Macron als Präsident wiedergewählt
Obwohl geschlagen, ist die Rechtsextreme stärker denn je
Emmanuel Macron ist am Sonntag als Präsident Frankreichs wiedergewählt worden. Für ihn wurden 58,5 Prozent der Wählerstimmen abgegeben, während es für seine rechtsextreme Widersacherin Marine Le Pen 41,5 Prozent waren. Nach Charles de Gaulle 1965, François Mitterrand 1988 und Jacques Chirac 2002 ist es erst das vierte Mal in der seit 1958 bestehenden Fünften Republik, daß einem Präsidenten die Wiederwahl für eine zweite Amtszeit gelungen ist, und das erste Mal außerhalb einer »Cohabitation«, also einer Aufteilung der Kompetenzen zwischen einem Präsidenten und einer Regierungsmehrheit aus unterschiedlichen politischen Lagern. Von Macrons unmittelbaren Amtsvorgängern scheiterte Nicolas Sarkozy 2012 beim Versuch, sich wiederwählen zu lassen, und François Hollande hat 2017 erst gar nicht kandidiert.
Die für Marine Le Pen abgegebenen 41,5 Prozent der Wählerstimmen stellen eine deutliche Steigerung gegenüber 2017 dar, als es 33,9 Prozent waren. Es ist, wie sie in ihrer Rede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses einschätzte, ein »großer Erfolg« und das höchste Ergebnis, das sie oder zuvor ihr Vater Jean-Marie Le Pen jemals bei einer Präsidentschaftswahl verzeichnen konnten.
Macrons Wahlsieg wird dadurch relativiert, daß laut Umfragen 42 Prozent der Wähler, die für ihn votiert haben, damit vor allem Marine Le Pen und den Rechtsextremen den Weg zur Präsidentschaft versperren wollten. Die Analyse des Wahlergebnisses zeigt außerdem, daß Macron seit seinem Sieg 2017 eine Million Wählerstimmen verloren und Marine Le Pen zwei Millionen hinzugewonnen hat. Diese Verschiebung des Wahlergebnisses ergibt sich dadurch, daß am Sonntag 28 Prozent der wahlberechtigten Franzosen der Urne ferngeblieben sind. Beim ersten Wahlgang zwei Wochen zuvor waren es 26,3 Prozent und bei der Wahl vor fünf Jahren 25,4 Prozent. Seit 15 Jahren sinkt die Wahlbeteiligung stetig, was Ausdruck einer fortschreitenden Politikverdrossenheit ist.
Der wiedergewählte Präsident hat am Abend bei einem Meeting am Fuße des Eiffelturms vor mehreren tausend Anhängern in seiner Rede erklärt, daß er eine »neue Ära« einleiten wolle und daß seine zweite Amtszeit keine einfache Fortsetzung der ersten sein werde. Er sei sich im Klaren, daß längst nicht alle für ihn abgegebenen Stimmen eine Zustimmung zu seiner Politik der vergangenen fünf Jahre und zu seinem Programm für die nächste Amtszeit darstellen, und er werde das berücksichtigen. Aus den Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre und den Reaktionen auf seine Politik habe er Schlußfolgerungen gezogen, sagte er. Er wolle »ein Präsident für alle Franzosen« sein, auch für die, die aus Verdruß erst gar nicht zur Wahl gegangen sind, und selbst für diejenigen, die für seine Widersacherin gestimmt haben.
Jetzt sind alle Blicke bereits auf die Parlamentswahl am 12. und 19. Juni gerichtet, bei der es darum geht, ob der Präsident eine klare Regierungsmehrheit bekommt, oder ob er Kompromisse eingehen und mit Koalitionen regieren muß. 2017 bekam die von ihm gegründete Bewegung »En marche« auf Anhieb eine so große Fraktion in der Nationalversammlung, daß sie mit ihrer Mehrheit jedes Gesetzprojekt der Regierung annehmen und jegliche Einwände der Opposition abschmettern konnte. Daß es erneut zu einer solchen Konstellation kommt, ist fraglich nach den Erfahrungen der zurückliegenden fünf Jahre mit ihren vielen enttäuschte Erwartungen, einschneidenden Reformen und machtvollen Protesten.
Jean-Luc Mélanchon, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl mit 22 Prozent auf dem dritten Platz gelandet ist und damit beinahe Marine Le Pen aus der Stichwahl verdrängt hätte, ruft bereits dazu auf, die Parlamentswahl im Juni zu einer »dritten Wahlrunde« zu machen. Durch die Sammlung »aller linken und ökologischen Kräfte«, die sich hinter die von ihm gegründete Bewegung La France insoumise und deren Programm stellen, sollte es möglich sein, eine Parlamentsmehrheit zustande zu bringen. Dann bliebe dem Präsidenten Emmanuel Macron gar nichts anderes übrig, als ihn, Mélenchon, zum Premierminister zu ernennen. Er würde dann als »linker« Regierungschef mit dem rechten Präsidenten in »Cohabitation« regieren.
Doch das sind erst nur Gedankenspiele und medienwirksame Herausforderungen. Die Realitäten sind nüchterner. Zwar haben die Präsidentschaftskandidaten der Kommunisten und der Grünen, Fabien Roussel und Yannick Jadot, schon ihre Bereitschaft für ein Zusammengehen erklärt und selbst die früher auf Abstand bedachten Trotzkisten der Neuen Antikapitalistischen Partei zeigen sich nicht abgeneigt, doch die Sozialisten wollen mit ihrem einstigen Parteigenossen Mélenchon nichts zu tun haben. Und auch Mélenchon hat die Sozialisten bei seiner Aufzählung möglicher Partner demonstrativ übergangen. Es bleibt also abzuwarten, was wirklich aus dieser Idee einer »dritten Wahlrunde« wird.
In den nächsten Tagen wird Emmanuel Macron mit einer Zeremonie im Elysée-Palast in aller Form seine zweite Amtszeit als Präsident antreten. Am selben Tag unternimmt er seine erste Reise, die ihn traditionsgemäß nach Berlin führt, um das Bekenntnis zum deutsch-französischen »Motor Europas« zu erneuern. In der ersten Mai-Woche wird Premier Jean Castex mit seiner Regierung zurücktreten und durch den Präsidenten ein neuer Premier ernannt und eine Übergangsregierung gebildet, die nach Bestätigung durch die Nationalversammlung bis zum Ergebnis der Parlamentswahl amtieren wird.