der von den USA vermittelte Waffenstillstand wird Berichten zufolge gelegentlich noch gebrochen. Zu Schießereien kam es noch nördlich von Sweida, bei Shahba und Um al Zeytoun, wo Milizen der Drusen gegen Milizen der Beduinen vorgehen, die von Soldaten der »offiziellen« syrischen Armee unterstützt werden. Unbestätigt sind vereinzelte Luftangriffe israelischer Kampfjets unweit von Sweida, die gegen die Beduinen vorgehen und zugunsten der Drusen eingreifen.

Bestätigt wurde die Freilassung von mehr als tausend Beduinen durch die Drusen, die das als »Zeichen des guten Willens« verstanden wissen wollten. Der Waffenstillstand sieht einen Gefangenenaustausch innerhalb von 48 Stunden vor. Danach sollen alle Beduinen und Angehörige der syrischen Streitkräfte im Gegenzug zu 110 drusischen Gefangenen freigelassen werden. Angehörige von Beduinenstämmen – vor allem Frauen und Kinder – wurden mit Lastwagen und Bussen vermutlich in die Richtung Jordanien und Deraa abtransportiert.

Die Drusen aus Sweida versuchen derweil, das Geschehen zu verarbeiten. Eine BBC-Reportage aus dem Krankenhaus in Sweida zeigt Dutzende Leichensäcke, die vor dem Gebäude ausgelegt sind, weil der Kühlraum der Klinik mit Leichen überfüllt ist. Kämpfer in der Uniform der »Regierungs«-Armee seien in das Krankenhaus gekommen und hätten die Patienten in ihren Betten, das Pflegepersonal auf den Fluren und in Untersuchungsräumen ermordet, berichten ein Wärter, ein Englischlehrer und ein Arzt übereinstimmend. »Sie sind Monster«, sagt ein Arbeiter in die Kamera. »Wenn Sie vor zwei Tagen gekommen wären, hätten Sie auf allen Straßen, in Parks und Gärten die Leichen gesehen.«

Politische Opposition an den Rand gedrängt

Vor dem Waffenstillstand, als die Kämpfe in Sweida weiter zunahmen und die israelische Luftwaffe Ziele des Militärs in Damaskus bombardierte, hatten sich in Damaskus zumeist junge Oppositionelle zu einem »Schweigeprotest« gegen die Gewalt und das Blutvergießen versammelt. Unter dem Motto »Heute und jeden Tag: Syrisches Blut ist heilig«, was so viel heißt wie: »Syrer dürfen Syrer nicht töten«, standen die Demonstranten schweigend vor dem Parlamentsgebäude, an dessen Zaun sie ein Transparent aufgehängt hatten. Daneben stand: »Gewalt ist keine Antwort, die Antwort ist Dialog«.

Auf Schildern forderten sie einen »nationalen Dialog« und ein Ende der Gewalt im ganzen Land. Syrien benötige dringend »Gerechtigkeit, Frieden und politische Lösungen«. Als die Demonstranten am nächsten Tag ihren Protest fortsetzen wollten, wurden sie von Anhängern des Machthabers Al Sharaa als »Verräter« beschimpft und wurden mit Knüppeln bedroht. Seit der Machtübernahme von Ahmed al-Sharaa und der Terrorormiliz Hay’at Tahrir al Sham im Dezember 2024 ist das Parlament aufgelöst und steht leer.

Hardliner, ausländische Akteure und Medien lassen der Bevölkerung keinen Raum, die Folgen des Krieges, der zum Sturz von Präsident Baschar al-Assad führte, zu verarbeiten und mit Hilfe der Resolution 2254 des UNO-Sicherheitsrats gemeinsam einen politischen Übergangsprozeß zu gestalten, der zu einer neuen Verfassung, Parlamentswahlen und der Wahl eines neuen Präsidenten führen sollte.

Die UNO ist an den Rand gedrängt, der selbsternannte »Interimspräsident« Ahmed al-Sharaa will das Land »seinen wahren Besitzern« zurückgeben, den Sunniten der Ummayyaden Dynastie. Seitdem sind extremistische dschihadistische Kämpfer, häufig in »offizieller« Armeeuniform, als Killertruppen unterwegs. Im Küstengebiet Latakia, Banias und Tartus und in Vororten von Damaskus »bestrafen« sie diejenigen, die unter dem früheren säkularen System Assad »auf Kosten der Sunniten« an Geld und Einfluß reich geworden sein sollen.

Hunderte Syrer wurden seit Anfang des Jahres 2025 ermordet. Frauen und Mädchen werden entführt, täglich wird über außergerichtliche Hinrichtungen in allen Teilen des Landes berichtet. Die Sorge unter politischen Oppositionellen und unter den vielen ethnischen und Religionsgruppen in Syrien und in der Region ist groß.